Liebe Leser*innen,
China dominiert mit seinem Produktionsüberschuss zunehmend den globalen Markt und stellt damit sowohl europäische als auch aufstrebende Volkswirtschaften vor neue Herausforderungen. Welche Auswirkungen haben Chinas industrielle Überkapazitäten auf Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen? Wie können Staaten des Globalen Südens ihre Industrien schützen und gleichzeitig wettbewerbsfähig entwickeln? Und welche Rolle kann die EU in diesem Spannungsfeld spielen?
Diesen Fragen widmet sich unsere Autorin Dr. Aya Adachi, die seit sechs Monaten im Rahmen des BKHS-Fellowship zu diesem Thema forscht. Ihre Ergebnisse wird sie unter dem Titel „The Global South in the Wake of China’s Economic Surplus: Industrial Challenges for Developing Countries and Policy Recommendations for the EU“ publizieren.
In diesem Schmidtletter stellt sie ihre Auseinandersetzung mit den geopolitischen und wirtschaftlichen Dynamiken von Chinas wachsenden Überkapazitäten und seinen Konsequenzen für den Globalen Süden vor.
Eine interessante Lektüre wünscht
Ihr Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung
In einer Zeit, in der die USA ankündigen, ihre Entwicklungskooperation im Rahmen der USAID (Behörde der Vereinigten Staaten für Entwicklungszusammenarbeit) grundlegend einzuschränken, und die EU durch die Einführung ihres CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) vermehrt Kritik aus dem Globalen Süden erfährt, positioniert sich China gezielt als alternativer Wirtschaftspartner für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Die 2021 ins Leben gerufene Global Development Initiative sowie die Ankündigung von Nullzöllen für die am wenigsten entwickelten Länder (2024) stellen China als wohlwollenden Handelspartner dar, der sich aktiv für globales Wirtschaftswachstum engagiert. Diese Darstellung steht jedoch im Widerspruch zum kontinuierlich wachsenden Handelsüberschuss Chinas im verarbeitenden Gewerbe gegenüber seinen Partnern im Globalen Süden. Das wirft kritische Fragen zur Nachhaltigkeit und Ausgewogenheit dieser Wirtschaftsbeziehungen auf.
Industriepolitische Ursachen der chinesischen Überkapazitäten
Die wesentlichen Ursachen für Chinas industrielle Überkapazitäten liegen in gezielten industriepolitischen Maßnahmen, umfangreichen staatlichen Konjunkturprogrammen sowie einer anhaltend schwachen Binnennachfrage. Besonders stark betroffen sind Branchen wie grüne Technologien, Maschinenbau sowie Grundfertigungs- und Konsumgüterindustrie, deren erhebliche Produktionsüberschüsse den globalen Handel durch sinkende Preise und zunehmenden Wettbewerb nachhaltig beeinflussen. Dies äußert sich in wachsenden chinesischen Handelsüberschüssen im Fertigungsbereich. Chinas Streben nach wirtschaftlicher Autonomie und geopolitische Erwägungen lassen allerdings erwarten, dass grundlegende politische Kurskorrekturen unwahrscheinlich bleiben und die Überkapazitäten die chinesischen Handelsbeziehungen auf absehbare Zeit weiterhin prägen werden.
Verdrängung lokaler Industrien und zunehmende Abhängigkeit im Globalen Süden
Aufgrund von Chinas anhaltender Dominanz bei Produkten niedrigschwelliger Technologien und seines gleichzeitig strategischen Aufstiegs in höherwertige Industriezweige, geraten Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen durch das zunehmende chinesische Produktionsüberangebot immer stärker unter Wettbewerbsdruck. Chinesische Exporte verdrängen lokale Produkte von heimischen Märkten, erschweren Industrialisierungsprozesse und schaffen wirtschaftliche Abhängigkeiten durch die zunehmende Lieferung chinesischer Vorprodukte. Gleichzeitig werden Schwellenländer zunehmend auf ihre Rolle als bloße Rohstofflieferanten reduziert, während Chinas Expansion in höherwertige Produktionsbereiche den industriellen Aufstieg anderer Länder nachhaltig erschwert.
Handelsschutzmaßnahmen im Globalen Süden: Erfolgsstrategien und Grenzen
Um der chinesischen Handelsdominanz entgegenzuwirken, setzen Länder des Globalen Südens verstärkt auf Schutzmaßnahmen wie Importzölle, Antidumping-Regelungen und lokale Wertschöpfungsanforderungen. Schwellenländer wie Indien, Brasilien und Argentinien haben diese Instrumente erfolgreich genutzt, um ihre heimische Industrie zu schützen, ohne nennenswerte Vergeltungsmaßnahmen Chinas auszulösen. Der Erfolg dieser Strategien hängt jedoch stark von Ressourcen und effektiven Handelsüberwachungssystemen ab, über die einkommensschwächere Länder häufig nicht verfügen. Die Herausforderung durch Chinas Überkapazitäten könnte darüber hinaus die Zusammenarbeit zwischen dem Globalen Süden und der EU fördern, da beide Seiten ein gemeinsames Interesse an fairen und ausgewogenen Bedingungen im globalen Handel haben.
Handlungsempfehlungen für die Europäische Union
Die neue BKHS-Veröffentlichung „The Global South in the Wake of China’s Economic Surplus: Industrial Challenges for Developing Countries and Policy Recommendations for the EU“ bietet konkrete Handlungsempfehlungen für die EU. Sie skizziert, wie Europa durch gezielte Handelsabkommen, Investitionen in lokale Industrien und eine diversifizierte Lieferkettenpolitik zur wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen beitragen kann. Ein besonderer Fokus liegt auf der Schaffung fairer Marktbedingungen sowie der Förderung nachhaltiger und eigenständiger wirtschaftlicher Entwicklung in den Partnerländern. Zudem empfiehlt die Autorin, dass die EU Partnerländer beim Aufbau wirksamer Monitoringsysteme unterstützt, um unfairen Handelspraktiken besser entgegenzuwirken. Gemeinsame sektorale Strategien, etwa im Textilsektor oder bei grünen Technologien, könnten sowohl europäische als auch lokale Industrien schützen und neue Marktchancen schaffen. Schließlich schlägt die Autorin vor, Einnahmen aus EU-Handelszöllen gezielt für Entwicklungsprogramme zu nutzen, um den nachhaltigen Aufbau industrieller Kapazitäten in Ländern des Globalen Südens zu unterstützen.
Exklusive Veranstaltung in Kooperation mit der DGAP
Die Publikation erscheint als BKHS Perspective und wird im Rahmen einer exklusiven Veranstaltung in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) am 28. März 2025 in Berlin vorgestellt. Dr. Aya Adachi präsentiert dann ihre Ergebnisse und diskutiert gemeinsam mit Jacob Gunter (Mercator Institute for China Studies), Michael Laha (DGAP) und Dr. Janka Oertel (European Council on Foreign Relations) über mögliche Lösungsstrategien für die EU. Die Moderation übernimmt Dr. Elisabeth Winter (BKHS).
Weitere Informationen und Details erhalten Sie wie gewohnt über unseren Schmidtletter.