„Gerechte Demokratie ist für mich eine Verpflichtung“

Ekrem İmamoğlu, türkischer Oppositionspolitiker, findet bei Helmut Schmidt Lecture in Berlin klare Worte für die Erfolgskriterien funktionierender Demokratien.

Berlin, 22. November 2024. Für ihn steht fest: „In einer gerechten Demokratie wird jede Stimme gehört und jede Perspektive ist willkommen. Sie fördert eine lebendige Vielfalt und stellt sicher, dass Gerechtigkeit die Grundlage für gleiche Chancen für alle ist.“ Unter dem Motto „For a Just Democracy!“ hielt der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu gestern Abend auf Einladung der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung (BKHS) die vierte Helmut Schmidt Lecture. Knapp 500 Gäste besuchten die Veranstaltung im Berliner Museum für Kommunikation. Im Anschluss sprach İmamoğlu mit der Vorsitzenden des Internationalen Beirats der Stiftung Dr. Nathalie Tocci und der BKHS-Programmleiterin für „Globale Märkte und sozialen Gerechtigkeit“ Dr. Elisabeth Winter über verschiedene Ansätze, wehrhafte Demokratien zu etablieren. „For a Just Democracy!“ ist auch der Titel der gestern erschienenen vierten Ausgabe des BKHS Magazines. Die Beiträge renommierter Expert*innen boten zusätzliche Gesprächsimpulse, um am Ende der Veranstaltung mit dem Publikum zu diskutieren.

Peer Steinbrück eröffnete als Kuratoriumsvorsitzender der BKHS die Helmut Schmidt Lecture 2024. Er begrüßte Ekrem İmamoğlu mit den Worten: „Er beweist ein unerschütterliches Engagement für die demokratischen Grundwerte, für Transparenz und Rechenschaftspflicht, für einen offenen Dialog und für die Überwindung ideologischer Grenzen. Indem er die Menschen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt, unabhängig von ihrer Herkunft, steht er in einer Linie mit Helmut Schmidts Engagement für das Gemeinwohl und die Förderung des demokratischen Dialogs über Schicht- und Milieugrenzen hinweg.“
 
Ekrem İmamoğlu ist seit fünf Jahren Oberbürgermeister der größten Stadt der Türkei, im März 2024 wurde er mit deutlicher Mehrheit im Amt bestätigt. Als Kandidat der sozialdemokratischen CHP trat er 2019 erstmals für als Oberbürgermeisterkanditat an und gewann mit knapper Mehrheit überraschend gegen die AKP. Eine von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan erzwungene Wiederholung der Wahl bestätigte İmamoğlu und machte ihn zu einem der einflussreichsten Politiker der Türkei der letzten Jahre. Seit seiner Wiederwahl ist er der Hoffnungsträger für einen politischen Wandel. Er ist ein Mann des Volks, der nicht müde wird zu betonen, wie wichtig die Einbeziehung aller Bevölkerungsschichten ist:

„Wir haben auf die Botschaften des Volks gehört. Durch die Umsetzung einer integrativen Politik, die Unzufriedenheit, Ausgrenzung und Marginalisierung direkt angeht, können wir einige der effektivsten Taktiken schwächen, die autoritäre Populisten einsetzen, um die Grundlagen der Demokratie zu untergraben.“ Für ihn ist die Konzentration auf die Bürger*innen und ihre Bedürfnisse essenziell, er sieht die Menschen als Teil des Verwaltungsapparats, nicht von ihm getrennt. So hat er als Bürgermeister in Istanbul eine App eingeführt, die es allen ermöglicht, sich an der Lokalpolitik zu beteiligen und Vorschläge und Wünsche einzubringen.

Er erläuterte seinen Ansatz von „democratic peopleism versus populism“, bei dem Einigkeit, Fairness und Respekt im Mittelpunkt des politischen Handelns stehen. So bestehe die Chance, Städte – und letztlich Gesellschaften – zu schaffen, in denen Demokratie nicht nur überlebe, sondern gedeihe: „Dieses Engagement für Demokratie, Gerechtigkeit und Wohlfahrt treibt mich jeden Tag als Bürgermeister an. Ich bin davon überzeugt, dass wir durch die Verkörperung dieser Werte nicht nur Istanbul voranbringen, sondern auch einen globalen Standard dafür setzen, was eine gerechte Demokratie wirklich erreichen kann.“

Bürgermeister İmamoğlu betonte die Wichtigkeit der deutsch-türkischen Freundschaft beim Einsatz für den Erhalt der Demokratie mit den Worten „Deutschland ist ein starker Partner für die Türkei“ und wies darauf hin, dass die türkische Gemeinschaft in Deutschland mit 3,5 Millionen Menschen einen wesentlichen Beitrag auch zur Demokratie in Deutschland leiste.

Die Türkei sei ein Teil Europas und die Zusammenarbeit müsse verstärkt werden, um die Demokratie zu stärken. Denn diese sei nicht nur in der Türkei ernsthaft gefährdet, sondern auf der ganzen Welt. Sein Ziel sei, dass die Türkei als Mitglied der EU gemeinsam mit den anderen demokratischen Staaten den Gefahren der Demokratie entgegentrete: „Demokraten brauchen einen klaren Fahrplan, um die globalen Herausforderungen anzugehen.“

Zum Abschluss betonte er, der Moment, Demokratie neu zu denken, sei jetzt, denn Frieden im eigenen Land sei Frieden auf der Welt.

Auch in der anschließenden Talk-Runde stand die Frage, welche Erfolgskriterien eine funktionierende Demokratie ausmachen und wie diese gestärkt werden kann, im Mittelpunkt. Ekrem İmamoğlu, die Politikwissenschaftlerin Dr. Nathalie Tocci und die BKHS-Expertin Dr. Elisabeth Winter diskutierten unter der Moderation von Journalistin Kristie Pladson ebenso über die Auswirkungen der Wiederwahl von Donald Trump wie über die Zukunft Deutschlands nach dem Bruch der Ampel-Koalition. Das Publikum konnte an Meeting-Points mit dem Team der BKHS über weitere Themen diskutieren.

Zur Helmut Schmidt Lecture erschien zudem das BKHS Magazine „For a Just Democracy!“ mit Essays, Fotos, Statements und Prosa von bekannten Policy-Expert*innen, Journalist*innen, Aktivist*innen und Künstler*innen. Die aktuelle Ausgabe „For a Just Democracy!“ enthält unter anderem Beiträge von Ekrem İmamoğlu, der albanisch-britischen Politikwissenschaftlerin und Philosophin Lea Ypi, der Kommunikations- und Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele, der Demokratieforscherin Maria Skóra und dem indischen Regisseur Vinay Shukla

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