„In Friedensverträgen wird die Hälfte der Bevölkerung einfach ignoriert“

Drei Fragen an Julia Strasheim zu den neuen Leitlinien feministischer Außenpolitik von Annalena Baerbock

Annalena Baerbock spricht mit Svenja Schulze

Am 1. März stellte Außenministerin Annalena Baerbock im Kabinett ihre „Leitlinien feministischer Außenpolitik“ vor, anschließend präsentierte sie zusammen mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze das 41-seitige Positionspapier der Öffentlichkeit. Unsere Programmleiterin für „Europa und Internationale Politik“, Julia Strasheim, ist Friedens- und Konfliktforscherin. Sie arbeitet zu Friedensförderung, Friedensverhandlungen und der Rolle von Frauen in Friedensprozessen – und konnte uns so drei Fragen zu Baerbocks Leitlinien beantworten:

Worum geht es konkret bei feministischer Außenpolitik?

Klassisch verfolgt eine feministische Außenpolitik drei Ziele, gerne als „drei Rs“ beschrieben, die sich auch prominent in den von Annalena Baerbock vorgestellten Leitlinien wiederfinden: die Rechte von Frauen und Mädchen weltweit zu stärken; die gleichberechtigte Repräsentation und Teilhabe von Frauen und marginalisierten Gruppen in allen Gesellschaftsbereichen zu fördern, sowie ihren gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen (wie z.B. Land oder Bildung) zu sichern. Bei diesen Zielen stehen Frauen und Mädchen im Vordergrund – und das ist wichtig, denn hier gibt es leider immer noch viel Nachholbedarf. Zum Beispiel waren seit Beginn der 1990er-Jahre nur sechs Prozent der in Friedensgesprächen Vermittelnden und nur 13 Prozent der Verhandlungsführenden Frauen. Nur 19 Prozent der Friedensverträge, die zwischen 1990 und 2015 geschlossen wurden, erwähnen Frauen überhaupt. Anders gesagt: In vier von fünf Friedensverträgen weltweit wird die Hälfte der Bevölkerung schlicht und einfach ignoriert.

Aber eine feministische Außenpolitik ist trotzdem, wie es in den neuen Leitlinien selbst heißt, „keine Außenpolitik für Frauen, sondern für alle Mitglieder einer Gesellschaft.“ Denn erstens betonen die deutschen Leitlinien die Intersektionalität des Ansatzes: Weil Benachteiligung nie eindimensional ist, will eine feministische Außenpolitik Machstrukturen angehen, die Menschen zum Beispiel aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Religion, ihres Alters, oder einer Behinderung diskriminiert. Zweitens zeigt uns die Forschung schon lange, dass Friedensprozesse für alle Menschen in einer Gesellschaft nachhaltiger werden, wenn Frauen eine tragende Rolle in ihrer Ausgestaltung bekommen. So wissen wir etwa, dass Frauen in Friedensgesprächen oft die Agenda erweitern und häufiger soziale, politische und ökonomische Aspekte ansprechen, die dazu beitragen, dass der Frieden für alle Menschen in einer Gesellschaft umfassender wird.

Was kann eine feministische Außenpolitik in Konflikten wie beispielsweise dem Krieg in der Ukraine bewirken?

Frauen und Männer, aber auch Kinder, alte Menschen, pflegebedürftige Menschen oder lesbische, schwule, bisexuelle, transgender und queere Menschen (LGBTQ*), sind jeweils auf unterschiedlicher Art und Weise von Kriegen und bewaffneten Konflikten betroffen. Deshalb haben sie auch unterschiedliche Bedürfnisse in der Bewältigung von Kriegen und Konflikten.

Ein paar Beispiele: Bis heute sind es in Kriegen vorrangig Männer, die in Armeen oder bewaffneten Gruppen kämpfen und in Kampfhandlungen sterben. Das gilt auch für die Ukraine. Frauen und Mädchen sind oft von spezifischen Formen der Kriegsgewalt betroffen, etwa sexualisierte Kriegsgewalt, Vergewaltigungen und Zwangsprostitution (Gewaltformen, die aber alle auch Männer treffen können). Das sind Kriegsverbrechen, die auch in der Ukraine von russischen Truppen begangen werden und die dokumentiert und juristisch aufarbeitet werden müssen – dafür muss sich eine feministische Außenpolitik konsequent einsetzen, genauso wie für den sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen für Betroffene. Zudem sind von den mehr als acht Millionen Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, die deutliche Mehrheit Frauen und Kinder – auch, da Männern im wehrfähigen Alter die Ausreise verwehrt wird. Frauen sind in Kriegen wie in der Ukraine aber nicht nur hilflose Opfer, sondern übernehmen ganz vielfältige Rollen. Manche leisten wichtige Arbeit im humanitären Sektor, andere schließen sich Streitkräften an. Bei einer Veranstaltung habe ich kürzlich gehört, dass es Soldatinnen im ukrainischen Militär jedoch immer noch an geschlechtsspezifischer Schutzausrüstung wie etwa Schutzwesten fehlt. Das kann bedeuten, dass die für Männer angefertigten Westen den Soldatinnen nicht richtig passen und sie in Kampfhandlungen im Zweifelsfall schlechter geschützt sind.

Bei der Bewältigung von Kriegen und Konflikten in der Vergangenheit wurde nicht immer beachtet, dass Frauen und andere marginalisierte Gruppen unterschiedliche Bedürfnisse haben. In Flüchtlingsunterkünften fehlte es an Sanitäranlagen, die für alle Menschen sicher oder überhaupt zugänglich sind. In Zentren, in denen Mitglieder bewaffneter Gruppen entwaffnet und auf ihre Rückkehr in ein ziviles Leben vorbereitet werden, hatten Kämpferinnen keinen Zugang zu Hygieneartikeln oder Kindersoldat*innen keine besondere psychologische Betreuung von dafür speziell ausgebildeten Fachkräften. Idealerweise hilft eine feministische Außenpolitik, diese unterschiedlichen Bedürfnisse besser zu erkennen und anzugehen.

Welche Instrumente kann eine feministische Außenpolitik einsetzen und was ist vom vorgestellten Entwurf zu erwarten?

Wie alle Vorhaben dieser Art müssen auch die neuen Leitlinien für eine feministische Außenpolitik in den nächsten Monaten und Jahren wachsen und mit Leben gefüllt werden. Für mich ist eine der größten Herausforderungen dabei, diesen Ansatz wirklich glaubhaft zu gestalten. Denn Feminismus beginnt zu Hause – und das heißt nicht nur, dass man ein paar Diplomaten mit Diplomatinnen im Auswärtigen Amt austauscht. Auch in Deutschland ist geschlechtsspezifische Gewalt vorherrschend. Hier sind in den letzten Jahren rechtsradikale Parteien und Bewegungen erstarkt, die antifeministische Positionen vertreten. Und auch bei uns fehlt es in vielen Bereichen der Gesellschaft an gleichberechtigter Teilhabe. Im Rahmen meiner eigenen Forschung über den Friedensprozess in Nepal erzählte mir eine europäische Diplomatin etwa vor ein paar Jahren, dass die Frauenquoten, die europäischen Akteuren wie dem Auswärtigen Amt für Ausbildungsprogramme der Polizei in Kathmandu vorschweben, nicht mal in Berlin, Paris oder Brüssel eingehalten werden könnten. Und nepalesische Politiker wiesen mich in Gesprächen äußerst gerne darauf hin, dass die Forderungen nach einer stärkere Frauenquote für Nepals Sicherheitssektor stets von einer Riege männlicher europäischer Sicherheitsexperten vorgetragen würden. Um ein legitimes außenpolitisches Vorhaben zu sein, braucht eine feministische Außenpolitik also auch die Begleitung von innenpolitische Maßnahmen.

Eine Frau klebt ein Mosaik zusammen, auf dem eine weiße Taube zu erkennen ist.

Bei der Bewältigung von Kriegen und Konflikten in der Vergangenheit wurde nicht immer beachtet, dass Frauen und andere marginalisierte Gruppen unterschiedliche Bedürfnisse haben.

© Christopher Herwig/UN Women

Eine Frau mit buntem Kopftuch blickt in die Kamera.

Idealerweise hilft eine feministische Außenpolitik, diese unterschiedlichen Bedürfnisse besser zu erkennen und anzugehen.

© Kathrin Harms/Laif

Annalena Baerbock spricht mit Svenja Schulze

Außenministerin Baerbock stellte am 1. März im Kabinett ihre „Leitlinien feministischer Außenpolitik“ vor.

© Bundesregierung/ Sandra Steins

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