Objekt der Woche: Das Gespräch mit Bernstein

Ende 1985 veröffentlichte die ZEIT ein Gespräch, das Helmut Schmidt und Leonard Bernstein für die Wochenzeitung geführt haben. Der amerikanische Maestro und der deutsche Politiker waren befreundet. Beide hätten dieses Jahr ihren 100. Geburtstag gefeiert.

Mann in Anzug mit Glas und Zigarette unterhält sich mit Ehepaar Schmidt.

Wie sollte es anders sein: Obwohl Schmidt den Gedankenaustausch mit Bernstein damit einleitet, dass er hier nicht alleine mit dem Dirigenten, Pianisten und Komponisten sprechen wolle, sondern vor allem mit dem „… Weltbürger, der die Welt und die Menschen erlebt und über sie nachgedacht hat“, geht es im Einstieg doch um Musik. Um amerikanische Musik im Besonderen, inwieweit sie eigentlich europäische Musik sei und im Jazz sowie dem Musical schließlich eigene Wege gefunden habe.

Die Brücke zu weiteren Diskussionspunkten schlagen die beiden Gesprächspartner schließlich mit der Erkenntnis, dass Musik über nationale Grenzen hinaus verstanden würde und dies die wichtigste Aufgabe sei – das Verstehen anderer Völker: „Und zwar nicht nur deren Musik, sondern auch ihre Philosophie, ihre Haltung, ihr Verhalten. Nur dann können sich die Nationen untereinander verstehen“, so Helmut Schmidt.

Im weiteren Verlauf der Unterhaltung werden zahlreiche Themen berührt:

  • Wie der technische Fortschritt der Telekommunikation auf die Völkerverständigung gewirkt hat.
  • Dass die Europäer alleine schon aufgrund der geografischen Nähe die Russen besser verstehen als die Amerikaner.
  • Wie ein Konzert in Hiroshima im Rahmen einer „Reise für den Frieden“ verlief.
  • Den 2. Weltkrieg und das Vertrauen zwischen den Völkern.
  • Die Notwendigkeit, Rassenkonflikte und Klassenkampf zu überwinden.
  • Die Beziehungen der Juden zur Welt, zu Deutschland und zu den Arabern.
  • Den Glauben, seine Ausprägung in den drei monotheistischen Religionen der Juden, Christen und Moslems und den wünschenswerten Frieden zwischen ihnen.
  • Rivalität und Macht im Nationengefüge.
  • Dass nur die Musik, nicht die Malerei und auch nicht die Dichtung, als wirklich abstrakte Kunstform dazu führt, dass sich das Ego verliert.

Besonders bewegt zeigt sich Bernstein im Gespräch mit seinem Freund Schmidt als er seine ersten Erfahrungen mit deutschen Orchestern, dem Bayerischen Staatsorchesters und dem Dachau Symphonie-Orchester, schildert. Schon 1948 war der knapp 30-jährige als Gast-Dirigent nach München gekommen, um mit dem Bayerischen Staatsorchesters zu arbeiten: „Ein Orchester mit totaler Ex-Nazi-Besetzung. … Die erste Probe werde ich nie vergessen. Ich hatte solche Angst, daß ich nicht wußte, was ich tun sollte.“ Dennoch gelang es ihm, Schumanns C-Dur Symphonie zum Klingen zu bringen. Eigentlich aber war der Amerikaner damals nach Deutschland gekommen, um mit einem Dutzend Musikern aufzutreten, die als Überlebende das Dachau Symphonie-Orchester gegründet hatten und in den Flüchtlingslagern von Feldafing und Landsberg lebten, wo auch die Konzerte stattfanden.

Auf die Frage von Helmut Schmidt, was er heute, knapp 40 Jahre später, von den Deutschen denke, antwortet Bernstein in seiner unnachahmlich emotionalen Art: „Ich hasse Verallgemeinerungen, erst recht Verallgemeinerungen nach Rasse oder Abstammung. Aber eine Verallgemeinerung möchte ich gleichwohl machen, und die betrifft die Menschheit als Ganzes: Jeder Mensch hat die Fähigkeit zur Liebe. Wenn diese Fähigkeit entfaltet wird, dann kann alles passieren. Dann können wir einander nahekommen, dann können wir Ihr Ideal des Gesprächs erfüllen: Nicht nur in Gipfeltreffen, sondern wirklich von Mensch zu Mensch.“

Fünf Jahre nach dem Gespräch, am 14. Oktober 1990, starb Leonard Bernstein in Manhattan. In einem Nachruf sagte der Musikkritiker Joachim Kaiser über den leidenschaftlichen Komponisten, Dirigenten und Menschenfreund: „Er fühlte stärker, er hatte ein heißeres Herz als wir anderen, ärmeren Erdenbürger.“

„Aber diese bessere Welt finden Sie nur im Mythos“ – Das ganze Gespräch zwischen Helmut Schmidt und Leonard Bernstein in der ZEIT

„Bernstein gibt sein erstes Konzert in Deutschland“ – Leonard Bernsteins erste Konzerterfahrungen in Deutschland 1948, nachvollzogen vom Bayerischen Rundfunk-BR Klassik

Mann in Anzug mit Glas und Zigarette unterhält sich mit Ehepaar Schmidt.

Leonard Bernstein am 15. Juni 1976 in Bonn bei Bundeskanzler Helmut Schmidt und dessen Frau Loki. © dpa - Bildarchiv

 

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