Liebe Leser*innen,
in fünf Tagen feiern die Vereinten Nationen (UN) ein Jubiläum. Vor 79 Jahren trat die UN-Charta in Kraft. Doch es gibt wenig Grund zum Feiern. Zum einen gibt es derzeit weltweit so viele Konflikte wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Zum anderen stehen die Friedenseinsätze der UN vor massiven Herausforderungen.
Unsere Autorin Kirsten Hartmann arbeitet als Teilnehmerin der Think Tank School der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und dem Mercator Institute for China Studies zum Thema „Navigating troubled waters: What future(s) for UN Peace Operations?“.
In unserem Schmidtletter beschreibt sie, welche Rolle Deutschland in diesem Spannungsfeld spielt und was die Bundesrepublik tun kann, um die kriselnden Friedensmissionen künftig zu stärken.
Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht Ihre
Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung
Der Tag der Vereinten Nationen (UN) findet jährlich am 24. Oktober statt und erinnert an das Inkrafttreten der UN-Charta im Jahr 1945. Doch kurz vor dem 79. Geburtstag stehen die UN vor vielen Herausforderungen. Das zeigt sich auch an der Krise der UN-Friedenseinsätze. Die Missionen haben zu wenig Ressourcen für gewachsene Aufgaben. Sie können nur unzureichend auf sich verändernde und hochkomplexe Konflikte sowie scheinbar „neue“ Sicherheitsrisiken wie den Klimawandel oder neue Technologien reagieren. (Sub-)Regionale Organisationen wie die Afrikanische Union (AU) beanspruchen eine größere Rolle in der Friedenssicherung. Spannungen zwischen Großmächten im Sicherheitsrat erschweren zudem die Verlängerung bestehender und die Mandatierung neuer Missionen. Die letzte große Peacekeeping-Mission wurde 2014 beschlossen. Hinzu kommt eine steigende Unzufriedenheit aufseiten der Gaststaaten. Beispielweise forderte die Militärregierung in Mali 2023 den Abzug der UN-Mission und arbeitet nun mit der russischen Wagner-Gruppe zusammen, der Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.
Momentum für Reformen?
Angesichts der zahlreichen Herausforderungen könnte der Eindruck entstehen, die Zeit von UN-Friedenseinsätzen sei vorbei. Doch Krisen sind für UN-Missionen nichts Neues, und auf Phasen des Rückgangs folgte stets ein Aufschwung. Die Einsätze haben sich weiterentwickelt und an veränderte Rahmenbedingungen angepasst. Nachdem frühe Missionen zur Überwachung von Waffenstillständen entsandt wurden, umfassen multidimensionale Missionen heute auch Elemente der Konfliktprävention und Friedenskonsolidierung. Die gegenwärtige Krise wird daher nicht das Ende von UN-Missionen bedeuten, aber diese müssen sich erneut verändern.
In diesem Jahr fand der UN-Zukunftsgipfel statt, um multilaterale Reformen anzustoßen und die UN zukunftsfähig zu machen. Am 22. September wurde der Zukunftspakt von der Generalversammlung angenommen. Der Pakt und die 2023 veröffentlichte Neue Agenda für den Frieden verdeutlichen, dass die Zusammenarbeit mit Regionalorganisationen in der Friedenssicherung an Bedeutung gewinnen wird. Ende 2023 beschloss der Sicherheitsrat die Finanzierung von AU-Einsätzen aus UN-Geldern. Im Hinblick auf die wachsende Zahl der Akteure sollte die UN in Zukunft eine stärkere Koordinierungsrolle einnehmen. Der Zukunftspakt unterstreicht auch, dass UN-Friedenseinsätze angepasst werden müssen, um besser auf bestehende Herausforderungen und neue Realitäten reagieren können. Es werden derzeit neue Modelle diskutiert – vermutlich kleinere, weniger ambitionierte und letztlich günstigere Missionen. Finanzielle Aspekte sollten nicht im Vordergrund stehen. Die Debatte muss außerdem ehrlich geführt werden und aufzeigen, was bei einer Reduzierung nicht mehr gemacht werden kann. Krisen und Konflikte sind komplex und verlangen ganzheitliche Ansätze. Der Fokus sollte auf der Suche nach und der Unterstützung von politischen Lösungen von Konflikten sowie ihrer Prävention liegen. UN-Einsätze müssen sich noch stärker an kontextspezifischen Bedarfen vor Ort orientieren und enger mit der Bevölkerung interagieren. Vor dem Hintergrund enttäuschter Erwartungen und verlorenem Vertrauen in die Missionen braucht es einen neuen Konsens, welche Rolle UN-Friedenseinsätze (nicht) haben. Darauf aufbauend müssen Staaten glaubwürdige politische Unterstützung und verlässliche Ressourcen bereitstellen, um die Erfüllung dieser Rolle zu gewährleisten.
Eine deutsche Strategie für UN-Friedenseinsätze
Auch Deutschland muss strategischer zur Stärkung von UN-Friedenseinsätzen beitragen. Deutschland ist viertgrößter Geldgeber von Peacekeeping-Missionen, setzt sich in Reforminitiativen unter anderem besonders im Bereich Frauen, Frieden und Sicherheit ein und entsendet zivile Expert*innen in Missionen. Mit etwas mehr als 100 Militär- und Polizeikräften steht die Bundesrepublik derzeit aber nur an 55. Stelle der Truppen- und Polizeistellenden Staaten (Stand: 31.07.2024). Insbesondere seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine 2022 richtet sich hierzulande der Fokus auf Landes- und Bündnisverteidigung. Multilaterale Friedenssicherung rückt in den Hintergrund, obwohl effektivere UN-Missionen im Eigeninteresse Deutschlands liegen: Die nationale Sicherheit ist eng mit der Sicherheit und Stabilität anderer Weltregionen verbunden wie die Nationale Sicherheitsstrategie 2023 verdeutlicht.
Wie in den letzten Jahren müssen Pflichtbeiträge zur Finanzierung der Friedensmissionen daher in voller Höhe und pünktlich gezahlt werden und Staaten mit schlechterer Zahlungsmoral, nicht zuletzt die USA, öffentlich und diplomatisch unter Druck gesetzt werden. Da Friedenseinsätze nur eines von vielen UN-Instrumenten in Krisen und Konflikten sind, haben auch freiwillige deutsche Zahlungen zum UN-System erhebliche Bedeutung. Zumal die UN und ihre Missionen nicht in einem Vakuum operieren, sind jedoch geplante Kürzungen – im Etat des Auswärtigen Amts wie in dem des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – im Bundeshaushaltsentwurf für 2025 im Bereich der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit kontraproduktiv. Neben finanzieller Unterstützung muss die Zusage der Nationalen Sicherheitsstrategie, weiterhin militärische Beiträge zu UN-Missionen zu leisten, konsequenter umgesetzt werden. Zudem sollten mit den Bundesländern Wege zur Erhöhung der Polizeikontingente gefunden und weiterhin zivile Expert*innen entsandt werden.
Deutschland richtet 2025 erstmals das zweijährliche Peacekeeping Ministerial aus – die wichtigste hochrangige Veranstaltung zur UN-Friedenssicherung auf Ebene der Außen- und Verteidigungsminister*innen – und sollte hier inhaltliche Impulse setzen. Ab September 2025 soll die deutsche Diplomatin Helga Schmid den Vorsitz der Generalversammlung übernehmen und könnte sich für eine stärkere Rolle des Gremiums in Fragen von internationaler Sicherheit und Frieden einsetzen. Wenn Deutschland für 2027/2028 als nicht-ständiges Mitglied in den Sicherheitsrat gewählt wird, sollte es sich für inklusivere Mandatsverhandlungen einsetzen und eine stärkere Einbindung der Kommission für Friedenskonsolidierung vorantreiben, um einen ganzheitlicheren Ansatz in Missionen zu gewährleisten.
Derzeit gibt es so viele aktive Konflikte wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Der Bedarf an Konfliktlösung und Friedensförderung wird steigen. UN-Friedenseinsätze werden trotz der Krise auch in Zukunft eine (andere) Rolle spielen. Um einen weiteren Relevanzverlust der Missionen zu verhindern, müssen Reformen dringend umgesetzt werden. Deutschland muss in der Unterstützung von UN-Friedenseinsätzen einen stärkeren strategischen Gestaltungsanspruch entwickeln und umsetzen. Die Zielsetzung in der Nationalen Sicherheitsstrategie, die UN zu stärken und globale Verantwortung übernehmen zu wollen, ist wichtig. Nun muss konkretisiert werden, wie dieses Ziel in Bezug auf UN-Missionen erreicht werden soll und die Umsetzung folgen. Stärkere deutsche Unterstützung braucht zudem eine positivere politische und öffentliche Wahrnehmung der Missionen. So müssen ihre Arbeit und aktuelle Erfolge besser kommuniziert werden.