Liebe Leser*innen,
ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte. Die alte Binsenweisheit gilt nicht nur für die klassische Produktwerbung, sondern auch für die politische Kommunikation. Schon Helmut Schmidt wusste die Wirkung von Bildern und Symbolen zu nutzen, um seine politischen Botschaften zu vermitteln. Heute begegnen wir der Flut wirkmächtiger Bilder auf Schritt und Tritt: auf Plakaten, in Zeitungen, im Fernsehen, im Internet und erst recht auf den Social-Media-Kanälen. Wer Politik machen will, braucht Bilder – mehr denn je. Das gilt für Kräfte, die die parlamentarische Demokratie bedrohen, ebenso wie für diejenigen, die sie schützen. Aber welche Bilder werden eigentlich von wem, für wen und mit welcher Absicht gemacht? Dieser Frage geht Merle Strunk, unsere Referentin für Bildung und Vermittlung, nicht nur heute in unserem Schmidtletter nach, sondern auch in unserer neuen Themenführung jeden Sonntag in unserer Ausstellung im Helmut-Schmidt-Forum in der Hamburger Innenstadt.
Viel Spaß bei der Lektüre – und wenn Sie mehr wissen wollen, kommen Sie gerne vorbei!
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung
Zehntausende Protestierende schoben sich an den vergangenen Wochenenden durch die Hamburger Innenstadt. So viele, wie schon lange nicht mehr. Die Parole „Wir sind mehr!“ der prodemokratischen und antirassistischen Bündnisse auf den Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus kam nicht nur verbal, sondern vor allem auch visuell zum Ausdruck. An den Kundgebungen beteiligten sich bundesweit mehrere Millionen Menschen. Der Protest erzeugte wirkmächtige Bilder, die zeigen, mit welcher Dynamik sich Menschen für die Demokratie mobilisieren lassen. Die Anzahl der in den sozialen Medien unter den Hashtags #DemoGegenRechts oder #DeutschlandStehtAuf geteilten Beiträge schoss rapide in die Höhe. Politiker*innen und Prominente nahmen an den Kundgebungen teil und zeigten sich auf ihren Social-Media-Profilen als Teil der Protestbewegung. Unter einigen Städten entbrannte gar ein Wettstreit, wer mehr Menschen auf die Straße bringen würde – Hamburg, München, Köln oder etwa Berlin?
Im Nachgang versuchten rechte Akteure, den Erfolg der Demonstrationen zu diskreditieren indem sie behaupteten, die Bilder seien zum Teil mit Künstlicher Intelligenz generierte Fakes. Diese Falschbehauptungen ließen sich jedoch leicht enttarnen, wie unter anderem ein Fakten-Check der Tagesschau belegt. Das rechtspopulistische Narrativ, die „schweigende Mehrheit“ der Gesellschaft teile ihre Positionen, war danach zwar angeschlagen, innerhalb der eigenen rechtspopulistischen Filterblasen zeigten die Widerlegungen jedoch wenig Wirkung. Die vermeintlichen Beweise der Bildmanipulation wurden auf den Social-Media-Kanälen weiterhin geteilt.
Die Initiator*innen der prodemokratischen Proteste sahen sich trotzdem bestärkt: Die Bilder zeigen es – wir sind mehr! Gleichzeitig forderten sie, es dürfe nicht nur bei Symbolik und starken Bildern bleiben. Auch der Wettstreit um die originellsten Plakate, die vollsten Innenstädte oder die coolsten „Demo day outfits“, – kurz: um die besten Bilder – wurde kritisiert.
Kampfplätze der Deutungsmacht
Diese Beispiele zeigen: Bilder sind heute eines der wichtigsten Instrumente, um Menschen zu mobilisieren und politische Meinungsbildung zu beeinflussen. Damit können Bilder auch immer wieder Fakten schaffen und werden zum Ausgangspunkt von Kämpfen um Deutungshoheiten. Diese Macht lässt Bilder anfällig werden für Instrumentalisierung und Manipulation. Gleichzeitig wird die Rolle der Glaubwürdigkeit von Bildern immer wieder neu verhandelt. Was gilt als authentisch? Wann dienen sie als Belege für Fakten, wann geht es eher um eine gute Erzählung? Dabei ist der Schritt zur Trivialisierung von politischen Inhalten im Wettbewerb um das beste Bild oft nicht groß.
Fest steht: Bilder sind eine starke politische Währung. Wer Politik machen will, braucht Bilder. Das gilt für Kräfte, die die parlamentarische Demokratie bedrohen, ebenso wie für diejenigen, die sie schützen.
Ein Blick zurück in das „Jahrhundert der Bilder“ gibt Einsichten in das Zusammenspiel von der Demokratie und ihren Bildern und Antworten auf die Frage, wieso es sich oft lohnt, zweimal hinzuschauen.
Bilder für das Bilderlose?
Demokratie zu bebildern ist eine Herausforderung, denn in Abgrenzung zu anderen Herrschaftsformen ist sie in ihrer Idee bilderlos: „Die Demokratie hat keine Denkmäler. Sie prägt keine Medaillen. Sie trägt den Kopf von niemandem auf einer Münze“, stellte der US-amerikanische Präsident John Quincy Adams 1831 fest. Auch wenn das vor allem heute nicht mehr ganz zutrifft, verweist Adams Aussage auf eine zentrale Herausforderung der Demokratie: Durch bildliche Zurückhaltung geht ihr ein enormes Identifikations- und Emotionalisierungspotenzial verloren. Ein Problem, das antidemokratische Kräfte und Ideologie selten haben. Sie scheuen sich nicht vor dem massenhaften Einsatz von oft durch nationaltümelnde Ästhetik geprägtem Bildmaterial und pathetischen Symbolen. Für eine prodemokratische Lobbyarbeit ist der Kampf gegen diese Bilderfluten eine Herausforderung. Zwar bemühten sich die Bundesregierungen immer wieder um positive Bilder und Symbole, und auch Denkmäler gibt es durchaus, doch tragende Motive zu finden ist offenbar schwer. Heute wird nicht einmal das Originaldokument des Grundgesetzes öffentlich ausgestellt und damit auf ein erhebliches Stück Anziehungskraft verzichtet. So wirkt der Maschinenraum der Demokratie oft trist, Aktenrückengrau und Bundestagsblau entfachen schwerlich Begeisterung.
Zwischen Nüchternheit und neuer Strahlkraft
Bereits die Gründung der Bundesrepublik beginnt visuell zurückhaltend. Nach dem Kriegsende war die Bonner Republik bestrebt, sich von nationalsozialistischer Bildtheatralik abzuheben, und ging verhalten mit dem Einsatz von nationalen Symbolen um. Die bekannten neu-sachlichen Fotografien Erna Wagner-Hehmkes von der Unterzeichnung des Grundgesetzes im Mai 1949 stehen sinnbildlich für diesen Stil. Diese visuelle Zurückhaltung war vielleicht international gerne gesehen, für die Strahlkraft nach innen fehlte es diesen Bildern hingegen an Wirkungsmacht. Hier waren es die Bilder von Konsum und Wirtschaftswunder, von dem millionsten VW-Käfer, die nicht nur den Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft widerspiegeln sollten, sondern von der Bevölkerung auch positiv mit der Demokratie verknüpft wurden.
Die Bildsprache der Politik wurde mit den Jahrzehnten ausdifferenzierter und problembezogener. Fotografische „Homestories“ aus dem Bundeskanzleramt oder eine Image-Kampagne der Regierung Willy Brandts von 1970 mit Fotografien vom bekannten Werbefotografen Charles Wilp zeigen die gestiegene Aufmerksamkeit, die Politik und Wähler*innen dem Visuellen zukommen ließen. Mit der Verbreiterung der Medienlandschaft und der steigenden Zugänglichkeit von medialen Öffentlichkeitsräumen musste sich die Politik jedoch auch an den sich wandelnden und wachsenden kommunikativen Ansprüchen der Bevölkerung messen lassen.
Helmut Schmidt und die Medien
Auch Helmut Schmidt wusste die Wirkung von Bildern und Symbolen zu nutzen, um seine politischen Botschaften zu vermitteln – und das nicht erst seit seiner Kanzlerschaft. Bereits zur Bundestagswahl 1957 ließ Schmidt einen Wahlwerbespot produzieren, in dem er nach amerikanischem Vorbild samt Familie zu sehen war. Schmidt wusste insbesondere die Hamburger Wähler*innen immer wieder anzusprechen, zum Beispiel bei seinem Auftritt zur Elbtunneleröffnung 1975 samt typischer Lotsenmütze. Er präsentierte sich stets zupackend und sachorientiert. Das visuelle Selbstverständnis der jungen Bundesrepublik prägte er damit entscheidend mit.
Während seiner Amtszeit als Bundeskanzler wurde Schmidt mit bildgewaltigen Ereignissen konfrontiert: Anti-AKW- und Friedensproteste oder der RAF-Terrorismus. Die Antworten darauf mussten häufig nicht nur politische, sondern auch kommunikative Lösungen beinhalten, um angemessen auf die Bilder der Konflikte und Krisen zu reagieren.
Den durch die RAF verursachten Gewaltbildern konnte Schmidt mit seinem sachlichen Auftritt und klarer Sprache bei seiner Fernsehansprache am 5. September 1977 etwas entgegensetzen. Viele sahen in den Fernsehbildern die Stärke des demokratischen Rechtsstaats glaubwürdig präsentiert.
Doch nicht immer gelang Schmidt die Kommunikation so erfolgreich. Während die Anti-AKW-Proteste und die Demonstrationen der Friedensbewegung hunderttausende Menschen auf die Straße trieben und mit bunten, kreativen Bildern kommunizierten, konnten Helmut Schmidt und die Bundesregierung sie sowohl mit ihren Argumenten als auch mit ihrer nüchternen Bildsprache nur schwer erreichen. Und auch die Furcht vor einem antidemokratischen „Atomstaat“ konnte die Regierung vielen Kernkraftgegnern so nicht nehmen. Die Bilder von hochgerüsteten Polizisten, die Bauplätze bewachten, sprachen für sie eine andere Sprache.
Neue Themenführung in unserer Ausstellung
Seit der Amtszeit von Helmut Schmidt ist die Bedeutung von Bildern stetig gestiegen. Das gilt für politische Akteur*innen, aber auch für die Demokratie selbst, die in Zeiten der Krise immer wieder unter Druck gerät. Welche Bilder wählen Politik und zivilgesellschaftliche Initiativen heute, um für die Demokratie zu werben, und welchen visuellen Herausforderungen sehen sie sich durch die sozialen Medien ausgesetzt?
Darüber möchten wir mit Ihnen bei unserer neuen Themenführung „Demokratie im Bild. Helmut Schmidt und die Medien“ in unserer Ausstellung sprechen und gemeinsam fragen, welche Bilder eigentlich von wem, für wen und mit welcher Absicht gemacht werden.
Die Themenführung findet ab Februar 2024 jeden Sonntag um 16:00 Uhr in unserer Ausstellung im Helmut-Schmidt-Forum in Hamburg statt und ist kostenfrei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Private Gruppenführungen können Sie unter buchung@ buchen. helmut-schmidt.de