Hatice Cengiz | Was heißt Speaking up für mich?

Autorin: Hatice Cengiz

Hatice Cengiz (@mercan_resifi) ist eine türkische Akademikerin und Forscherin auf dem Gebiet der Nahoststudien. Ihr Verlobter, der saudi-arabische Journalist Jamal Khashoggi, wurde am 2. Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul ermordet. Seitdem setzt sie sich für Wahrheit und Gerechtigkeit ein und fordert, dass die internationale Gemeinschaft diejenigen zur Rechenschaft zieht, die die Ermordung angeordnet und geplant haben. Sie wird dieses Jahr die Helmut Schmidt Lecture halten. 

Speaking up ist eine Notwendigkeit – in Zeiten, in denen politische Eliten uns unzureichende Rechte anbieten, ist es wichtig, dass wir unsere Stimmen erheben und nach Gerechtigkeit streben. Und es ist eine Pflicht – in Zeiten, in denen Kommunikationstechnologien Teil unseres Lebens sind und es so viel einfacher machen, unsere Stimme zu erheben, um unsere Rechte zu verteidigen, auch diejenigen zu verteidigen, die sich nicht äußern können oder nicht wissen wie.

Das Leben hat mich in erster Linie dazu gebracht, anderen von dem zu berichten, was ich erfahren, nicht von dem, was ich gelesen habe. Vor vier Jahren hat uns alle die Nachricht von der Ermordung eines weltberühmten Journalisten erreicht. Leser*innen und Zuhörer*innen wurden auf unterschiedliche Weise mit dieser Nachricht konfrontiert. Ohne es zu wollen, wurde ich selbst Teil dieser Geschichte. Als ich später feststellte, dass ich sowohl die erste als auch die letzte Zeugin der Geschehnisse war, wurde meine Zeugen- zu einer Opferaussage und letztlich wurde ich zur Verfechterin der Gerechtigkeit, was mir die Last auferlegte seine Stimme zu meiner zu machen.

Während ich vor dem Konsulat wartete, strömten die Medien langsam zum Tatort. Schon bald waren Vertreter*innen aller lokalen und internationalen Medienagenturen anwesend und die Nachricht entfaltete eine große Wirkung. In diesem Moment wurde mir klar, welche Bedeutung die Medien für die Enthüllung des Mordes und die Darstellung der Geschehnisse haben würden. Sowohl die Rolle der Medien als auch die Tragweite meiner Äußerungen waren vom ersten Tag an offensichtlich. Seit diesem Tag haben die Medien den Vorfall nicht mehr losgelassen.

Ich kann mich an mein erstes Interview erinnern, als wäre es erst gestern gewesen. Damals stand ich unter großem Schock. Es fiel mir schwer, mich persönlich zu äußern. Ich musste mich zusammenreißen, um alles erklären zu können, was passiert war. Letztendlich war es ein normaler menschlicher Akt, trotz all des Chaos, des Leids und der Schmerzen. Das Recht, sich zu verteidigen, ist ein natürliches Menschenrecht. Ist ein Mensch nicht in der Lage, sich zu verteidigen, weil er abwesend ist, muss eine andere Person das Wort ergreifen, um ihn zu verteidigen und seine Rechte einzufordern. 

Vor einigen Monaten befragte ein Reporter im Weißen Haus den Sprecher des US-Präsidenten und zitierte dabei einen von mir veröffentlichten Tweet. Leider gab der Sprecher – wie es bei Politikern üblich ist – eine diplomatische Antwort. Trotzdem bedeutete mir dieser Moment sehr viel, denn er verkörpert, was es bedeutet, seine Stimme zu erheben.

Rückblickend konnte ich nicht ahnen, dass eine Reise, die mit einem Interview begann, mich zu der Menschenrechtsverteidigerin machen würde, die ich heute bin. Ich bin fest entschlossen, für meine Rechte in einer Sache einzutreten, bei der ich zweifellos im Recht bin. Um die Veränderungen zu bewirken, die die Welt braucht, muss ich reden, sprechen. Ich muss nicht nur meine eigenen Erfahrungen zur Sprache bringen, sondern auch andere schmerzhafte Ereignisse, die auf der ganzen Welt geschehen. Traurigerweise habe ich aus meiner eigenen Erfahrung lernen müssen, wie wichtig dies ist.

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