Jung. Digital. Engagiert?

Eine Studie zum politischen Informationsverhalten und Engagement junger Menschen in Deutschland

Autor*innen: Tobias Spöri, Nina-Kathrin Wienkoop, Christine Hübner, Jan Eichhorn Juli 2022

  • Zusammenfassung

    Junge Menschen erfolgreich zu politischen Fragen zu informieren und sie in politische Prozesse einzubinden, funktioniert heute anders als noch vor wenigen Jahren: über neue Kanäle, vielfach über Plattformen der sozialen Medien und fast ausschließlich online. Diese Studie ermöglicht ein tiefergehendes Verständnis dafür, wie junge Menschen in Deutschland sich über Politik informieren, wie sie die Kommunikation von Politiker*innen und politischen Parteien wahrnehmen und welche Hürden dabei für Mandatsträger*innen und politische Akteure bestehen.

    Dazu wurden im Rahmen des Projekts „Jung. Digital. Engagiert? Politische Teilhabe und Informationsverhalten junger Menschen“ repräsentative Umfragen analysiert und Fokusgruppen mit jungen Menschen sowie Interviews mit Politiker*innen auf Bundes- und Landesebene durchgeführt. Gemeinsam erarbeiteten die am Projekt beteiligten jungen Menschen und Bundespolitiker*innen praxisnahe Handlungsempfehlungen für den erfolgreichen Austausch von politischen Akteuren und 16- bis 24-Jährigen in Deutschland.

    Um junge Menschen gut zu erreichen, sollten Politiker*innen und politische Parteien keine pauschale Strategie verfolgen, da die junge Zielgruppe sehr heterogen ist. Den sozialen Netzwerken und Online-Medien kommt jedoch in jedem Fall eine entscheidende Rolle zu, weil dort junge Menschen alltäglich aktiv sind. Die Kommunikation von Politiker*innen sollte sich an den Lebensrealitäten der jungen Menschen orientieren, besonders um jene anzusprechen, die sonst kaum oder nie erreicht werden. Grundsätzlich ist jungen Menschen eine professionelle, authentische und auch interaktive Nutzung der sozialen Netzwerke wichtig.

    Durch eine auf die junge Zielgruppe ausgerichtete Online-Kommunikation und den persönlichen und unmittelbaren Austausch mit Politiker*innen, auch jenseits von Schulen, kann die bei jungen Menschen häufig wahrgenommene große Distanz zur institutionalisierten Politik verringert und ihr Interesse an politischen Inhalten gesteigert werden.

    Dieser Bericht fasst die Ergebnisse des Projekts „Jung. Digital. Engagiert? Politische Teilhabe und Informationsverhalten junger Menschen“ zusammen und gibt praxisnahe Handlungsempfehlungen für Politiker*innen und politische Parteien. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung und d|part – Think Tank für politische Partizipation.

  • Handlungsempfehlungen

    Handlungsempfehlungen

    Kanäle und Plattformen – Wo erreicht man junge Menschen?

    • Politiker*innen und politische Parteien sollten in der Kommunikation stärker dort präsent sein, wo junge Menschen präsent sind und sich auch über Politik informieren, zum Beispiel derzeit auf Instagram, YouTube und TikTok.
    • Politische Parteien und Politiker*innen sollten nicht vergessen, auch Formate in den klassischen Medien zu bedienen, sodass diese für junge Menschen in Form von Posts oder Kurzvideos aufbereitet werden können, zum Beispiel über die Kanäle von der Tagesschau, Funk oder anderen Anbietern von Nachrichten.
    • Politische Kommunikation sollte die Lebensrealitäten junger Menschen mitdenken und an die Kommunikationsformen sowie die Funktionsweise der Plattformen und somit an das Medienkonsumverhalten junger Menschen angepasst werden.
    • Beim Erstellen der Kommunikationsstrategien und der Inhalte politischer Kommunikation sollten politische Parteien und Entscheidungsträger*innen junge Menschen direkt miteinbeziehen.
    • Politiker*innen, die bisher kaum in den sozialen Medien aktiv sind, sollten den Sprung wagen und verschiedene Plattformen und Kommunikationsformen ausprobieren.

    Inhalte und Ansprache – Wie erreicht man verschiedene junge Menschen?

    • Ein ausbalancierter Mix von Inhalten auf verschiedenen Plattformen sowie von längeren und kürzeren Formaten ist entscheidend, um möglichst viele junge Menschen mit unterschiedlichem Medienkonsumverhalten anzusprechen.
    • Politische Inhalte sollten an die bestehenden Online-Kanäle angepasst und in Länge und inhaltlicher Tiefe verschieden aufbereitet werden. Nur ein diversifiziertes Angebot kann an den je unterschiedlichen Informations- und Kenntnisstand junger Menschen anknüpfen.
    • Bei der Kommunikation von politischen Inhalten sollte eine professionelle, klare und verständliche Sprache verwendet werden, die politische Inhalte ohne Fachausdrücke erklärt.
    • Inhalte sollten zielgruppengerecht aufbereitet werden und vielfältige, nicht nur vermeintlich jugendspezifische Themen abdecken, da junge Menschen sich für diverse Politikfelder interessieren.
    • Authentizität und persönliche Einblicke ins Berufsleben von Politiker*innen sollten
    • in der Kommunikationsstrategie berücksichtigt werden, da diese Elemente Nähe vermitteln und die von jungen Menschen wahrgenommene Distanz zu Politiker*innen verringern können.

    Interaktion und Dialog – Wie beteiligt man junge Menschen?

    •  Politische Parteien und Politiker*innen sollten die Beiträge und Inhalte der politischen Kommunikation zum Austausch mit jungen Menschen nutzen und nicht als digitale Litfaßsäulen: zum Beispiel mithilfe von Umfragen in den sozialen Netzwerken, durch Beantworten von Direktnachrichten oder eine Bürger*innen-Sprechstunde online.
    • Schulbesuche von Politiker*innen sollten ausgebaut beziehungsweise nach der Pandemie verstärkt unternommen werden, da sie neben reinen Online-Angeboten wichtig sind für den unmittelbaren Austausch zwischen Politiker*innen und jungen Menschen. Dabei sollten Politiker*innen vor allem Haupt-, Real-, Gesamt- und Berufsschulen priorisieren.
    • Außerschulische Angebote zur Interaktion sollten ergänzt werden, um unabhängig vom Bildungsabschluss und der Lebenssituation (Beruf, Ausbildung) für junge Menschen Berührungspunkte mit Politik zu schaffen.
    • Parteistrukturen sollten an die Lebenssituationen junger Menschen angepasst werden, zum Beispiel durch die Möglichkeit eines flexiblen Engagements oder durch parteiinterne Aufstiegsoptionen für junge Menschen.
  • Einleitung

    Jung. Digital. Engagiert? Wie die Politik junge Menschen besser erreichen und motivieren kann

    Politik erfolgreich an junge Menschen zu vermitteln und sie in politische Prozesse einzubinden, funktioniert heute anders als noch vor nur wenigen Jahren. Den Wandel des politischen Engagements und seiner medialen Vermittlung zeigen Erfolge wie die Videos des Influencers Rezo auf YouTube, der hohe Zuspruch zu Protestbewegungen wie Fridays for Future und nicht zuletzt der Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021, der aufgrund pandemischer Eindämmungspolitiken vornehmlich digital stattfinden musste. Das Informationsverhalten junger Menschen – auch das zu politischen Themen – hat sich in den letzten Jahren stark verändert und ist vor allem seit Beginn der Pandemie noch stärker online zentriert (Fußnote 1). 

    Zwischen dem Status quo der an die eigene Wähler*innenschaft gerichteten Kommunikation von Politiker*innen und dem politischen Informationsverhalten junger Menschen unter 25 Jahren bestehen mitunter große Lücken. Es gibt derzeit kaum evidenzbasierte Studien zur effektiven politischen Kommunikation mit jungen Menschen in Deutschland, (Fußnote 2) und so gelingt es politischen Parteien und Entscheidungsträger*innen nur in Ansätzen und Einzelfällen, die Lücken in der Vermittlung politischer Informationen zu schließen. In digitalen Medien, sozialen Netzwerken und mithilfe immer wieder neuer Apps und Trends füllen viele junge Menschen und Influencer*innen außerhalb der politischen Institutionen diese Lücken inzwischen selbst.

    Dabei wäre es mit Blick auf die Herabsenkung des Wahlalters auf 16 Jahre in vielen Bundesländern sowie möglicherweise in Zukunft auf Bundesebene dringend notwendig, dass Politiker*innen und politische Parteien wissen, wie sie die „neue“ Wähler*innenschaft erreichen. Mit ihrem Ausruf eines Europäischen Jahres der Jugend verweist auch die Europäische Union 2022 auf die Bedeutung junger Menschen für die Politik und stellt sie bewusst in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Ihnen soll eine höhere Priorität eingeräumt werden und Politikschaffende sind explizit aufgefordert, auf junge Menschen zuzugehen und sie zielgruppengerecht zu politischen Fragen anzusprechen und zu informieren. Denn trotz ihres großen Interesses an Politik gaben fast drei Viertel der unter 25-Jährigen in Deutschland in diesem Jahr an, dass sie sich in politischen Fragen wenig mitgenommen und gehört fühlen (Fußnote 3). Insbesondere für junge Menschen ist die Erfahrung, von der Politik gezielt angesprochen und gehört zu werden, essenziell für die Entwicklung von politischer Selbstwirksamkeit und zur Stärkung ihrer politischen Beteiligung. Wie wissenschaftliche Studien belegen, befördern sich dabei die Nutzung digitaler Medien zur politischen Informationsgewinnung und das politische Engagement junger Menschen wechselseitig (Fußnote 4).

    Wie können politische Entscheidungsträger*innen und Parteien mehr auf junge Menschen zugehen und das Interesse junger Menschen an politischen Themen zielgruppengerecht bedienen – und auf diese Weise mit ihnen in den Austausch treten? Auf Basis eines einjährigen Forschungsprojekts mit jungen Menschen und Landes- sowie Bundespolitiker*innen gibt diese Publikation konkrete und vielseitige Handlungsempfehlungen zu der Frage, über welche Wege junge Menschen sich politisch informieren und wie sie in politische Prozesse eingebunden werden können. Ziel ist es, empirisch fundiert zur Debatte über politisches Engagement und die politische Einbeziehung von jungen Menschen in Deutschland beizutragen und nah an der Praxis Empfehlungen an die Politik zu geben.

    Ein besonderes Anliegen ist es uns, pauschalisierten Aussagen zu einer als homogen konstruierten jungen Generation entgegenzuwirken und stattdessen die Unterschiede innerhalb der Gruppe junger Menschen in Deutschland sowie die Möglichkeiten einer zielgruppengerechten Kommunikation politischer Inhalte aufzuzeigen. Denn obwohl junge Menschen in Deutschland heute fast ausnahmslos regelmäßig online aktiv sind und in ihrem Alltag verschiedene digitale Kanäle nutzen, gilt dies nicht in gleicher Weise für ihre politische Beteiligung. Unter den knapp zwanzig Millionen jungen Menschen unter 25 Jahren in Deutschland gibt es solche, die sich vorwiegend in sozialen Netzwerken zu politischen Fragen informieren und engagieren, während andere sich lieber analog für ihre Interessen einsetzen, und wieder andere sind grundsätzlich schwer für politische Themen zu begeistern – egal ob online oder offline (Fußnote 5). 

    Die richtigen Kommunikationsformen und Informationskanäle für die teils ganz unterschiedlichen jungen Menschen zu finden, darauf geht dieser Bericht in drei Teilen ein: Der erste Teil gibt Einblicke, wie sich junge Menschen zwischen 16 und 24 Jahren in Deutschland zu politischen Fragen informieren und zeigt erfolgreiche Kommunikationsstrategien, die zur jeweiligen Zielgruppe passen, auf. Im zweiten Teil stehen die Inhalte politischer Kommunikation im Fokus: was junge Menschen in Deutschland besonders beschäftigt und welche Art von Inhalten sie von politischen Parteien und Mandatsträger*innen erwarten. Im dritten Teil werden diese Erkenntnisse zum Informationsverhalten junger Menschen und den gewünschten politischen Inhalten mit den Prioritäten für eine effektive Beteiligung junger Menschen an politischen Prozessen verknüpft und es wird erörtert, welche Handlungsempfehlungen sich daraus konkret für die Motivation junger Menschen zur Beteiligung an Politik ergeben. 

    Fußnoten: 

    1. 

    Sabine Andresen, Anna Lips, Renate Möller, Tanja Rusack, Wolfgang Schröer, Severine Thomas und Johanna Wilmes (2020): Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen. Erste Ergebnisse der bundesweiten Studie JuCo, Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim, doi.org/10.18442/120.

    2.

    Ausnahmen bilden Arbeiten aus den USA sowie die Studien von Juan Carlos Medina Serrano (2021): Multiplatform Analysis of Political Communication on Social Media, München: TU München, mediatum.ub.tum.de/doc/1597300/document.pdf (letzter Zugriff: 13.06.2022), und von Marcus Bösch und Chris Köver (2021): Schluss mit lustig? Tiktok als Plattform für politische Kommunikation, Berlin: RosaLuxemburg-Stiftung, www.rosalux.de/publikation/id/44578/schluss-mit-lustig (letzter Zugriff: 13.06.2022).

    3. 

    Vodafone Stiftung (2022): Hört uns zu! Wie junge Menschen die Politik in Deutschland und die Vertretung ihrer Interessen wahrnehmen, Düsseldorf: Vodafone Stiftung, www.vodafone-stiftung.de/jugendstudie-2022/ (letzter Zugriff: 13.06.2022). Insgesamt 2.124 Befragte zwischen 14 und 24 Jahren, Befragungszeitraum 7. bis 27. September 2021.

    4. 

    Jennifer Oser und Shelley Boulianne (2020): Reinforcement Effects between Digital Media Use and Political Participation: A Meta-Analysis of Repeated-Wave Panel Data, in: Public Opinion Quarterly 84, S. 355–365, doi.org/10.1093/poq/nfaa017.

    5. Tobias Spöri, Nina-Kathrin Wienkoop, Jan Eichhorn und Christine Hübner (2021): Jung, digital, engagiert? Welche Rolle „Online“ im politischen Partizipationsmix junger Menschen in Deutschland spielt, BKHS-Blickwinkel #01_2021.

  • Über das Projekt "Jung. Digital. Engagiert?"

    Dieser Bericht fasst die Ergebnisse des einjährigen Forschungsprojektes „Jung. Digital. Engagiert? Politische Teilhabe und Informationsverhalten junger Menschen“ zusammen, einer Kooperation zwischen der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung und d|part – Think Tank für politische Partizipation.

    Ziel des Projekts war es, ein vertieftes Verständnis dafür zu bekommen, wie sich junge Menschen in Deutschland über Politik informieren, wie sie politische Inhalte sowie Informationen von politischen Entscheidungsträger*innen aufnehmen und letztlich, wie sich dieses Informationsverhalten auf ihr politisches Engagement auswirkt. Dazu wurden im Rahmen des Projekts in insgesamt fünf Schritten Daten zum Informations- und Partizipationsverhalten junger Menschen erhoben und ausgewertet, und es wurde mit jungen Menschen im Alter von 16 bis 24 Jahren und politischen Entscheidungsträger*innen aus Landtagen und dem Bundestag diskutiert.

    I.Sekundärdatenanalyse:

    Auswertung bestehender repräsentativer Studien zu politischer Teilhabe und politischem Informationsverhalten junger Menschen in Deutschland. Die Analyse beruht vorwiegend auf den folgenden Datensätzen:

    •  AID:A II – Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten (2014); Deutsches Jugendinstitut
    •  AID:A 2019 – Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten (2019); Deutsches Jugendinstitut
    • Generation Z (2020); Presse und Informationsamt der Bundesregierung

    II.Gruppendiskussionen mit jungen Menschen zu Informationsverhalten und Motivation sowie Barrieren für politische Beteiligung:

    Die Fokusgruppendiskussion fand im Juli 2021 in Hamburg unter Einhaltung aller geltenden Corona- Bestimmungen statt. Hier wurde in vier Einzelgruppen bestehend aus je sechs jungen Menschen im Alter von 16 bis 24 über das Informationsverhalten in Bezug auf Politik und über die politische Teilhabe der Teilnehmenden diskutiert. Die Gruppen wurden dabei so ausgewählt, dass sie sich in ihrer politischen Teilhabe deutlich unterschieden:

    • Gruppe A: sowohl Online- als auch Offline-Teilhabe in den vergangenen 12 Monaten
    • Gruppe B: nur Online-Teilhabe in den vergangenen 12 Monaten
    •  Gruppe C: nur Offline-Teilhabe in den vergangenen 12 Monaten
    • Gruppe D: weder Online- noch Offline-Teilhabe in den vergangenen 12 Monaten

    Zitate von Teilnehmenden aus Gruppendiskussionen aus Hamburg wurden anonymisiert und sind im Folgenden mit dem Kürzel „HFG“ gekennzeichnet.

    III.Interviews mit Politiker*innen:

    Zwischen Dezember 2021 und März 2022 wurden zwölf leitfadengestützte Interviews mit Mitgliedern des Bundestags und aus fünf Landtagen zu ihren Einschätzungen zu politischer Teilhabe und dem Informationsverhalten junger Menschen geführt. Angefragt waren alle im Bundestag vertretenen Parteien. Es wurden vorwiegend Politiker*innen interviewt, die dezidiert nicht zu jugendpolitischen Themen arbeiten. Die Liste der Interviewpartner*innen befindet sich im Anhang.

    Gruppendiskussionen mit jungen Menschen zum Umgang mit politischen Inhalten:

    Die Fokusgruppendiskussion wurde im März 2022 in Leipzig unter Einhaltung aller geltenden Corona-Bestimmungen abgehalten. Hier wurden in vier Einzelgruppen bestehend aus je sechs jungen Menschen im Alter von 16 bis 24 verschiedene Kommunikationsformen von Politiker*innen und Parteien (Wahlplakate, TVDuelle, Soziale-Medien-Auftritte wie TikTok-Videos oder Instagram Livestreams) gezeigt und diskutiert. Die Gruppen waren dabei im Gegensatz zu den ersten Fokusgruppen heterogen zusammengesetzt, sodass in jeder Fokusgruppe alle Typen politischer Teilhabe (siehe die Einzelgruppen unter Punkt II) vertreten waren. Zitate von Teilnehmenden aus Gruppendiskussionen aus Leipzig wurden anonymisiert und sind im Folgenden mit dem Kürzel „LFG“ gekennzeichnet.

    IV.Erarbeitung von Handlungsempfehlungen in einem Workshop mit jungen Menschen und politischen Entscheidungsträger*innen:

    Der Workshop fand im April 2022 im Bundestag statt. Dabei diskutierten, coronabedingt in kleiner Runde, vier politisch interessierte junge Menschen die Ergebnisse der Studien mit einem Abgeordneten des Bundestags. Gemeinsam erarbeitete die Gruppe Handlungsempfehlungen dafür, wie eine an junge Menschen gerichtete, zielgruppenspezifische politische Kommunikation aussehen kann. Im Vorfeld des Workshops wurden alle Parteien eingeladen, mit denen im Projekt Interviews geführt wurden. Die Ergebnisse der Sekundärdatenanalyse (I) und der Fokusgruppe zur Dateninterpretation (II) wurden als BKHS-Blickwinkel „Jung, digital, engagiert? Welche Rolle ‚Online‘ im politischen Partizipationsmix junger Menschen in Deutschland spielt“ im September 2021 veröffentlicht (Fußnote 6). In diesem Abschlussbericht wurden wie im Zwischenbericht die Namen aller Teilnehmenden in beiden Fokusgruppen sowie im Workshop geändert.

    Fußnote: 

    6. Tobias Spöri, Nina-Kathrin Wienkoop, Jan Eichhorn und Christine Hübner (2021): Jung, digital, engagiert?
    Welche Rolle „Online“ im politischen Partizipationsmix junger Menschen in Deutschland spielt, BKHS-Blickwinkel #01_2021.

  • Teil 1: Über verschiedene Kanäle junge Menschen zielgruppengerecht ansprechen

    Junge Menschen nutzen diverse Kanäle, um sich über Politik zu informieren. Ob als Teil der täglichen Routine, auf der spezifischen Suche nach Nachrichten oder beim zufälligen Stolpern über Informationen zu politischen Fragen – die meisten jungen Menschen beziehen ihre Informationen über das politische Geschehen nahezu ausschließlich online. Dabei nutzen viele von ihnen etablierte Kanäle, wie die Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Medien auf Instagram oder per App, insbesondere die der Tagesschau. Hierbei zeigt sich, dass soziale Medien keineswegs getrennt von etablierten Medien genutzt werden, sondern vielmehr den Zugang zu diesen ermöglichen, indem sie Informationen formatspezifisch aufbereiten.

    Es gibt aber auch viele und immer wieder neue Plattformen, wie jüngst TikTok, über die junge Menschen auf politische Themen aufmerksam werden. Ihre Beliebtheit und der Grad ihrer Nutzung für politische Inhalte unterliegt mitunter extremer Schnelllebigkeit. Zur vorletzten Bundestagswahl 2017 beispielsweise spielten Instagram und TikTok für die 16- bis 24-Jährigen noch überhaupt keine Rolle bei der Suche nach politischen Informationen. Schon vier Jahre später gab fast die Hälfte der Befragten in diesem Altersspektrum (46 Prozent) an, Instagram zur politischen Information zu nutzen und immerhin ein Viertel der 16- bis 20-Jährigen nutzte dafür auch TikTok (Fußnote 7).

    Bei der großen Vielfalt an Informationskanälen wählen junge Menschen sowohl bewusst als auch unbewusst bestimmte Kanäle, um sich über Politik auf dem Laufenden zu halten. Somit lässt sich kein pauschaler Zugang identifizieren, über den junge Menschen mit politischen Inhalten erreicht werden können und der sich auf die gesamte Zielgruppe übertragen ließe. Vielmehr müssen die einzelnen Zielgruppen junger Menschen durch die richtige Wahl der Informationskanäle je spezifisch angesprochen werden.

    Junge Menschen interessieren sich für eine Vielzahl von politischen Themen

    Der im öffentlichen Diskurs mitunter immer noch bestehende Mythos, dass sich junge Menschen kaum für Politik interessierten und häufig unpolitisch seien, entspricht nicht der Realität. Vielmehr ist die Gruppe der jungen Menschen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren sehr heterogen in Bezug auf ihr Informationsverhalten und ihren Kenntnisstand über Politik. Fast jede*r Dritte unter 25 Jahren (30 Prozent) informiert sich täglich zu politischen Themen. Etwa die Hälfte der jungen Menschen informiert sich wöchentlich (46 Prozent) und nur knapp ein Viertel informiert sich selten beziehungsweise nie über Politik (24 Prozent) (Fußnote 8). Für eine überwiegende Mehrheit von jungen Menschen gibt es bestimmte politische Themen, die ihnen besonders wichtig sind. Nahezu alle Teilnehmenden unserer Diskussionsrunden nannten auf Anhieb für sie wichtige politische Themen. Selbst jene Teilnehmenden, die angaben, sich eher nicht für Politik zu interessieren, wenig Berührungspunkte mit Politik zu haben und sich auch nicht politisch zu beteiligen, konnten sofort politische Themen auflisten, die für sie von großer Bedeutung sind.

    Dabei sind jungen Menschen nicht nur die Themen Klima- und Umweltschutz, Bildung oder Digitalisierung wichtig – Themen, die im öffentlichen Diskurs teilweise als „Jugendthemen“ charakterisiert werden. Viele junge Menschen interessieren sich für eine ganze Reihe unterschiedlicher politischer Fragen, darunter solche aus den Bereichen Sozial- oder Außenpolitik (Fußnote 9). Die Teilnehmenden der Diskussionsrunden nannten eine Bandbreite an für sie relevanten Themen, die weit über das enge Feld der Jugendpolitik oder von Politikfeldern wie Klimapolitik hinausgeht.

    Insofern ist die generalisierende Zuschreibung junger Menschen als „unpolitisch“ hoch problematisch. Denn junge Menschen nehmen durchaus eine Vielzahl politischer Probleme wahr, ordnen diese selbst aber nicht immer zwingend als etwas „Politisches“ ein. Das verbindet die überwiegende Mehrzahl der Befragten.

    Unterschiede zwischen jungen Menschen bestehen hingegen darin, welche Bedeutung sie Politik beimessen, wie viele Berührungspunkte sie mit Politik haben beziehungsweise wie groß die wahrgenommene Distanz zur Politik ist oder wie ausgeprägt ihr politisches Interesse ist. Ob und wie junge Menschen politische Themen als solche wahrnehmen und welchen Zugang zu politischen Themen sie erfahren, hängt dabei vielfach von ihrem sozio-demografischen Hintergrund sowie von ihrem sozialen und schulischen Umfeld ab. So berichteten von den Fokusgruppenteilnehmenden insbesondere diejenigen, wenig Anknüpfungspunkte zur Politik zu haben, die ihre schulische Laufbahn nach der Real- oder Hauptschule beendet hatten (Fußnote 10). 

    Obwohl auch diese jungen Menschen deutliches Interesse an politischen Themen zeigen und Anliegen und Probleme formulieren, scheint es politischen Akteuren bisher nicht zu gelingen, diese jungen Menschen explizit in ihrem politischen Interesse anzusprechen. Fast alle jungen Menschen beziehen Informationen zu Politik online, aber über eine Vielzahl an sowohl neuen als auch etablierten Kanälen Unterschiede im Zugang zu politischen Informationen innerhalb der jungen Zielgruppe wirken sich stark darauf aus, wie junge Menschen mit politischen Informationen erreicht werden und wie sie politisch teilhaben können. Zwar informieren sich heutzutage fast alle jungen Menschen nahezu ausschließlich online über Politik, wie sowohl repräsentative Studien als auch die Gespräche unter unseren Fokusgruppenteilnehmenden deutlich machen. Aber es besteht eine große Bandbreite darin, wie junge Menschen politische Themen online wahrnehmen und wie sie erreicht werden können.

    Der Generation Z-Datensatz (Fußnote 11) gibt einen Überblick darüber, welche Medienformate junge Menschen konsumieren, wenn sie sich über Politik informieren wollen. Die drei meistgenannten Quellen sind dabei Online-Zeitungen, TV-Nachrichten und „Google“. Unter dem Stichwort „Google“ sind sowohl das Suchen von spezifischen Informationen mithilfe der Suchmaschine gemeint als auch der Google Newsfeed, bei dem, basierend auf dem Nutzungsverhalten der jeweiligen Person, Nachrichten vorgeschlagen werden.

    "Es gibt ja diesen Google News Feed, der spricht mich tatsächlich sehr häufig an. Das erschreckt mich manchmal ein bisschen." Helena, 24 (HFG)

    Auffällig ist dabei, dass für den Online-Informationskonsum zu politischen Themen häufig etablierte Medien, beispielsweise die vielfältigen Medienangebote der Tagesschau oder von Funk, einem Content-Netzwerk von ARD und ZDF, das diverse Kanäle der sozialen Medien bespielt, genutzt werden, beispielsweise das Format „Deutschland 3000“. Die klassischen Fernsehnachrichten, sogenanntes „lineares Fernsehen“, oder Printzeitungen hingegen werden meist nur mit den Eltern zusammen oder gegebenenfalls im Elternhaus konsumiert, sofern diese eine Tageszeitung abonniert haben.

    "Bei mir war es die Tagesschau im Fernsehen, aber inzwischen gucke ich kein Fernsehen mehr und ich finde es einfach viel entspannter auf Social Media, einfach herunterzuscrollen, da kann man sich die Themen einfach nur angucken, die einen auch interessieren." Ali, 16 (HFG)

    Auf die Frage nach der Nutzung renommierter Qualitätszeitungen berichtete die Mehrheit der teilnehmenden jungen Menschen, dass sie zwar von den Artikeln dieser Zeitungen online, beispielsweise im Newsfeed, angesprochen werden, diese aber mitunter aufgrund der vermuteten Komplexität oder der Bezahlschranke nicht lesen. Besonders die Voraussetzung, ein Abonnement abzuschließen und sich somit an ein Medium zu binden, ist für junge Menschen oft unattraktiv – ähnlich wie wir es bereits in Bezug auf formale Mitgliedschaften bei Parteien und Organisationen kennen und als langjährigen Trend beobachten (Fußnote 13).

    Vielmehr wollen sie bewusst und selbstbestimmt abhängig vom eigenen Interesse auswählen. Dieses Nutzungsverhalten junger Menschen wurde auch von den interviewten politischen Entscheidungsträger*innen so eingeschätzt. Alle Politiker*innen waren sich bewusst, dass junge Menschen kaum über analoge Tages- oder Regionalzeitungen zu erreichen sind, sondern dass sich junge Menschen vorwiegend online über Politik informieren. Der Tatsache, dass klassische Medien, wie beispielsweise die Tagesschau, für junge Menschen weiterhin sehr wohl eine wichtige Rolle spielen, wenn auch in neuen Formaten oder nur, wenn Inhalte nicht hinter einer Bezahlschranke verborgen sind, waren sich dagegen nur wenige interviewte Politiker*innen bewusst. Zwischen Jüngeren und Älteren gibt es somit nicht nur Unterschiede in der Wahrnehmung und Nutzung von Informationsquellen, sondern auch in der Art und Weise, wie letztlich dieselben politischen Informationen konsumiert werden. Hier klafft die Wahrnehmung von Seiten der Politik und die gelebte Realität junger Menschen in Teilen auseinander. YouTube, Instagram und TikTok werden für politische Inhalte immer wichtiger Soziale Medien, allen voran soziale Netzwerke wie YouTube, Instagram und TikTok gewinnen zunehmend an Bedeutung als Informationsquellen für junge Menschen zwischen 16 und 24. Hier ist der Vergleich der Bundestagswahlen 2017 und 2021 lohnenswert. So nutzten in der Zielgruppe im Alter von 16 bis 24 Jahren 2017 rund 60 Prozent der jungen Menschen soziale Medien, um sich über den Wahlkampf zu informieren oder politische Inhalte zu teilen; 2021 waren es bereits fünf von sechs jungen Menschen (85 Prozent).

    Hier stechen vor allem die Plattformen YouTube und Instagram und bei den unter 20-Jährigen auch vermehrt TikTok heraus. Ihre Bedeutung für die Suche nach politischen Informationen hat sich zwischen den beiden Wahlkämpfen massiv vergrößert. Instagram ist für viele der 16- bis 24-Jährigen eine zentrale Plattform geworden, wohingegen TikTok derzeit vor allem für diejenigen zwischen 16 und 20 Jahren von besonderer Relevanz ist. In der Altersgruppe bis 20 Jahren nutzt jede vierte Person TikTok für politische Inhalte (25 Prozent), bei den 16- und 17-Jährigen ist es sogar fast jede dritte Person. Wie Abbildung 3 zeigt, ist die Landschaft der Apps und Plattformen sehr schnelllebig. Dies stellt nicht zuletzt für politische Parteien und
    Politiker*innen eine große Herausforderung dar.

    Digitale Informationsangebote und Plattformen der sozialen Medien wie Instagram oder TikTok unterscheiden sich nicht nur darin, von welcher Altersgruppe sie vorwiegend genutzt werden, sondern auch in ihrer Kommunikationsform. Die Plattformen bieten verschiedene Formate, die in ihrer Länge und ihrem Kommunikationsformat (Text, Bild, Video) und somit auch in ihrem potenziellen Informationsgehalt divergieren. Dadurch sprechen die einzelnen Plattformen teilweise verschiedene Bedürfnisse unterschiedlicher junger Menschen an. Insbesondere im Vergleich zu Webseiten bevorzugen viele junge Menschen soziale Medien als Informationsquellen zu politischen Nachrichten, weil sie diese als zugänglicher und übersichtlicher bewerten.

    Zudem betonen junge Menschen die Relevanz des Zeitaufwandes. Immer wieder kam in den Diskussionsrunden zur Sprache, dass junge Menschen es schätzen, wenn Informationen einfach und schnell zu finden sowie die Inhalte verständlich und kurz aufbereitet sind.

    "Auf Social Media-Plattformen ist der Aufwand etwas [über Parteien] zu finden am geringsten, als wenn du dich über die gesamte Homepage klickst und Ewigkeiten suchst." Simon, 23 (LFG)

    Die Plattformen der sozialen Medien bieten verschiedene Möglichkeiten, sowohl kurze als auch längere Inhalte zu verbreiten. Bei Instagram etwa können kurze Formate wie Postings von Bildern oder Kurzvideos (sogenannte Reels) und Stories genutzt werden, während Instagram Live eine Gelegenheit bietet, längere Inhalte per Video live zu streamen, die auch im Nachhinein noch angeschaut werden können. TikTok hingegen lebt von sehr kurzen Inhalten. Die meisten TikTok-Videos haben eine maximale Länge von 15 Sekunden. Hier stehen politische Mandatsträger*innen vor der Herausforderung, komplexe politische Themen in aller Kürze aufzubereiten, um sich diesem Format anzupassen. Bei Videoformaten spielt vor allem die Länge der Beiträge eine große Rolle für die Art der Nutzung durch junge Menschen. Längere Videos von mehr als ein paar Minuten haben viele Teilnehmende der Diskussionsrunden nicht angesprochen, da sie dabei das Zeitinvestment als zu groß empfanden. Dies machte sich vor allem bei jenen Teilnehmenden bemerkbar, die bis dahin kaum Berührungspunkte mit Politik hatten, sich seltener zu politischen Themen informierten und sich auch weniger politisch beteiligten.

    [Zum Triell im Bundestagswahlkampf 2021] "Junge Menschen haben nie Geduld und würden sich sowas nicht stundenlang anschauen." Lina, 21 (LFG)

    Längere Videoformate, vor allem auf YouTube, wurden hingegen vor allem von jenen geschätzt, die sich stärker für Politik interessieren. Diese Zielgruppe ist bereit, mehr Zeit zu investieren und nutzt längere Videoformate auf der gezielten Suche nach tiefergehenden politischen Informationen zu bestimmten Themen.

    Unabhängig von der Gesamtlänge der Beiträge zeigte sich außerdem, dass vor allem die ersten Sekunden eines Videos entscheidend sind. Die Teilnehmenden der Diskussionsrunden erklärten, dass längere Videos durchaus verschiedene Gruppen junger Menschen zu politischen Themen ansprechen können, sofern ein interessanter Anfang innerhalb der ersten 30 Sekunden zum Weiterschauen animiert. So erlangten zum Beispiel die Videos des YouTubers Rezo eine weite Verbreitung unter jungen Menschen und wurden von vielen Teilnehmenden der Diskussionsrunden als positives Beispiel für eine zielgruppengerechte Nutzung von YouTube genannt.

    "Wenn mich das YouTube-Video in den ersten 30 Sekunden packt, dann bleibe ich dran. Wenn es nichts Interessantes gibt, dann mache ich was anderes." Sandra, 21 (LFG)

    Hürden der politischen Kommunikation: junge Menschen in den sozialen Medien
    erreichen – aber wie?

    Insbesondere beim medialen Nutzungsverhalten kommen junge Menschen mit politischen Parteien und Entscheidungsträger*innen bisher kaum zusammen. Während viele junge Menschen Politiker*innen in den sozialen Netzwerken nicht oder kaum wahrnehmen oder ihnen bewusst nicht folgen, sehen umgekehrt Politiker*innen die Kommunikation mit jungen Menschen über die sozialen Medien vielfach als Hürde an. In den Diskussionsrunden gaben viele junge Menschen zum Beispiel an, dass sie selbst kaum soziale Medienkanäle von politischen Parteien oder Politiker*innen abonniert haben. Darüber hinaus betrachten diejenigen, die sich regelmäßig über politische Nachrichten informieren, die sozialen Medienkanäle von Politiker*innen nicht als eine Option, um solche Informationen abzurufen.

    "Das Problem ist, dass die Generation von Politikern nicht wirklich auf Social Media ist." Lina, 21 (LFG)

    "Ich würde Politiker persönlich nicht [in sozialen Medien] abonnieren. Wenn es mich interessiert, würde ich gezielt nachschauen." Gregor, 22 (LFG)

    Dieses medialen Nutzungsverhaltens waren sich einige, aber keineswegs alle interviewten Politiker*innen bewusst. Einige nannten die geringe Reichweite ihrer eigenen Formate in den sozialen Medien als eine Hürde für die Kommunikation politischer Inhalte an junge Menschen. Wenn es aber um die Gründe für die fehlende Reichweite geht, also darum, zu verstehen, warum so wenige junge Menschen Politiker*innen direkt in den sozialen Medien folgen, so zeigt sich, dass in den politischen Parteien und bei Politiker*innen noch mehr Aufklärung über das Informationsverhalten junger Menschen nötig ist.

    "Es ist jetzt nicht so, dass besonders viele jungen Leute auf den PolitikerAccounts unterwegs wären." Nils Schmid, MdB (SPD)

    "Wir stellen uns auf den sozialen Medien nicht besonders geschickt an und haben dort auch keine Reichweiten." Andreas Schmidt, MdL (SPD)

    "Da ist bei uns noch sehr viel Luft nach oben, aber zumindest findet bei uns insofern ein Umdenken statt, dass man solche Kanäle nutzen muss." Heidi Reichinnek, MdB (Die Linke)

    [Angesprochen auf die Ergebnisse der Union bei jungen Wähler*innen bei der Bundestagswahl 2021] "Wir [als Union] müssen die Art und Weise überdenken, wie wir gegenüber Erstwählern auftreten." Stephan Mayer, MdB (CSU)

    Vor allem die Vielzahl der Kanäle und das Bespielen verschiedener Plattformen stellt für Politiker*innen ein großes Hindernis in der Kommunikation mit jungen Menschen dar – und das selbst dann, wenn sie schon Erfahrungen auf diversen Plattformen gesammelt haben. Einige Politiker*innen haben das Gefühl, alle potenziell möglichen von jungen Menschen genutzten Kanäle bespielen zu müssen, ohne dass sie wissen, wie und mit welcher Priorität das strategisch sinnvoll ist.

    "Es ist nicht einfacher geworden, da es so viele Medien gibt, über die man versucht unterschiedliche Personen zu erreichen. All diese Kanäle dann auch adäquat dem Medium und der Zielgruppe entsprechend zu bespielen, ist wahnsinnig aufwendig." Isabel Cademartori, MdB (SPD)

    "Die Schwierigkeit ist genau die Frage, was der richtige Kommunikationskanal oder die Kanäle sind, mit denen man noch besser die jungen Menschen erreicht." Thomas Erndl, MdB (CSU)

    Eine zusätzliche Hürde für Politiker*innen und politische Parteien bei der Kommunikation mit jungen Menschen in den sozialen Netzwerken stellen Algorithmen dar. Da viele junge Menschen politischen Kanälen nicht direkt folgen oder diese nicht abonniert haben, bekommen sie politische Inhalte vorrangig durch den Filter von Algorithmen in ihren Newsfeed oder ihre Timeline. Einige junge Menschen gaben auch an, dass sie bezahlte Werbungen von politischen Parteien oder Politiker*innen in den sozialen Medien gesehen hatten. Somit stoßen viele junge Menschen scheinbar zufällig auf politische Inhalte, was natürlich besonders für Politiker*innen eine große Herausforderung darstellt. Eine Schwierigkeit dabei ist, dass die Auftritte von Politiker*innen immer möglichst viele Menschen ansprechen sollen, häufig aber nur von einer kleinen Gruppe junger Menschen wirklich gesehen und von noch weniger jungen Menschen aktiv verfolgt werden.

    Über verschiedene Plattformen jungen Menschen vielfältige Informationsangebote machen – Crossplatforming und Algorithmen nutzen lernen

    Es gibt für Politiker*innen und politische Parteien kein Patentrezept, diese Hürden in der Kommunikation mit jungen Menschen in digitalen, neuen und vor allem sozialen Medien zu überwinden. Aber durch Ausprobieren, Crossplatforming – damit meinen wir das Bereitstellen ähnlicher Inhalte in verschiedenen Formaten und auf unterschiedlichen Plattformen – sowie durch die Einbeziehung junger Menschen in die Entwicklung von politischer Kommunikation für junge Zielgruppen lässt sich ein besseres Verständnis des Nutzungsverhaltens verschiedener junger Menschen erarbeiten. Somit können erfolgreiche Formate aufgebaut werden.

    Politiker*innen sollten dort präsenter sein, wo junge Menschen sich aufhalten, um diese dann zielgruppengerecht, das heißt auch mit den richtigen Formaten anzusprechen. Diese Einschätzung teilten auch einige der interviewten Politiker*innen, vorwiegend die jüngeren.

    [Auf die Frage, warum es manchen Politiker*innen nicht gelingt, junge Menschen über soziale Netzwerke anzusprechen] "Dann machen sie halt keine Reels. Konsterniert vor meinen sieben Kanälen zu sitzen und zu sagen „ich erreiche halt niemanden“, reicht halt nicht." Tobias B. Bacherle, MdB (Bündnis 90/Die Grünen)

    Angesichts der Vielzahl an immer neuen Plattformen und der Vielfalt im Nutzungsverhalten junger Menschen ist es wichtig, dass junge Menschen auf verschiedenen Plattformen zielgerichtet zu politischen Themen angesprochen werden. Als gutes Beispiel dafür wurden in den Diskussionsrunden immer wieder die Angebote der Tagesschau und von Funk, dem Medienangebot von ARD und ZDF, erwähnt. Diese sind auf mehreren Kanälen mit unterschiedlichen Formaten präsent. Gerade zentrale Informationen oder Kampagnen von politischen Parteien und Politiker*innen sollten deshalb für unterschiedliche Kanäle spezifisch aufbereitet werden. YouTube, Podcasts oder Instagram Live bieten sich an, um für die in der Tiefe interessierten jungen Menschen politische Inhalte und Informationen bereitzustellen. Weniger an Politik Interessierte oder junge Menschen mit weniger Zeit lassen sich eher durch kurze Formate erreichen, wie TikToks oder kurze Postings auf Instagram.

    "TikTok ist das beste Beispiel […] Ich finde, dass man in die 1-Minuten-Videos nicht so viel Inhalt reinpacken kann, aber ich denke, an sich ist es eine gute Möglichkeit, weil man damit extrem viele Leute erreicht, weil das halt einfach gerade das Medium ist, was so gefühlt jeder benutzt." Lea, 20 (LFG)

    Dabei gilt es auch zu bedenken, dass nicht alle jungen Menschen alle Plattformen gleichermaßen nutzen. Obwohl manche der Teilnehmenden die politischen Inhalte, beispielsweise ein bei den Diskussionsrunden gezeigtes Instagram Live, durchaus interessant fanden, stellten sie klar, dass sie dieses Video aufgrund ihres Nutzungsverhaltens auf der Plattform nie gesehen hätten.

    "Ich glaube, selbst wenn man das [Instagram Live] hochlädt, dass es kaum jemand danach sich anguckt. Wer bekommt denn so was überhaupt mit, wann die mal live sind?" Dominik, 17 (LFG)

    Dieses Beispiel verdeutlicht zudem, wie wichtig die Präsenz mit unterschiedlichen Formaten auf den gängigen Plattformen ist. Während manche jungen Menschen sich das gesamte Instagram Live anschauen würden, stößt andere das Format aufgrund der Länge und der Plattform ab. Letztere Gruppe würde das circa 90-minütige Format auf Instagram lieber kurz und prägnant auf YouTube zusammengefasst bekommen. Dies bedeutet zwar einen erheblichen Mehraufwand für Politiker*innen und politische Parteien, da politische Inhalte an verschiedene Plattformen und Konsumverhalten angepasst werden müssen. Allerdings erreicht man nur so eine möglichst große Gruppe an jungen Menschen mit unterschiedlichem politischen Informationsverhalten.

    Wichtig ist weiterhin das stetige Bespielen von Online-Kanälen, was überdies häufig dazu führt, dass Algorithmen jungen Menschen die politischen Inhalte vermehrt anzeigen. Das wurde unter anderem von einigen politisch interessierten jungen Menschen erklärt, denen im Bundestagswahlkampf 2021 eine erhöhte Aktivität von einigen Jugendpartei-Organisationen in ihren sozialen Netzwerken aufgefallen war.

    "Ich denke, dass vor allem die Jusos und die JuLis sehr aktiv und erfolgreich auf Social Media sind. Sie verschwinden nicht aus den Timelines und man hat das Gefühl, dass dort immer etwas passiert." Ariana, 21 (Workshop)

    Um die Präsenz in Newsfeeds junger Menschen zu verstetigen, sollten Politiker*innen daher nicht nur auf Ad-hoc-Kommunikation und -Postings setzen, sondern auch den kontinuierlichen Ausbau ihrer Follower*innen angehen. Ein solcher Aufbau eines Kanals mit großer Reichweite ermöglicht zudem die direkte Ansprache einer entstehenden Community und bietet somit die Chance, ebenso direkte Reaktionen auf politische Inhalte und eigene Positionen zu bekommen.

    Handlungsempfehlungen

     

    • Politiker*innen und politische Parteien sollten in der Kommunikation nicht nur stärker dort präsent sein, wo junge Menschen unterwegs sind und sich unter anderem auch über Politik informieren – also primär online wie beispielsweise auf Instagram, YouTube und TikTok. Um junge Menschen dort zielgruppengerecht zu erreichen, sollten die politischen Inhalte an die verschiedenen Kommunikationsformen sowie an die Funktionsweise der jeweiligen Plattform und somit letztlich auch an das diverse Medienkonsumverhalten junger Menschen angepasst werden.
    • Um in der Kommunikation von politischen Inhalten möglichst viele junge Menschen mit unterschiedlichem Medienkonsumverhalten anzusprechen, ist ein ausbalancierter Mix von verschiedenen Plattformen und aus längeren und kürzeren Formaten entscheidend. Kürzere, prägnante Formate sprechen junge Menschen in der Breite an, längere und inhaltlich tiefergehende Formate vor allem den politisch bereits interessierten Teil der jungen Zielgruppe.
    • Nicht vergessen sollten politische Parteien und Politiker*innen, auch spezifische Formate in den klassischen Medien zu bedienen, sodass diese für junge Menschen aufbereitet werden können, zum Beispiel über die Kanäle von der Tagesschau, Funk oder anderen Anbietern von Nachrichten.
    •  Politische Kommunikation sollte grundsätzlich die Lebensrealitäten junger Menschen mitdenken. Es gibt einerseits eine Vielzahl an Informationsangeboten, eine große Schnelllebigkeit der Tools des Informationskonsums und begrenzte Zeitkapazitäten der jungen Menschen. Anderseits können junge Menschen durch ein an die jeweiligen Plattformen angepasstes Kommunizieren von politischen Inhalten durchaus gut erreicht werden. Besonders da das Angebot an sozialen Medien und Apps sehr dynamisch ist, sollten junge Menschen direkt beim Erstellen der Kommunikationsstrategien und der Kommunikation von politischen Inhalten miteinbezogen werden.
    • Politiker*innen, die bisher kaum in den sozialen Medien aktiv sind, sollten den Sprung wagen und verschiedene Plattformen und Kommunikationsformen ausprobieren. Wer in den sozialen Netzwerken nicht präsent ist, wird von jungen Menschen nicht wahrgenommen.

    Fußnoten: 

    7 Christine Hübner, Jan Eichhorn, Sascha Nicke und Neele Eilers (im Erscheinen): Wie haben junge Menschen
    2021 gewählt? Analyse des Wahlverhaltens junger Wähler_innen bei der Bundestagswahl 2021, Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung.

    8 Tobias Spöri, Nina-Kathrin Wienkoop, Jan Eichhorn und Christine Hübner (2021): Jung, digital, engagiert?
    Welche Rolle „Online“ im politischen Partizipationsmix junger Menschen in Deutschland spielt, BKHS -Blickwinkel #01_2021.

     9 Christine Hübner, Jan Eichhorn, Sascha Nicke und Neele Eilers (im Erscheinen): Wie haben junge Menschen
    2021 gewählt? Analyse des Wahlverhaltens junger Wähler_innen bei der Bundestagswahl 2021, Berlin:
    Friedrich-Ebert-Stiftung.

    10 Tobias Spöri, Nina-Kathrin Wienkoop, Jan Eichhorn und Christine Hübner (2021): Jung, digital, engagiert?
    Welche Rolle „Online“ im politischen Partizipationsmix junger Menschen in Deutschland spielt, BKHS - Blickwinkel #01_2021.

    11

    Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (2020): Generation Z, Köln: GESIS Datenarchiv, ZA6738 Datenfile Version 1.0.0, doi.org/10.4232/1.13446.

    12 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (2020): Generation Z, Köln: GESIS Datenarchiv, ZA6738

    Datenfile Version 1.0.0, doi.org/10.4232/1.13446.

    13 Vgl. Wolfgang Gaiser und Johann de Rijke (2001): Gesellschaftliche Beteiligung der Jugend. Handlungsfelder, Entwicklungstendenzen, Hintergründe, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft B 44, S. 8–16,

    www.bpb.de/system/files/pdf/CNAYED.pdf. Eine Ausnahme stellt aktuell die Partei der Grünen dar, die mit der Zunahme an Protesten rund um den Klimawandel wieder verstärkt Zulauf erhielt.

    14 GLES (2022): GLES Querschnitt 2021, Vor- und Nachwahl, Köln: GESIS, ZA7702 Datenfile Version 1.0.0,

    doi.org/10.4232/1.13864.

  • Teil 2: Politische Inhalte, die zu jungen Menschen durchdringen – professionell, authentisch und verständlich

    Viele junge Menschen wünschen sich, dass politische Parteien und Politiker*innen mehr und zielgruppengerechter mit ihnen kommunizieren. Profile und Posts in den sozialen Medien sollen professionell, authentisch, aber mitunter auch persönlich sein. Politische Inhalte müssen dabei an die Lebensrealität junger Menschen anknüpfen und sollen verständlich und prägnant kommuniziert werden. Auch hier gilt es erneut, unterschiedliche junge Zielgruppen passend anzusprechen und Inhalte so zu kommunizieren, dass sie auch wahrgenommen werden. Mit Themen und Sprache an die Lebensrealitäten junger Menschen anknüpfen Politische Parteien und Politiker*innen müssen verschiedene Hürden nehmen, um jungen Menschen relevante Informationsangebote zu machen. Für eine zielgruppengerechte Kommunikation politischer Inhalte sollten Informationen und Beiträge da ansetzen, wo sie für die Lebensrealitäten und die verschiedenen politischen Positionen junger Menschen von Bedeutung sind. Dies gilt natürlich nicht nur für die junge Zielgruppe, ist aber für sie von besonderer Bedeutung.

    Denn wissenschaftliche Studien zeigen eindrücklich, dass besonders Engagementerfahrungen aus der Phase des Erwachsenwerdens sowie die politische Sozialisation entscheidend sind für die spätere Bereitschaft sich gesellschaftlich einzubringen (Fußnote 15). Oder anders gesagt, wenn junge Menschen früh erfahren, dass sie politisch nicht angesprochen werden und sich nicht wirksam in politische Entscheidungsprozesse einbringen können, kann es mitunter schwer sein, sie später im Leben noch für Politik im Besonderen und gesellschaftliches Engagement im Allgemeinen zu motivieren.

    Dass politische Kommunikation auch an die Lebensrealitäten junger Menschen anknüpfen muss, betonten insbesondere einige jüngere Mandatsträger*innen und sprachen dabei mit Verweis auf die eigene Lebensrealität als Abgeordnete indirekt auch die Vielfalt der Lebensentwürfe junger Menschen an.

    "Politiker*innen müssen sich mit der Lebenswirklichkeit junger Menschen auseinandersetzen und an diese anknüpfen – selbst wenn man in der Politik jung ist, weil dadurch, dass man in der Politik ist, verschiebt sich auch die eigene Lebenswirklichkeit." Florian Siekmann, MdL (Bündnis 90/Die Grünen)

    Wenn es also nicht einmal ausreicht, selbst jung zu sein, um mit politischen Inhalten erfolgreich die unterschiedlichsten Erfahrungen und Erwartungen junger Menschen bedienen zu können, wie kann dann politische Kommunikation den diversen Ansprüchen junger Menschen gerecht werden? Es gilt, erfolgreich an die verschiedenen Lebensrealitäten von jungen Menschen anzuknüpfen, die unterschiedlich intensiv die Politik verfolgen und dafür auch unterschiedlich viel Zeit aufwenden (können). Daher ist es wichtig, einerseits die Informationsangebote zu diversifizieren, anderseits aber auch für die junge Zielgruppe relevante Themen in den Fokus zu rücken und dabei die richtige Ansprache zu finden.

    Bezüglich der Themenwahl illustrierte Abbildung 1 oben bereits, wie groß die Bandbreite der politischen Themen ist, für die sich junge Menschen interessieren, und dass dazu für einige junge Menschen auch Fragen gehören, die oft nicht dem Repertoire der jungen Generation zugeschrieben werden, wie beispielsweise Rente oder Sicherheit. Nur über für die Zielgruppe besonders relevante Themen, wie Klima oder Digitalisierung, zu sprechen, wird nicht automatisch zu mehr Reichweite in der jungen Zielgruppe führen. Die Erfolge der Grünen und der FDP bei Menschen unter 29 Jahren allein auf ihre thematischen Schwerpunktsetzungen zu reduzieren, verkennt das thematisch breit gefächerte Interesse junger Menschen, das somit auch ein breites Mobilisierungspotenzial darstellt. Wichtiger noch als eine Bandbreite an Themen ist die Art und Weise, wie Politiker*innen und Parteien junge Menschen ansprechen. Ein Aspekt, der zu diesem Punkt besonders häufig genannt wurde, ist die Sprache. Dabei geht es den jungen Menschen keinesfalls darum, in einer Art „Jugendsprache“ mit Slangwörtern angesprochen zu werden. Eine für junge Menschen zielgruppengerechte Sprache der politischen Kommunikation heißt vielmehr, dass sie klar und verständlich ist. Hier sahen einige Teilnehmende der Diskussionsrunden Verbesserungsbedarf und auch einige der Politiker*innen, die interviewt wurden, waren sich der Bedeutung von leicht verständlicher Sprache bewusst.

    "Ich habe auch immer das Gefühl, die [Politiker*Innen] wollen junge Leute gar nicht ansprechen. Sie wollen ihre Stammwählerschaft ansprechen, die sind 60+ und so reden sie halt auch." Helena, 24 (HFG)

    "Die Kommunikation [mit jungen Menschen] muss geraderaus sein und sie muss junge Menschen auch ernst nehmen. Keine belehrende Tour, das ist langweilig, denn sie wissen schon eine ganze Menge." Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein, MdHB (FDP)

    Gerade für diejenigen jungen Menschen, die sich seltener mit Politik auseinandersetzen, stellt die Sprache von Politiker*innen eine große Hürde dar. Dazu kommt zum einen, dass gerade die Jüngsten irgendwann erst einmal damit beginnen müssen, sich mit politischen Themen und Inhalten auseinanderzusetzen und viel Jargon noch nicht kennen. Zum anderen werden politische Inhalte von jungen Menschen häufig schnell und mitunter nur nebenbei in den sozialen Netzwerken konsumiert. Zusammengenommen bedingen diese Erkenntnisse die Notwendigkeit einer Übersetzungsleistung in der politischen Kommunikation: Politische Inhalte, die junge Menschen ansprechen, müssen politische Entscheidungen und Gesetzestexte in eine einfachere und weniger voraussetzungsvolle Sprache übertragen. Erfolgt diese Transferleistung nicht, bleibt vielen jungen Menschen der Zugang zu politischen Inhalten und Themen von Politiker*innen verwehrt. Dies wurde auch in den Interviews von einigen Mandatsträger*innen problematisiert.

    "Politiker sollten nachdenken, wie sie es einem Kind erklären würden. Nicht mit Kindersprache, sondern professionell, aber ohne Fachbegriffe, die kein Mensch versteht." Lina, 21 (LFG)

    "Wir Politiker*innen unterschätzen manchmal, dass die junge Generation, die anfängt, sich für Politik zu interessieren, nicht schon alles weiß, was jetzt wie schon alles diskutiert wurde und dann direkt bei den Meinungen einsteigen kann, sondern dass wir da auch als Politiker*innen eine gewisse Pflicht
    haben, erstmal das auch ein bisschen einzuordnen."
    Sara Nanni, MdB (SPD)

    Wünsche an die Auftritte von Politiker*innen in den sozialen Medien:

    professionell, persönlich und authentisch Die Profile von Politiker*innen und von politischen Parteien sind natürlich nicht ausschließlich da, um junge Menschen zu erreichen. Allerdings können Politiker*innen junge Menschen, die soziale Medien in der Regel täglich nutzen, vor allem dort erreichen. Die bloße Präsenz in den sozialen Netzwerken ist jedoch nicht ausreichend, um junge Menschen zu erreichen und ihnen politische Inhalte näherzubringen. Junge Menschen wünschen sich von Politiker*innen und Parteien in den sozialen Medien vor allem ein professionelles, authentisches Auftreten, das mitunter auch persönliche Einblicke gewährt.

    Professionelles Auftreten wird von vielen jungen Menschen einerseits an der Sprache bemessen, die keine Jugendsprache, aber verständlich und zugänglich sein soll. Anderseits erwarten sich viele junge Menschen von den Auftritten von Politiker*innen und politischen Parteien, dass sie dort auf faktenbasierte Positionen stoßen, die professionell kommuniziert werden. Als Politiker*in unterhaltsam oder auch ironisch über Politik zu kommunizieren, ist hierbei keineswegs ein Ausschlusskriterium. Allerdings sind junge Menschen mit vielen Beispielen konfrontiert, wo die Verknüpfung von Fakten und Unterhaltung aus ihrer Sicht nicht gelingt. Die Schwierigkeit dieser Gratwanderung reflektierten auch einige der interviewten Politiker*innen.

    "Politik ist ein ernstes Thema. Das auf spaßige Art und Weise auf Social Media rüberzubringen, ist ein schmaler Grat zwischen komplett lächerlich und total unansprechend." Simon, 23 (LFG)

    "Ich möchte als junger Politiker einfacher kommunizieren, niederschwelliger, lockerer und witziger. Alles, was die digitale Generation Z-Kommunikationausmacht, um die jungen Menschen zu erreichen und ein Alignement. Gleichzeitig kann genau das bei jungen Menschen auch abschreckend wirken, weil das ist ja nicht seriös." Tobias B. Bacherle (Bündnis 90/Die Grünen)

    Professionalität beinhaltet für junge Menschen auch die Kenntnis von spezifischen Aspekten der genutzten Plattformen, wie Hashtags, Codes oder Musik-Jingles. Gerade in den sozialen Medien finden es viele junge Menschen schwierig bis peinlich, wenn Politiker*innen Trends auf Instagram oder TikTok übernehmen wollen, daran aber aus Sicht der jungen Menschen häufig scheitern. Bei jeglicher Formatnutzung ist jungen Menschen wichtig, dass Politiker*innen durch ihre Inhalte aufzeigen, dass sie die Kanäle (und damit ein Stück weit die Lebensrealitäten junger Menschen) verstehen und bereit sind, sich professionell und gekonnt mit den Medien junger Menschen auseinanderzusetzen. Auf diese Weise gelänge es Politiker*innen auch, sich nahbar zu machen, jungen Menschen respektvoll zu begegnen und ihnen zu zeigen, dass sie sie mit ihren Kommunikationsformen und Interessen ernst und als Bürger*innen und (zukünftige) Wähler*innen wahrnehmen.

    Im Gegensatz dazu wurde der Einsatz von hochprofessionellen Teams, die den Politiker*innen eine solche zielgruppen- und plattformspezifische Kommunikation abnehmen, deutlich negativ gewertet, zeige das doch die fehlende Bereitschaft der Politiker*innen, sich selbst mit dem Medium zu befassen. Diese Herausforderung können Mandatsträger*innen bewältigen, indem sie junge Menschen in die Entwicklung der Kommunikation miteinbeziehen.

    "Das Problem ist, wenn ältere Menschen versuchen sich an die heutige Generation anzupassen, dann hat das manchmal sehr viel von Fremdscham. Wenn die übertreiben und versuchen authentischer zu werden, aber sie sind dann gar nicht authentisch." Lina, 21 (LFG)

    Authentisches Auftreten war sowohl in den Diskussionsrunden als auch in den Interviews mit Politiker*innen ein großes Thema. Hier gibt es keine einfache Antwort, wie authentisch kommuniziert werden kann. Dazu, was letztlich unter Authentizität zu verstehen sei, gibt es sowohl unter Politiker*innen als auch unter jungen Menschen unterschiedliche Vorstellungen.

    Mehrere junge Menschen äußerten in den Diskussionsrunden, dass sie verstehen und erwarten, dass politische Mandatsträger*innen in ihren Rollen als Politiker*innen auftreten. Diese Gruppe der jungen Menschen erwartet dementsprechend auch nicht, dass Politiker*innen aus ihrer Rolle fallen. Andere äußerten dagegen, dass sie sich Politiker*innen auch gern abseits der Politik als Personen im normalen Leben vorstellen können würden („ein Mensch, kein Roboter“). Abbildung 4 gibt einen Überblick über die diversen Ansichten junger Menschen
    dazu, was sie unter authentischer Kommunikation und authentischem Auftreten verstehen.

    Nahezu alle der interviewten Politiker*innen waren im Interview keineswegs überrascht, als sie mit dem Wunsch der jungen Menschen nach authentischen Profilen in den sozialen Netzwerken konfrontiert wurden. Während manche noch Unsicherheiten bezüglich der eigenen authentischen Darstellung in den sozialen Netzwerken äußerten, betonten andere, dass sie Wert darauf legten, dass sie in ihrer digitalen Kommunikation nur abbilden, was auch in der realen Welt existiert, und somit nichts künstlich ist.

    "Indem ich es vermeide, etwas künstlich zu machen. Sondern das zeige, wie ich Politik mache. Also einfach nichts inszenieren. Aber ja das, das müssen letzten Endes dann, die Konsumenten bewerten? Ich mein, was heißt denn authentisch, wenn sie mich nicht kennen?" Nils Schmid, MdB (SPD)

    Der dritte, von jungen Menschen häufig genannte Aspekt bezüglich der Auftritte von Politiker*innen in den sozialen Medien ist, dass sich viele junge Menschen auch persönliche Eindrücke von Politiker*innen wünschen. Damit meinen sie etwa direkte Einblicke in die tägliche Arbeit eine*r Politiker*in. Mehrmals fiel in diesem Kontext das Wort „Transparenz“. Viele junge Menschen äußerten Interesse am Arbeitsalltag der Politiker*innen, daran, wen sie treffen und worüber sie abstimmen.

    "Ich habe seit der Bundestagswahl den Abgeordneten der Linken aus Leipzig (Sören Pellmann) abonniert. Er macht kurze Beiträge darüber, wie das als Abgeordneter in Berlin und Leipzig abläuft. Dadurch kommt schon eine Nähe zustande." Ina, 24 (LFG)

    Gerade die sozialen Medien bieten hier eine Vielzahl an Möglichkeiten, direkte Einblicke in den politischen Alltag zu geben. Diese Einblicke sollen allerdings nicht gestellt erscheinen, es soll also lieber ein „schnelles Selfie“ sein, statt lang geplanter und perfekt inszenierter Kommunikationsinhalte. Oft wurde in den Diskussionsrunden zum Beispiel über Kleidung von Politiker*innen gesprochen, etwa über den Pullover, den Olaf Scholz auf seinem Flug in die USA Mitte Februar 2022 trug. Das sahen einige Teilnehmende als positives Beispiel und Ausdruck von Normalität.

    "Ich würde sie (Politiker*innen) gern persönlicher kennenlernen, nicht nur diese Maschinen, täglich mit Anzug. Das private Gesicht ist das wahre Gesicht. Und so werden sie das Land dann auch regieren." Anna, 16 (LFG)

    Andere wünschten sich dagegen eher, dass Politiker*innen in ihrer Außendarstellung immer seriös gekleidet auftreten, um ihre besondere Position zu unterstreichen. Dieses Beispiel verdeutlicht gut, dass nicht nur die Inhalte selbst, sondern auch der Mix aus verschiedenen Arten von Postings, Statements, Erklärvideos, persönlichen Einblicken und selbst die Kleidung von Politiker*innen wichtig sein können, um verschiedene junge Menschen mit politischen Inhalten zu erreichen.

    Handlungsempfehlungen

    •  Bei der Kommunikation von politischen Inhalten sollte eine professionelle, klare und verständliche Sprache verwendet werden. Politische Inhalte sollten dabei so heruntergebrochen werden, dass sich die junge Zielgruppe ebenfalls angesprochen fühlt und ihre Lebensrealitäten berücksichtigt sieht. Fachbegriffe schrecken viele junge Menschen ab, besonders jene, die politische Diskussionen (noch) nicht so häufig oder intensiv verfolgt haben.
    • Politische Inhalte sollten für die verschiedenen Online-Kanäle in puncto Länge und inhaltlicher Tiefe je spezifisch aufbereitet werden. Nur ein diversifiziertes Angebot kann an den je unterschiedlichen Informations- und Kenntnisstand junger Menschen anknüpfen.
    •  Dabei sollte nicht nur auf jugendspezifische Themen oder Themen, die bei jungen Menschen auf vermeintlich besonders großes Interesse stoßen, gesetzt werden. Junge Menschen interessieren sich für eine Reihe an Politikfeldern, daher sollten auch die vermeintlich weniger „jugendspezifischen“ politischen Inhalte zielgruppengerecht aufbereitet werden.
    • Da jungen Menschen Authentizität in den sozialen Medien besonders wichtig ist und sie auch vermehrt Interesse an persönlichen Einblicken ins Berufsleben von Politiker*innen haben, sollte dies in der Kommunikationsstrategie berücksichtigt werden. Direkte Einblicke in den Arbeitsalltag können Nähe vermitteln und die von jungen Menschen häufig wahrgenommene Distanz zu Politiker*innen verringern.

    Fußnoten

    15. Gut zusammengefasst in Anja Neundorf und Kaat Smets (2017): Political socialisation and the making of
    citizens, in: Oxford Handbooks Online, DOI: 10.1093/oxfordhb/9780199935307.013.98.

  • Teil 3: Auswirkung auf politische Beteiligung (online wie offline)

    Auf verschiedenen Kanälen auf junge Menschen zuzugehen und das Interesse junger Menschen an politischen Themen zielgruppengerecht zu bedienen, ist für politische Parteien und Entscheidungsträger*innen kein Selbstzweck. Es ist außerdem zwingend notwendig, vielfältige Kontaktstellen mit Politik – online wie offline – zu schaffen, um verschiedene junge Menschen über politische Prozesse zu informieren und sie auch darin einzubinden. Denn junge Menschen nutzen diverse Wege sich politisch zu beteiligen.

    Der politische Raum ist für junge Menschen kein rein digitaler oder rein analoger. Denn obwohl sich nahezu alle jungen Menschen online über Politik informieren, zeigen sich bei ihren Präferenzen für politische Beteiligung deutliche Unterschiede. Viele junge Menschen wählen ganz bewusst aus, ob sie sich online oder offline an Politik beteiligen. Für manche jungen Menschen sind Online-Petitionen effizient und erfolgreich, stellen politische Diskussionen in sozialen Netzwerken eine besonders reichweitenstarke Form der politischen Meinungsäußerung dar. Andere unterschreiben lieber offline eine Petition oder gehen zu einer Demonstration, die sie aufgrund der unmittelbaren Sichtbarkeit im öffentlichen Raum als effektiver einschätzen (Fußnot 16).

    Diese beiden Formen des politischen Engagements müssen sich jedoch keineswegs ausschließen. Eine Studie des Deutschen Jugendinstituts 2019 zeigt, dass sich von der Mehrheit der jungen Menschen in Deutschland, die sich außerhalb von Wahlen politisch beteiligen (56 Prozent) (Fußnote 17), etwas mehr als jede*r Vierte*r sowohl online als auch offline politisch engagiert, jede fünfte Person nur offline und dass nur neun Prozent der jungen Menschen sich ausschließlich online an Politik beteiligen.

    In Bezug auf die Wirkung schätzen viele junge Menschen in Deutschland das Engagement in sozialen Medien als ebenso effektiv ein wie beispielsweise die Beteiligung an Wahlen oder die Teilnahme an politischen Bewegungen, Parteien oder Gewerkschaften. Das zeigt ein aktuelles Eurobarometer auf Basis einer Befragung junger Menschen zwischen 15 und 30 Jahren (siehe Abb. 4). Mehr als ein Drittel der 15- bis 30-jährigen in Deutschland Befragten (38 Prozent) gab an, dass das Engagement in den sozialen Medien ein effektiver Weg ist, wie sich junge Menschen in der Politik Gehör verschaffen können.

    Gerade weil eine Vielzahl junger Menschen den sozialen Medien an dieser Stelle so große Bedeutung zumisst, bietet dieser Kommunikationskanal politischen Parteien und Politiker*innen eine gute Gelegenheit, mit der jungen Zielgruppe in Kontakt zu treten und politische Inhalte zu diskutieren. Junge Menschen beteiligen: digitale Kommunikation als Möglichkeit der Interaktion Politische Kommunikation im digitalen Raum, insbesondere in den sozialen Medien, bietet eine Vielzahl an interaktiven Kommunikationsmöglichkeiten. Durch diese kann die Kontaktaufnahme zwischen jungen Menschen und Politiker*innen deutlich niederschwelliger gestaltet werden und junge Menschen können aktiv in politische Diskussionen eingebunden werden.

    Ein erster Schritt kann hier sein, klassische Bürger*innen-Sprechstunden auch online zu ermöglichen. Aufgrund der Pandemie haben viele Mandatsträger*innen zuletzt bereits vermehrt Online-Sprechstunden angeboten. Dennoch werden diese Möglichkeiten zur Interaktion aus der Sicht einiger junger Menschen noch zu wenig genutzt. Vor allem die politisch Interessierten nehmen politische Kommunikation von Seiten der Politiker*innen in den sozialen Medien häufig als Einbahnstraße wahr und fühlen sich mit ihren Anliegen nicht gehört und in ihrer Art zu kommunizieren nicht verstanden.

    "Politiker sollten nicht nur den Fokus darauf legen, [auf den sozialen Medien] selbst gut rüberzukommen. Sie sollen darauf eingehen, was Leute schreiben und auf Instagram mal ein Q&A machen." Marlene, 22 (LFG)

    Wenn Politiker*innen die Interaktionsmöglichkeiten im digitalen Raum nutzen, erhöht dies für viele junge Menschen ihre wahrgenommene Nähe zur Politik. Aus Sicht der an dem Forschungsprojekt teilnehmenden jungen Menschen wirken Politiker*innen weniger „abgehoben“ und von den Lebensrealitäten junger Menschen weniger weit entfernt, wenn sie in solch dialogischen Formaten auf die Bevölkerung eingehen und auf Plattformen, die junge Menschen nutzen, nach Rat fragen und Meinungen einholen.

    Damit das klappt, darf politische Kommunikation – insbesondere in den sozialen Medien – nicht nur als Kommunikationskanal in eine Richtung fungieren, sondern muss als Möglichkeit für ehrliche Interaktion zwischen Politiker*innen und jungen Bürger*innen verstanden werden. Besonders der Auftritt politischer Parteien und Entscheidungsträger*innen in den sozialen Medien darf nicht als reine digitale Litfaßsäule genutzt werden, auf der politische Inhalte nur verbreitet werden. Hier sollten Mandatsträger*innen verstärkt Zeit und Ressourcen in den Aufbau ihrer Abonnent*innen investieren, damit junge Menschen mit ihnen in Interaktion kommen. Auf diese Weise würden sogenannte „Calls to Actions“, also Aufrufe, die eigene Meinung abzugeben und mitzudiskutieren, auch eine junge Zielgruppe erreichen. Die an dem Forschungsprojekt beteiligten Politiker*innen gaben vereinzelt an, solche interaktiven Formate bereits in ihren Berufsalltag zu integrieren, um so direktes Feedback ihrer Wähler*innen zu erhalten.

    "Ich nutze Facebook als ein Medium, wo ich bewusst einfach ein Statement mache und darunterschreibe „wie seht ihr das?“ Die Trolle muss man aussortieren, aber es sind auch viele qualifizierte, gute Kommentare dazwischen." Lencke Wischhusen, MdBB (FDP)

    Schulische und außerschulische Angebote für den Austausch zwischen Politiker*innen und jungen Menschen machen Die vielfältigen Formen politischer Beteiligung junger Menschen machen deutlich, dass der digitale Raum nicht der einzige Ort ist, an dem junge Menschen mit Politiker*innen zusammenkommen können. Auch wenn die Bedeutung von Online-Interaktionen und sozialen Medien besonders bei der jungen Zielgruppe wächst, stellten sowohl die jungen Teilnehmenden als auch die interviewten Politiker*innen immer wieder die Bedeutung der Schule für politische Kommunikation und Interaktion heraus. Ebenso gaben fast alle befragten jungen Menschen an, dass sie erste Erfahrungen mit politischer Beteiligung während ihrer Schulzeit gemacht
    haben.

    "Als ich in der 9. oder 10. Klasse war, haben wir immer, als die Stunde anfing, 30 Minuten lang über die aktuellen Themen, über Politik diskutiert. Viele haben am Anfang gar kein Interesse gezeigt, aber je mehr wir das gemacht haben, desto mehr Leute haben sich an der Diskussion beteiligt." Soraya, 24 (HFG)

    Im Vergleich zum Austausch in den sozialen Medien sind in den Schulen die Hürden für die Beteiligung junger Menschen und die Interaktion zwischen ihnen und Politiker*innen anders gelagert. Während Politiker*innen bei der Online-Kommunikation zunächst den Filter von Algorithmen durchdringen müssen, können junge Menschen in den Schulen zwar theoretisch unabhängig von ihrem jeweiligen politischen Interesse oder ihrer politischen Beteiligung erreicht werden. In der Praxis allerdings können die formal besser gebildeten jungen Menschen, zum Beispiel diejenigen in Gymnasien, eher in den direkten Kontakt mit Politiker*innen treten als junge Menschen mit anderer Schullaufbahn oder in Ausbildung. Besonders diejenigen, die nach der Real- und Hauptschule ihre schulische Laufbahn beenden, berichten davon, dass sie mit dem Eintritt ins Erwerbsleben oder in die Berufsschule den Kontakt zur Politik verlieren und keine Kapazitäten oder neue Anknüpfungsstellen haben, sich mit politischen Inhalten stärker auseinanderzusetzen (Fußnote 20).

    "Aber seitdem ich jetzt seit fünf Jahren schon raus [aus der Schule] bin, setze ich mich gar nicht damit [Politik] auseinander. Meine Freunde interessieren sich eigentlich auch gar nicht für diese Themen. Ich weiß, dass es wichtig ist, aber weil es nie zum Gespräch kommt, ist es einem so fern." Nadja, 22 (HFG)

    Somit ist es besonders wichtig, dass Politiker*innen darauf achten, insbesondere Gesamt-, Real- und Berufsschulen regelmäßig Besuche abzustatten. Denn der formale Bildungsweg junger Menschen ist im Kontext politischer Teilhabe ein zentraler Faktor. Beispielsweise beteiligen sich circa zwei von drei jungen Menschen mit Hauptschulabschluss überhaupt nicht politisch (68 Prozent), während sich umgekehrt von den jungen Menschen mit oder auf dem Weg zum Gymnasialabschluss nur knapp ein Drittel nicht politisch engagiert (33 Prozent).

    Einen Schwerpunkt sollte die Inklusion von jungen Menschen aus einem politikferneren Umfeld bilden, da diese im weiteren Verlauf ihres Lebens häufig auch weniger von politischen Parteien und Politiker*innen erreicht werden. Einige Politiker*innen gaben im Gespräch an, dass sie aufgrund dieser Problematik auch bewusst andere Ausbildungsstätten jenseits von Gymnasien besuchen wollen, in der Realität dann aber doch häufiger mit Schüler*innen aus Gymnasien oder mit Studierenden arbeiten. Ebenso wichtig ist es auch, dass Schulen nicht als einziger Ort gesehen werden, an dem sich junge Menschen mit Politiker*innen austauschen können.

    Vor allem jene jungen Menschen, die nicht auf einer Schule sind und auch online weniger auf Politiker*innen stoßen, brauchen außerschulische Kontaktmöglichkeiten, um mit Politiker*innen und politischen Themen in Berührung zu kommen. Das betrifft vor allem junge Menschen in Beruf oder Ausbildung. Eine klassische direkte Kontaktmöglichkeit stellen Gespräche an Haustüren oder auf Marktplätzen dar, vor allem im Wahlkampf. Da aber einige der jungen Teilnehmenden an den Diskussionsgruppen nach eigener Aussage eine derartige spontane Ansprache auf der Straße als eher unangenehm empfinden, eignen sich vor allem solche Offline-Formate, die stärker auf die junge Zielgruppe zugeschnitten sind. Ein Beispiel ist die Veranstaltungsreihe „Pizza
    und Politik“( Fußnote 21), wo unter anderem Lars Castellucci, MdB (SPD) sich auf Marktplätzen mit jungen Menschen verabredet, um bei Pizza über Politik zu sprechen.

    "Das Projekt „Pizza und Politik“ wendet sich extra an junge Menschen. Damit man junge Menschen nicht in einen Saal bringt, wo dann die alten Platzhirsche die ganze Zeit das Wort führen, sondern wo die Jugend im Mittelpunkt steht und auch wertgeschätzt wird." Lars Castellucci, MdB (SPD)

    Ein weiteres Beispiel stammt von der Bremer FDP, die immer wieder Veranstaltungen für junge Menschen zu für diese besonders relevanten Themen veranstaltet. Dabei werden häufig Expert*innen eingeladen und es wird ein für junge Menschen attraktives Rahmenprogramm geboten (Fußnote 22).

    "Wir versuchen das Politische mit einem Erlebnisfaktor und Erkenntnisgewinn zu verknüpfen." Lencke Wischhusen, MdBB (FDP)

    Solche Aktionen von Parteien oder einzelnen Politiker*innen bilden eine notwendige Ergänzung zu den Formaten an Schulen sowie zu Angeboten der politischen Bildungseinrichtungen, wie der Bundeszentrale für politische Bildung und deren Landeszentralen, und einer Vielzahl an zivilgesellschaftlichen Organisationen, die im Bereich der politischen Bildung tätig sind. Sie auszubauen und so von Schule und Bildungsabschluss unabhängige Kontaktstellen für junge Menschen mit politischen Inhalten zu schaffen, ist notwendiger Bestandteil einer möglichst inklusiven Strategie der politischen Einbindung junger Menschen. Strukturen von politischen Parteien für junge Menschen öffnen und an deren Lebensrealitäten anpassen.

    Für die Verstetigung von in der Schule und außerschulisch entstandenen Kontakten zwischen jungen Menschen und Politiker*innen gilt zudem, dass politische Parteien ihre Strukturen für junge Menschen öffnen müssen. Gerade dem direkten Kontakt von jungen Menschen mit Politiker*innen kommt eine essenzielle Rolle zu, da dadurch das Vertrauen in politische Institutionen häufig erhöht, die wahrgenommene Distanz zur Politik verringert und auch die subjektive politische Selbstwirksamkeit gestärkt wird. Da viele junge Menschen den Eindruck haben, dass Politik eher für ältere Bevölkerungsgruppen gemacht wird und die Interessen junger Menschen weniger stark berücksichtigt werden, ist dieser Schritt von Seiten der politischen Parteien und Politiker*innen überaus wichtig, was von mehreren interviewten Politiker*innen bestätigt wurde.

    "Als ich bei der SPD aktiv war, gerade im Ortsverein im Dorf, war ich mit 30 Jahren Abstand der Jüngste. Ich habe ein paar Ideen eingeworfen, was aber nie wahrgenommen wurde. […] Deren Meinung war das Gesetz." Felix, 24 (HFG)

    "Es kommt vor allem auf die Begegnung mit den örtlichen Parteistrukturen an, ob junge Menschen sich einbringen oder nicht. Wie die Führungsfiguren sich verhalten, wie offen die Arme sind. […] Es steht und fällt damit, dass man nicht alleine ist als Junger, und das passiert in den Parteien sehr schnell." Nils
    Schmid, MdB (SPD)

    Der Bericht von Felix ist durchaus kein Einzelfall. Mehrfach berichteten die Teilnehmenden der Diskussionsrunden, dass sie sich bei ihrem ersten Kontakt mit Parteimitgliedern oder Politiker*innen nicht ernst genommen fühlten oder auf sehr hierarchische und formale Prozesse zur Kontaktaufnahme vertröstet wurden. Zudem belegen Studien zu internen Parteistrukturen immer wieder, dass bestimmte, meist etablierte und ältere Machtzirkel sowohl den Diskurs bestimmen als auch die Aufstiegschancen kontrollieren – und dass diese für neue und/oder junge Mitglieder sehr begrenzt sind (Fußnote 23).

    Viele der interviewten Politiker*innen sehen die Jugendorganisationen der Parteien als eine Möglichkeit, junge Menschen mehr zur aktiven Mitgestaltung von politischen Inhalten einzuladen. Allerdings sehen auch hier die Partizipationspräferenzen junger Menschen von heute teilweise anders aus, als es den Interviewten Politiker*innen aus ihrer Jugend bekannt ist.

    "Heute will man [junge Menschen] sich nicht mehr so festlegen. Engagement für Projekte ist da, aber häufig nur für drei oder vier Monate. Es wird heute mehr spontan gemacht. […] Bei uns war es früher so, da hat man gewusst, Freitag ist immer der Tag, an dem sich die Junge Union trifft. Heute ist es mehr im Fluss." Frank Steinraths, MdL (CDU)

    Dadurch, dass junge Menschen beispielsweise sehr viel häufiger als früher den Wohnort wechseln, sich oft lieber zeitlich begrenzt oder zumindest weniger verbindlich engagieren möchten oder auch häufig die Haltung vertreten, dass sie sich nur dann für eine Partei einsetzen wollen, wenn sie zu 100 Prozent mit den Positionen der Partei übereinstimmen, entstehen Hürden für ihre Beteiligung in politischen Parteien oder deren Jugendorganisationen. Anders als noch vor einigen Jahren ist für die eigene Parteimitgliedschaft keineswegs mehr das Elternhaus ausschlaggebend. Heute erleben wir häufiger junge Menschen, die über eine Mitgliedschaft bewusst und selbst entscheiden, für ihren Beitritt aber voraussetzen, dass sie sich vollständig mit der Partei identifizieren können – und diese hält selten die Vorbilder bereit, um eine solche Identifizierung überhaupt anzuregen (Fußnote 24).

    Außerdem berichteten mehrere Teilnehmende von der monetären Hürde eines monatlichen Beitrags. Bei diesem letzten Punkt war einigen Teilnehmenden nicht bekannt, dass es deutlich reduzierte Beitragsoptionen gibt; andere hingegen schlossen eine monatliche monetäre Verpflichtung für sich generell aus. Um diese Hürden zu verringern, besteht Änderungsbedarf auf Seiten der Jugendorganisationen und ihrer Parteien. Ein Öffnen beziehungsweise Anpassen der (Jugend-)Parteistrukturen an die Lebenssituationen junger Menschen könnte zusätzliche und einfachere Optionen für den Kontakt junger Menschen mit Politik herstellen.

    Handlungsempfehlungen

    •  Damit sich die Wahrnehmung der Online-Präsenz von politischen Parteien und Politiker*innen in der jungen Zielgruppe verbessert, sollte der Auftritt in den sozialen Medien mehr sein als eine digitale Litfaßsäule. Wenn die sozialen Netzwerke interaktiv genutzt werden, generiert dies Nähe, junge Menschen fühlen sich von der Politik wahrund ernst genommen und es steigert ihre politische Selbstwirksamkeit. Möglich sind verschiedene Formen der Interaktion: eine Umfrage in den sozialen Netzwerken, das Beantworten von Direktnachrichten oder auch eine Bürger*innen-Sprechstunde online.
    • Schulbesuche sind, ebenso wie Online-Angebote, eminent wichtig für den unmittelbaren Austausch zwischen Politiker*innen und jungen Menschen und sollten ausgebaut beziehungsweise nach der Pandemie verstärkt reaktiviert werden. Diese direkten Interaktionen mit Politiker*innen sind für junge Menschen bedeutsame Berührungspunkte mit Politik, unter anderem deshalb, weil hier junge Menschen unabhängig vom individuellen politischen Interesse oder politischer Teilhabe erreicht werden können. Derartige direkte Begegnungen sollten sich keinesfalls nur auf Gymnasien beschränken.
    • Außerschulische Angebote für direkten Austausch sollten klassische Schulbesuche ergänzen, weil hier unabhängig vom Bildungsabschluss und der Lebenssituation (Beruf, Ausbildung) für junge Menschen immer wieder Berührungspunkte mit Politik entstehen können. Daher sollten politische Parteien und Politiker*innen attraktive Veranstaltungen spezifisch für junge Menschen organisieren, wo diese auch wirklich im Mittelpunkt stehen.
    • Damit junge Menschen außerdem mehr Anknüpfungspunkte für ein Engagement in politischen Parteien sehen, sollten die (Jugend-)Parteistrukturen an die Lebenssituationen junger Menschen angepasst werden. Dies bezieht sich auf ein flexibleres Engagement, tatsächliche Mitmachoptionen, aber auch auf parteiinterne Aufstiegsmöglichkeiten für junge Menschen.

    Fußnoten

    16

    Tobias Spöri, Nina-Kathrin Wienkoop, Jan Eichhorn und Christine Hübner (2021): Jung, digital, engagiert?
    Welche Rolle „Online“ im politischen Partizipationsmix junger Menschen in Deutschland spielt, BKHS-Blickwinkel #01_2021.

    17

    Beispielsweise indem sie an Protesten teilnahmen, eine Petition unterstützten oder online wie offline über
    Politik diskutierten. Deutsches Jugendinstitut (Hg.) (2021): Aufwachsen in Deutschland 2019. Alltagswelten von Kindern, Jugendlichen und Familien (AID:A 2019), Bielefeld: wbv Verlag, DOI: 10.3278/6004821w.

    18

    Eurobarometer (2022): Youth and Democracy in the Year of European Youth. Flash Eurobarometer 502, Luxemburg: Europäische Kommission, europa.eu/eurobarometer/surveys/detail/2282 (letzter Zugriff: 13.06.2022).



    19 Eurobarometer (2022): Youth and Democracy in the Year of European Youth. Flash Eurobarometer 502,

    Luxemburg: Europäische Kommission, europa.eu/eurobarometer/surveys/detail/2282 (letzter Zugriff: 13.06.2022).

    20

    Tobias Spöri, Nina-Kathrin Wienkoop, Jan Eichhorn und Christine Hübner (2021): Jung, digital, engagiert?
    Welche Rolle „Online“ im politischen Partizipationsmix junger Menschen in Deutschland spielt, BKHSBlickwinkel #01_2021.

    21

    pizzaundpolitik.de (letzter Zugriff: 13.06.2022).

    22

    Zum Beispiel „Hack me if you can! Der Cybersecurity Talk“ mit Live-Hacking und Hot Dogs.

    23

    Zu den Auswirkungen fehlender interner Demokratie von Parteien vgl. William Cross und Scott Pruysers (2019): Sore Losers? The Costs of Intra-Party Democracy, in: Party Politics 4, S. 483–494, doi.org/10.1177/1354068817728216.

    24

    Vgl. zur Rolle von Vorbildern für Engagement und Mobilisierung Nina-Kathrin Wienkoop (2021): Wer dazu gehört und gehört wird. Teilhabe im Jugendengagement, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 17.09.2021, www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/jugend-und-protest-2021/340345/wer-dazu-gehoert-und gehoertwird/#footnote-target-27 (letzter Zugriff: 13.06.2022).

  • Fazit und Ausblick

    Junge Menschen zwischen 16 und 24 Jahren in Deutschland sind eine heterogene Gruppe. Sie unterscheiden sich unter anderem in ihren bisherigen Berührungspunkten mit Politiker*innen und politischen Parteien, ihrem Kenntnisstand über Politik und im Informationsverhalten über Politik oder auch in ihrer politischen Teilhabe. Deshalb braucht es unterschiedliche Kommunikationsstrategien, Formate und Kanäle, um erfolgreich mit jungen Menschen zu politischen Themen in den Austausch zu treten und ihre vielfältigen Bedürfnisse und Lebensrealitäten zu berücksichtigen. Denn um sich erfolgreich an politischen Prozessen beteiligen zu können, benötigen gerade junge Menschen – die im Gegensatz zu älteren Menschen oft weniger gefestigt sind in ihrer politischen Meinungsbildung – gute und zielgruppenspezifische Formate zum Austausch über politische Fragen.

    Wenn junge Menschen sich über Politik informieren, geschieht dies nahezu ausschließlich online. Online-Formate sollten somit ein unerlässlicher Bestandteil der Kommunikation von Politiker*innen sein, insbesondere über Plattformen, die junge Menschen in ihrem Alltag ohnehin häufig als Informationsquellen nutzen, wie derzeit Instagram, TikTok oder YouTube. Entscheidend ist hierbei, die verschiedenen Lebensrealitäten und Bildungshintergründe junger Menschen im Blick zu behalten. Dies gelingt, wenn die gleichen Informationen in verschiedener Form und auf unterschiedlichen Kanälen und Plattformen aufbereitet werden. Damit vor allem jene jungen Menschen erreicht werden, die bisher kaum oder keine Berührungspunkte mit Politik hatten, ist es entscheidend, in die algorithmischen News-Feeds beziehungsweise die Timelines junger Menschen zu gelangen.

    Hierfür ist zum einen regelmäßiges Posten in den sozialen Netzwerken relevant, zum anderen, kostenlosen und leicht zugänglichen Medien Interviews zu geben. Zur Vermittlung der zentralen Punkte eignen sich faktenbasierte Kurzformate, die durch eine verständliche Sprache niedrigschwellig möglichst viele junge Menschen erreichen – besonders jene, die erst wenig Berührung mit Politik hatten und in der Regel nicht aktiv nach politischen Inhalten suchen. Längere und inhaltlich tiefergehende Formate hingegen dürfen auch voraussetzungsvoller sein, da diese verstärkt von (jungen) Menschen genutzt werden, deren Grundinteresse an Politik bereits geweckt ist und die bereit sind, mehr Zeit hierfür zu investieren.

    Neben der Länge ist für viele junge Menschen auch ein Mix aus verschiedenen Inhalten, Formaten und Themen wichtig. Junge Menschen interessieren sich für eine große Bandbreite an politischen Themen und nicht nur für vermeintliche „Jugendthemen“. Es gilt, möglichst das gesamte Spektrum an politischen Inhalten zielgruppengerecht aufzubereiten, zu kommunizieren und sich bestenfalls mit jungen Menschen dazu auszutauschen oder sie gar in der Vorbereitung von Inhalten mit einzubeziehen. Die Kommunikation von politischen Positionen und die Einordnung von politischen Inhalten ist essenziell und sollte durch interaktive Formate in den sozialen Netzwerken ergänzt werden, beispielsweise in Form von Umfragen oder OnlineSprechstunden.

    Die Kanäle von politischen Parteien sollten nicht nur politische Litfaßsäulen, sondern ein Ort für Austausch und Dialog sein. Einseitige Kommunikation von Politiker*innen vergrößert die wahrgenommene Distanz junger Menschen zur Politik und kann ihre politische Selbstwirksamkeit verringern. Viele junge Menschen wünschen sich zudem persönliche Einblicke in den Berufsalltag von Politiker*innen. Auch dies schafft ein Gefühl der Nähe, erhöht die Authentizität und macht für manche junge Menschen Politik greifbarer.
     
    Für alle Kommunikationsformate gilt aber die gleiche Regel: Junge Menschen erwarten von Politiker*innen, dass sie da aktiv sind, wo junge Menschen präsent sind und dass, wenn sie Online-Plattformen nutzen, sie sich damit auch auskennen und dort professionell, aber authentisch auftreten. Das heißt auch, dass es keine Lösung ist, soziale Medienkanäle an professionelle Agenturen auszulagern und nur als Partei präsent zu sein.

    Um junge Menschen zu erreichen, unabhängig davon, ob diese bereits politisch interessiert sind oder nicht, müssen Politiker*innen in den direkten Austausch mit ihnen treten. Dies sollte sich nicht nur auf das Digitale beschränken, sondern klassische Offline-Begegnungen einbeziehen. Schulen sind ein wichtiger und bereits häufig genutzter Ort des direkten Austausches. Jedoch sollten möglichst alle Bildungseinrichtungen angesteuert werden, damit auch junge Menschen jenseits der Gymnasien und Hochschulen diese unmittelbaren Berührungspunkte mit Politiker*innen haben. Angebote in Bildungseinrichtungen sollten durch außerschulische Angebote ergänzt werden, um möglichst viele junge Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu erreichen. Auch hier gibt es ein großes Potenzial für Politiker*innen und politische Parteien, attraktive und zielgruppenspezifische Veranstaltungen für junge Menschen zu organisieren. Ebenso unerlässlich ist ein Öffnen und Anpassen der Parteistrukturen an die Lebensrealitäten junger Menschen. Hier fehlen ebenfalls noch Kanäle und Formate, durch die junge Mitglieder oder Neumitglieder frühzeitig Gehör finden und Entscheidungen mitfällen können.

    Einerseits wurden viele dieser Aspekte auch von den im Projekt interviewten Politiker*innen problematisiert. Somit ist die grundsätzliche Bereitschaft für einen besseren Austausch mit jungen Menschen durchaus vorhanden. Anderseits wurden in den Gesprächen mit Mandatsträger*innen aber auch noch viele Unsicherheiten geäußert, wie junge Menschen wirklich angesprochen werden wollen und erreicht werden können.

    Nachdem sich die digitale Landschaft sehr dynamisch verändert und auf den Plattformen der sozialen Medien neue Trends kommen und gehen, ist von Seiten der Politiker*innen und der politischen Parteien Flexibilität, ernsthaftes Interesse am Austausch mit jungen Menschen, Zeit und Ressourcen und auch das Miteinbeziehen junger Menschen vonnöten.

    Politiker*innen und politische Parteien sollten sich in der politischen Kommunikation stärker an die unterschiedlichen Lebensrealitäten und das Informationsverhalten junger Menschen anpassen und somit einen größeren Schritt auf junge Menschen zu machen. Mittelfristig können so Communitys aufgebaut werden, die dann ein größeres Interesse an Politik insgesamt haben, sich womöglich auch stärker in Parteien engagieren oder anderweitig politisch aktiv werden. Die in diesem Bericht formulierten praxisnahen Handlungsempfehlungen können politischen Akteuren einen Startpunkt für den erfolgreichen Austausch mit jungen Menschen bieten.

  • Anhänge und Danksagung

    Anhänge

    Liste der interviewten Politiker*innen (alphabetische Reihung)

    • Tobias B. Bacherle, MdB (Bündnis 90/Die Grünen)
    • Isabel Cademartori, MdB (SPD)
    • Lars Castellucci, MdB (SPD)
    • Thomas Erndl, MdB (CSU)
    • Stephan Mayer, MdB (CSU)
    • Sara Nanni, MdB (Bündnis 90/Die Grünen)
    • Heidi Reichinnek, MdB (Die Linke)
    • Andreas Schmidt, MdL (SPD)
    • Nils Schmid, MdB (SPD)
    • Florian Siekmann, MdL (Bündnis 90/Die Grünen)
    • Frank Steinraths, MdL (CDU)
    • Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein, MdHB (FDP)
    • Lencke Wischhusen, MdBB (FDP)

    Danksagung

    Wir möchten uns herzlich bei allen Teilnehmenden der Fokusgruppen und des Workshops für ihre Bereitschaft zur Teilnahme, ihr engagiertes Diskutieren, ihre Zeit und ihre Offenheit bedanken. Ohne diese Beiträge wäre es uns nicht möglich gewesen, die Gründe für viele Phänomene und Missstände zu verstehen. Zudem möchten wir uns bei allen teilnehmenden Politiker*innen bedanken, die bereit waren, uns Einblicke in ihre Kommunikation, aber auch in die Herausforderungen der Interaktion mit jungen Menschen zu geben.

    Wir haben uns gefreut, dass sich Mitglieder des Bundestags und mehrerer Landtage aus fast allen demokratisch gewählten und im Bundestag vertretenen Parteien die Zeit für ein Gespräch mit uns genommen haben. Ihre Teilnahme symbolisiert das Interesse, mehr auf junge Menschen zugehen zu wollen, und stimmt uns hoffnungsvoll.

    Zu guter Letzt möchten wir uns bei Tobias B. Bacherle und seinen Mitarbeiter*innen bedanken, die in einem sehr vollen Terminkalender einen Workshop untergebracht haben. Dadurch konnten wir unserem eigenen Anspruch gerecht werden, nicht nur über junge Menschen und Politiker*innen zu forschen, sondern auch aktiv zu deren Interaktion beizutragen – und auf diese Weise auch als Forschende den Dialog zu fördern und somit einen eigenen Beitrag zu leisten.

    Über die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung

    Die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung erinnert an einen der bedeutendsten deutschen Staatsmänner des 20. Jahrhunderts und befasst sich als zukunftsorientierte Denkfabrik mit Fragestellungen, die auch den Vordenker Schmidt bewegten. Drei übergeordnete Themenfelder stehen im Mittelpunkt der programmatischen Stiftungsarbeit: 1. Europa und internationale Politik, 2. Globale Märkte und soziale Gerechtigkeit sowie 3. Demokratie und Gesellschaft.

    Eng vernetzt mit diesen Programmlinien spiegelt die ständige Ausstellung „Schmidt! Demokratie leben“ in der Hamburger Innenstadt ein knappes Jahrhundert deutscher und internationaler Zeitgeschichte wider. Sie ordnet das Wirken ihres Namensgebers in aktuelle und geschichtliche Zusammenhänge ein. Im Helmut Schmidt-Archiv in Hamburg-Langenhorn macht die Stiftung die privaten Dokumente von Schmidt und seiner Frau Loki der Forschung zugänglich und gewährt der Öffentlichkeit Zugang zum ehemaligen Privathaus der Schmidts.

    Die Stiftung ist vom Bundestag 2017 als eine der sechs überparteilichen Politikergedenkstiftungen des Bundes eingerichtet worden. Sie wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert.

    Über d|part – Think Tank für politische Partizipation

    d|part ist ein gemeinnütziger, unabhängiger und überparteilicher Think Tank. Unser Ziel ist die Erforschung und Förderung verschiedener Formen politischer Partizipation. Unsere Forschung bildet die Grundlage für empirisch fundierte Aussagen über den Stand der politischen Partizipation in Deutschland und Europa.

    Wir geben Orientierung bei Fragen der öffentlichen Meinung, der Bürgerbeteiligung und des Verständnisses zivilgesellschaftlicher Akteure. Wir führen Forschungsprojekte durch, lehren an Schulen und Universitäten und beraten öffentliche Einrichtungen, Bürgerinitiativen und politische Organisationen in Workshops und Seminaren.