Access Denied – Helmut Schmidt wäre vom „Digital Divide“ betroffen

Heute ist fehlender Zugang zum digitalen Raum ein strukturelles Problem

Liebe Leser*innen,

wussten Sie, dass Helmut Schmidt Zeit seines Lebens keine einzige E-Mail verschickt hat? Viele können sich gar nicht vorstellen, dass es eine Zeit ohne das Internet gab. Der Kanzler, dessen Postminister die BRD mit Glasfaser verkabeln wollte, wäre heute Betroffener des „Digital Divide“. Dieser bezeichnet die wachsende Spaltung zwischen denjenigen, die sich sicher im digitalen Raum bewegen können – und denen, die vom Zugang abgeschnitten sind.  

Marieke Petersen, Mitarbeiterin unserer Programmlinien, zeigt in ihrem Schmidtletter, wie einschneidend dieser Ausschluss angesichts der fortschreitenden Digitalisierung sein kann. Denn mehr und mehr Prozesse wechseln vom analogen Weg ins Digitale.

Wir verabschieden uns mit diesem Beitrag in die Sommerpause und wünschen Ihnen schöne Ferien, die Sie hoffentlich hauptsächlich analog genießen.
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung


„Digital Divide“, also digitale Spaltung, beschreibt den ungleichen Zugang zum virtuellen Raum. Dieser kann über mehrere Wege verwehrt sein. Der Schritt ins Digitale erfordert ein funktionierendes Endgerät mit kompatibler Software und einen Internetanschluss. Beides verursacht Kosten. Die Technik allein reicht nicht: Anwender*innen müssen zusätzlich in der Lage sein, sie selbstständig zu bedienen und Neuerungen umzusetzen.

Da Sie diesen Text wahrscheinlich auf dem Handy oder am Rechner lesen, fragen Sie sich gerne selbst: Wie oft verwenden Sie Ihr Gerät täglich? Woher wissen Sie, wie man es bedient? Und: Wie finanzieren Sie Ihren Zugang zum Internet? 

Im virtuellen Raum dabei zu sein heißt nicht mehr nur, die Urlaubsfotos der Nachbarn auf Facebook nicht zu verpassen. Es geht um die Möglichkeit, sich im Netz informieren zu können, Behördengänge eigenständig online zu absolvieren oder gleichberechtigten Zugang zu Arbeit und Ausbildung zu haben. Ist dies nicht gegeben, werden Menschen von einer gleichberechtigten Teilhabe ausgeschlossen.

Ohne Internet? Geht fast nicht mehr.

Das Internet ist inzwischen die fast häufigste Informationsquelle in Deutschland geworden: Knapp 78 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahre nutzte 2023 das Internet, um sich zu informieren. Häufiger angegeben wurde nur der Austausch über Verwandte und Bekannte. Mit der wachsenden Bedeutung von digitalen Diensten wechseln gleichzeitig immer mehr Prozesse in den virtuellen Raum, was unter anderem durch Filialrückgänge von Banken, Krankenkassen oder dem Einzelhandel deutlich wird. Auch Stellenausschreibungen, Informationsangebote oder sozialer Austausch finden mehr und mehr im digitalen Raum statt, sodass Personen ohne Zugang hier ausgeschlossen werden. Gleichzeitig waren selbst im Jahr 2023 noch fünf Prozent der Bevölkerung zwischen 16 und 74 Jahre in Deutschland offline, hatten also noch nie das Internet benutzt. Diese 3,1 Millionen Menschen haben damit keinen Zugang zu einem inzwischen zentralen Raum des gesellschaftlichen Miteinanders.

Grund für diese Leerstelle kann eine freie Entscheidung sein, analog zu leben. Allerdings fehlt vielen Personen diese Wahlfreiheit, weil sie gar nicht in den digitalen Raum hineinkommen. Der Zugang zum Internet und die Fähigkeit, die Vorteile des Internets und der Digitalisierung zu nutzen, hängen maßgeblich von verschiedenen Faktoren wie Einkommen, Alter und den eigenen Kompetenzen ab. Diese bestimmen, wie leicht Personen auf Online-Anwendungen zugreifen können, wie sie diese in ihren Alltag integrieren müssen und ob sie sie überhaupt verwenden können.

Armut verschließt Zugänge

Um online präsent zu sein, wird die notwendige Hard- und Software benötigt, ebenso wie ein ausreichend sicherer Internetzugang. Mit sinkendem Einkommen wird es dabei schwieriger, diese Infrastruktur zu finanzieren. 2019 gaben 20 Prozent erwachsener Armutsbetroffener an, im eigenen Haushalt nicht über einen Internetanschluss zu verfügen. Ein Drittel nannte hierbei die Kosten als Grund. Bei Menschen oberhalb der Armutsschwelle besaßen nur 8,5 Prozent der Haushalte keinen Internetanschluss. Ein Verzicht aus Kostengründen war dabei kaum gegeben. 

Ein fehlender Zugang zum virtuellen Raum wirkt sich konsequent auf die Übung aus, die für einen souveränen Umgang notwendig ist. Arbeitslose und Erwerbstätige aus dem Niedriglohnsektor verwenden in ihrem Alltag seltener einen Computer. Vereinfacht gesagt: Wer Regale einräumt, muss dabei keine E-Mails checken. Damit wirken sich Einkommen und Arbeitsweise nachteilig auf Art und Umfang der digitalen Präsenz aus. Betroffenen fehlt die tägliche Praxis, sodass sie technische Neuerungen nur mit mehr Aufwand für sich umsetzen können. Damit fällt ihnen die Anpassung an Veränderungen schwer. 

Das zeigt sich auch in ihrer Online-Präsenz: Nur 41 Prozent der Arbeitslosen verwenden Online-Banking, Erwerbstätige hingegen zu 67 Prozent. Ähnlich sieht es bei der Teilhabe in sozialen Medien und bei der Informationssuche im Internet aus. Erwerbslose sind deutlich weniger im Netz unterwegs. Da die Wahl des Berufs gleichzeitig maßgeblich durch die eigene Ausbildung bestimmt wird, kann man ebenso eine Verbindung zwischen Bildung und Einkommen und der Einstellung zur Digitalisierung herstellen: Je niedriger die eigene Bildung, desto negativer wird diese Entwicklung wahrgenommen.

Ausblick

Diese strukturelle Diskriminierung führt dazu, dass arme und einkommensschwache Personen weniger von der Digitalisierung profitieren können und im digitalen Raum unterrepräsentiert sind. Die Digitalisierung kann uns aber viele Vorteile bringen: Prozesse werden beschleunigt, Vernetzung wird erleichtert, Informationen leichter teilbar. Diese Entwicklung muss jedoch gesellschaftlich inklusiv sein. Auch die Stimmen derer, die nur leise oder gar nicht im digitalen Raum sprechen, müssen gehört werden. Das bedeutet ebenso, Zugänge für diejenigen zu schaffen, die neue Entwicklungen nicht aus eigener Kraft annehmen können, als auch analoge Wege offenzuhalten.

Helmut Schmidt mit Kopfhörern

Helmut Schmidt, hier am 7. Oktober 2014 in der Peterskirche in Leipzig, hegte Skepsis gegenüber modernen Technologien, erkannte jedoch auch deren Innovationschancen. © picture alliance

Der Schreibtisch von Helmut Schmidt

Helmut Schmidt besaß keinen Computer, er verschickte Zeit seines Lebens keine einzige E-Mail. © BKHS/Michael Zapf

Viele Bildschirme

„Digital Divide“, also digitale Spaltung, beschreibt den ungleichen Zugang zum virtuellen Raum. © canva

 

Autorin: Marieke Petersen, LL.M.

Studentische Mitarbeiterin 

Marieke Petersen ist seit Oktober 2023 bei der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung als studentische Mitarbeiterin für die Programmlinien tätig. Sie schreibt ihre Masterarbeit zum Thema „Digitalzwang als Human Security Problem“ im Masterstudiengang Friedens- und Sicherheitsforschung am IFSH der Universität Hamburg. Zuvor studierte sie „Law and Politics of International Security” in Amsterdam und Internationale Beziehungen in Erfurt und Ankara.

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