Liebe Leser*innen,
gewohnt großspurig hat US-Präsident Donald Trump angekündigt, den Krieg in der Ukraine nach seinem Amtsantritt innerhalb von 24 Stunden zu beenden. Nicht ganz überraschend gestaltet sich der Prozess zur Konfliktlösung aufwendiger. Die Interessenlage ist komplex. Vom Ende des Kriegs und den damit verbundenen Regelungen wird wesentlich die zukünftige europäische Sicherheitsordnung und der Status der EU in der internationalen Politik abhängen.
Unser neuer Experte in Fragen der Friedens- und Sicherheitspolitik Dr. Dan Krause betrachtet in diesem Schmidtletter die aktuellen Herausforderungen unter Präsident Trump und die sich daraus ergebenden Handlungsmöglichkeiten für Europa – drei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.
Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung
Seit drei Jahren tobt Russlands Krieg gegen die Ukraine und produziert täglich Opfer, Leid, Verbrechen und Vertreibung. Donald Trump, der den Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden wollte, hat nun ein hochrangiges Team zu der an diesem Wochenende stattfindenden Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) entsendet. Sein Vizepräsident JD Vance, Außenminister Marco Rubio und der Sonderbeauftragte für die Ukraine, Keith Kellogg, werden der Delegation angehören und sollen dort die Pläne Trumps mit Verbündeten und Partnern besprechen. Während die Ukraine einen Waffenstillstand und robuste Sicherheitsgarantien – inklusive des Beitritts zu NATO und Europäischer Union (EU) – anstrebt, will Russland einen „Friedensvertrag“, der weitgehend seine Forderungen und Ziele in Bezug auf die Ukraine erfüllt. Das bedeutet, diese soll zu einem „Pufferstaat“ werden, in welchem Russland weiterhin und jederzeit Einfluss nehmen kann. Dazu soll das Land territorial geschrumpft und durch einen Regierungswechsel politisch umgestaltet sowie weitgehend entmilitarisiert werden. Außerdem soll Kyjiw dauerhaft auf eine Mitgliedschaft in NATO und EU verzichten. Vom Ende des Kriegs in der Ukraine, seinem Zustandekommen und seinen Vereinbarungen wird wesentlich die zukünftige europäische Sicherheitsordnung abhängen und der Status der EU und ihrer Mitgliedsstaaten in der internationalen Politik beeinflusst werden. Aber ist (EU)ropa außen- und sicherheitspolitisch handlungsfähig?
Die „Wiederkehr der Einflusszonen“ und das Scheitern westlicher Ordnungsentwürfe
Der Europäische Rat hat im Dezember 2023 die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine beschlossen, welche im Juni 2024 eröffnet wurden. Ein Signal der Unterstützung und Beleg, dass die EU am Prinzip der freien Bündniswahl festzuhalten gedenkt. Durch die Rückkehr Trumps ins Oval Office und nach ersten Berichten über die angeblichen Inhalte seines „Friedensplans“ könnte nun möglicherweise Realität werden, was der Politikwissenschaftler Herfried Münkler kurz vor dem russischen Überfall auf die Ukraine, als „Wiederkehr der Einflusszonen“ beschrieb: die zähneknirschende, aber für Frieden und Stabilität notwendige Akzeptanz der Einschränkung von Bündnisfreiheit in bestimmten Pufferzonen zwischen Räumen unterschiedlicher politischer Ordnung.
Für Münkler war die „Wiederkehr der Einflusszonen“ die Konsequenz des gescheiterten Versuchs der globalen Ausdehnung der westlichen „liberalen, regelbasierten Ordnung“, aufgrund doppelter Standards und der Nichtakzeptanz außerhalb des „Globalen Westens“. Doch auch in Europa selbst hatte es eine gesamt-kontinentale Sicherheitsordnung nie gegeben. Dafür fehlte die gemeinsame Wertebasis – vor allem, aber nicht nur mit Russland – und ging Vertrauen durch Fehler auf allen Seiten schrittweise verloren. Warnungen des Kremls wurden dabei ebenso übersehen wie die Dominanz von (militärischer) Gewalt und autoritären Tendenzen in der russischen Außen- und Innenpolitik. Die historischen Erfahrungen der mittelosteuropäischen Staaten, in Kombination mit der Unattraktivität des russischen Staats- und Gesellschaftsmodells, führten dazu, dass fast alle diese Länder aktiv den Schutz der NATO und eine Abkehr von Russland suchten. Historische Ereignisse sind multikausal und Geschichte kontingent, Entwicklungen also nie alternativlos und die Zukunft etwas, das wir durch unser Handeln mitbestimmen. Klar ist, die bisherige europäische Sicherheitsordnung existiert nicht mehr; Putin hat sie zerschlagen. Sein brutaler Imperialismus steht in klarem Gegensatz zur Charta von Paris aus dem Jahr 1990 (dem Schlussdokument des KSZE-Prozesses) und verletzt zentrale Grundsätze der Vereinten Nationen. Russland ist für den größten Krieg in Europa seit 1945 verantwortlich, hat Grenzen mit Gewalt verschoben und das Tabu der Androhung des Einsatzes von Atomwaffen gebrochen. Es strebt nach einer exklusiven Einflusszone und will den Rückzug der USA aus Europa.
Subjekt oder Objekt der internationalen Politik?
Nichts davon ist im Interesse der meisten Mitglieder von EU und NATO. Aber wie will die EU das Prinzip der freien Bündniswahl und die Grundsätze der UN-Charta aufrechterhalten, wenn der US-Präsident Einflusszonen für selbstverständlich hält und das territoriale Wachstum, mit dem aktuellen Fokus auf Grönland, Panama und Kanada, zum Ziel seines Landes erklärt hat? Wird in Washington noch erkannt, dass nicht nur die EU auf Partner angewiesen ist, sondern auch der Einfluss und die Macht der USA auf ihrem globalen Netz von Allianzen, einschließlich der erweiterten nuklearen Abschreckung beruhen? Nach einem erst noch zu erreichenden, vor allem für die Ukraine akzeptablen, Friedensschluss, ist eine neue europäische Sicherheitsordnung aufzubauen, die bis auf Weiteres Schutz vor Russland bieten muss. Wer wird diese Ordnung garantieren und wie kann verhindert werden, dass diese und das Kriegsende weitgehend ohne die Ukraine und die Europäer entschieden werden? Ist eine Rückkehr der Einflusszonen für Teile Europas notwendig, unabwendbar oder wird daraus gar ein neuer globaler Kalter Krieg? Letzteres wird global von einer übergroßen Staatenmehrheit abgelehnt und ist auch von der Fähigkeit Europas abhängig, für eine kooperative, vorwärts gewandte internationale Ordnung Partner zu finden.
Um zukünftig als unabhängiges, selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Subjekt unter erheblich verschärften Bedingungen in der internationalen Politik wahrgenommen zu werden, bedarf es entschiedener politischer Führung, die klug, besonnen, vorausschauend und mit klaren strategischen Zielen eine europäische außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Handlungsfähigkeit anstrebt. Über die Partnerschaft mit den USA hinaus, ist dazu mehr belastbare Zusammenarbeit mit anderen Regionalorganisationen und wichtigen Mittelmächten wie Indien, Brasilien, Südafrika, Südkorea oder Japan notwendig. Diese sind wie die EU auf multilaterale Strukturen, internationale Organisationen, Regeln und Kooperation angewiesen, um ihre Interessen verfolgen und (globale) Probleme lösen zu können. Der Erhalt der europäischen Wirtschaftskraft und Wettbewerbs- sowie Innovationsfähigkeit, ernsthafte Anstrengungen zur deutlichen Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit sowie interne Reformen und Vertiefungen der Strukturen und Mechanismen der EU sind hierfür Voraussetzung. Ob dies einer europäischen und deutschen Politik gelingt, die lange Zeit mit sich selbst beschäftigt war und die aktuell mit internen Querelen und Herausforderungen zu kämpfen hat, ist leider alles andere als sicher.