Helmut Schmidt sitzt Bernhard Heisig Modell: „Stillhalten fällt mir schwer“

Vom Leipziger Maler in Öl gemalt kehrt der Staatsmann 1986 ins Kanzleramt zurück

Autor/in:Axel Schuster

Liebe Leser*innen,

ein Jahr nach Helmut Schmidts Kanzlerschaft, im November 1983, begann eine breit angelegte Suche nach einem Maler oder einer Malerin für das Porträt des Altkanzlers im Bundeskanzleramt in Bonn: Per Zeitungsannonce in der Bild-Zeitung war die gesamte Republik beteiligt.

In seinem Schmidtletter beschreibt unser Archivar Axel Schuster, wie die Wahl schließlich auf den Leipziger Maler Bernhard Heisig fiel und wie aus den Sitzungen für das Porträt eine langjährige Freundschaft zwischen den beiden Männern entstand. 

In Heisigs Heimatstadt können Sie übrigens ab 7. Oktober unsere Wanderausstellung „Challenging Democracy! – Von Helmut Schmidt bis heute“ sehen. Bis zum 27. Oktober macht sie Station im Neuen Rathaus Leipzig.

Wir freuen uns über Ihren Besuch und wünschen Ihnen eine unterhaltsame Lektüre,
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung
 


Am 11. November 1983, mehr als ein Jahr nach Helmut Schmidts Kanzlerschaft, bat Staatsminister Philipp Jenninger, Schmidt möge doch bitte die Tradition fortsetzen und einen Künstler für ein Kanzlerporträt auswählen. Es fehlte der bis dato fünfte Kanzler in der Galerie im Bundeskanzleramt. Wie Die Zeit schrieb, stammte die Idee für eine Kanzlerserie in Öl offenbar aus dem Jahr 1976 unter dem damaligen Kanzler Schmidt. Der war der Meinung, der Neubau des Bundeskanzleramts ähnele einer „Sparkassenhauptverwaltung“ und es fehle im Gebäude an Kunst. Die Suche nach dem passenden Maler oder der passenden Malerin begann. 

Bild sucht mit

Wer auf die Idee kam, am 8. Dezember 1983 eine Notiz in der Bild-Zeitung zu veröffentlichen, lässt sich nicht belegen. „Schmidt. Guter Maler gesucht. Helmut Schmidt (64) sucht einen Künstler, der ihn malt. Das Ölgemälde soll nicht mehr als 35.000 Mark kosten.“ 

Die Angebote gingen ab dem ersten Tag ein: „Eine große Freude und Ehre, Sie, Herr Bundeskanzler porträtieren zu dürfen.“, „Durch Zufall habe ich gelesen, daß Sie sich malen lassen wollen. Dabei habe ich an meine Mutter gedacht, die fantastisch malen kann.“ oder „Sie suchen einen Porträtisten. Ich male seit 1951 in Hamburg – Kapitäne und Kaufleute, Frauen und Kinder.“ Weit über 100 Angebote liefen bis zum 8. März 1984 ein, über 200 Zuschriften erreichten bis 17. August das Bundeskanzleramt. Aber kein Maler und keine Malerin konnte Schmidt überzeugen.

Die Wahl fiel schließlich auf Bernhard Heisig. Schmidt erinnerte sich zum 80. Geburtstag des Malers „Nach 1982 wollte das Kanzleramt auch von mir ein Porträt haben. Beim Nachdenken über einen geeigneten Maler kam ich auf Bernhard Heisig, von dem ich einige Bilder und Abbildungen gesehen hatte. Ich kannte Heisig nicht; er lebte in Leipzig in der DDR. Ich fand es wünschenswert, daß ein DDR-Maler im Bonner Kanzleramt vertreten ist.“ 

Am 2. August 1985 ließ Schmidt dem Chef des Bundeskanzleramts Wolfgang Schäuble mitteilen, dass Heisig ihn porträtieren werde und bat um äußerste Diskretion. Schließlich wurde am 15. Januar 1986 ein Porträt-Vertrag zwischen dem Bundeskanzleramt in Bonn und Professor Bernhard Heisig, vertreten durch den Staatlichen Kunsthandel der DDR, für 40.000 DM und 4.000 DM Reisekosten geschlossen. 

Kein unbekannter Leipziger Maler

Mit Bernhard Heisig kam kein unbekannter Maler aus der DDR zum Zug. Kunst in dem anderen deutschen Staat wurde von westdeutscher Seite vorschnell in Staats- oder Auftragskunst eingestuft, was auch stimmte, aber nur bedingt. Die Bildende Kunst der DDR berief sich auf die realistische Kunst. 

Bernhard Heisig war ein unbequemer Geist. Er gab sein Studium 1951 wegen künstlerischer Enge in der DDR auf und arbeitete autodidaktisch weiter. Er beschäftigte sich künstlerisch mit der Pariser Kommune von 1871 und späteren historischen Themen zu Krieg und seinen Schrecken. Heisig arrangierte sich mit dem ostdeutschen Staat, lehrte von 1954 bis 1966 an der Leipziger Hochschule für Graphik und Buchkunst bis zur eigenen Kündigung. Er war Nationalpreisträger, in leitenden Funktionen im Verband Bildender Künstler tätig, zudem auch SED-Mitglied. Von 1976 bis 1987 amtierte Heisig als Rektor der Leipziger Hochschule gewählt. Auf der Documenta 6 stellte er 1977 mit aus. 

Modell sitzen in der DDR

Die ersten Skizzen entstanden im Oktober 1985 in Hamburg-Langenhorn in Schmidts Privathaus, sie dienten als Vorlage für die späteren Bilder in Öl. Anfang Juli 1986 fuhr Schmidt nach Leipzig. Der Besuch war generalstabsmäßig geplant. Vom West-Berliner Kontrollpunkt Dreilinden, dort individuell und schnell abgefertigt als „Persönlichkeit der Kategorie I“, fuhr eine Kolonne von bis zu sechs Autos in die DDR. Vier Wagen von DDR-Seite sowie zwei bundesrepublikanische Merrcedes-Limousinen machten sich mit zwei Fahrern, zwei Sicherheitsbeamten, Loki und Helmut Schmidt, einer Redakteurin der Zeit sowie einem Beamten des Bundeskanzleramts mit etwa 140 km/h in Schnellkolonne und DDR-Blaulicht auf dem Weg über die Autobahn nach Leipzig. Kurz vor Erreichen des Ziels wechselten auf einem Parkplatz die Ost-Berliner gegen Leipziger Polizeikräfte, und diese fuhren voran in die Stadt, vorbei am Normalverkehr und ohne Ampel-Halt, zum Hotel Merkur, dem damals modernsten Hotel. Zum Atelierbesuch bei Heisig stieß später ein westdeutscher Fotograf dazu. Die Staatssicherheit organisierte sich vom DDR-Fahrer bis zum persönlich zugeordneten Angestellten des Hotel Merkur, um alle denkbaren Zwischenfälle zu verhindern.

Live in der ARD

Peter Merseburger vom ARD-Studio DDR bekam Wind von der Sache und schrieb an Schmidt: „Ich habe gehört, dass Sie am 3. und 4. Juli dem Maler Heisig in Leipzig sitzen werden. Natürlich würde ich davon gern einige Einstellungen für die Tagesthemen oder den Bericht aus Bonn am 4. Juli drehen.“ Schmidt und Heisig waren einverstanden. 

So kam in den Tagesthemen vom 3. Juli 1986 ein lockerer Zweieinhalb-Minüter mit O-Ton von Helmut Schmidt: „Für mich ist maßgeblich gewesen, daß so ein Porträt einerseits, da es an repräsentativer Stelle, wo Publikumsverkehr ist, Ausländerverkehr, daß man den Abkonterfeiten noch muß erkennen können. […] Aber zweitens muss es auch noch Kunst sein. […] So sind wir eigentlich ohne politischen Hintersinn, ohne politische Absicht auf Herrn Heisig gekommen, haben das dann aber ganz gut gefunden, einen Maler aus der DDR darum zu bitten.“ Abschließend meinte Heisig: „Das Gesicht interessiert mich schon, es ist ein Gesicht, in dem man ein Schicksal sieht.“ 

Die Modell-Sitzungen in Leipzig waren nicht einfach. Wenn Schmidt in der Rückschau meinte: „Stillhalten fällt mir schwer“, legte Heisig nach: „Das haben Sie ja auch nie gemacht.“ Der Künstler arbeitete drei Jahre an den Vorzeichnungen, Studien und vier Porträts. Bei Schmidts nächstem Besuch am 24. Oktober 1986 in Leipzig begutachtete der ehemalige Bundeskanzler die vier Gemälde und bestimmte daraus das offizielle Kanzlerbild.

Eine tiefe Freundschaft

Dass Helmut Schmidt den Maler Bernhard Heisig für das Kanzlerporträt aussuchte, hat sich für die folgenden 25 Jahre als ein Glücksgriff erwiesen. Sie teilten das prägendste Erlebnis ihrer Jugend: Beide hatten den Zweiten Weltkrieg als Soldaten überlebt. Auf die Porträtsitzungen folgten viele Einladungen nach Hamburg und an den Brahmsee und Gegeneinladungen zu Heisigs Ausstellungen in der Bundesrepublik. Sie hielten bis zum Tod von Bernhard Heisig im Jahr 2011 einen herzlichen Kontakt aufrecht.

Im Nachruf in der Zeit beschrieb Schmidt seine Trauer über den Verlust eines Menschen, den er als Maler und Menschen geschätzt hat. Schmidt charakterisierte Heisig als einen Menschen, der keinem geschadet hat, mancherlei Kompromisse einging und auch kein DDR-Widerstandskämpfer gewesen sei, dagegen fortschrittsungläubig, geschichtspessimistisch und künstlerisch anklagend. „Er blieb ein besessener Maler – auch noch im Rollstuhl“. Alles in allem war Heisig „ein sehr deutscher Maler“. Das heiße, Schrecken erlebt zu haben und diese zu verarbeiten – nicht zu verdrängen und zu überlagern, wie es viele andere Deutsche im 20. Jahrhundert taten.

Einweihung des Porträts von Ex-Kanzler Helmut Schmidt im Bundeskanzleramt am 11. November 1986 in Bonn. Schmidt hatte die Galerie 1976 selbst begründet und für sein eigenes Porträt den Leipziger Maler Bernhard Heisig ausgewählt. © picture alliance

Helmut Schmidt besucht den Maler Bernhard Heisig in dessen Atelier in Leipzig (3. Juli 1986). Im Hintergrund der Journalist Peter Merseburger, ARD-Korrespondent in Ost-Berlin. © picture-alliance/dpa|Chris Hoffmann

Der Leipziger Maler Professor Bernhard Heisig in der „Galerie der Kanzler“ im Bundeskanzleramt in Bonn vor seinem Gemälde von Altbundeskanzler Helmut Schmidt (11. November 1986). © picture-alliance/dpa|Fischer

Autor: Axel Schuster

Archivar

Axel Schuster erschließt als Archivar die Überlieferung des Altbundeskanzlers im Helmut Schmidt-Archiv, zudem berät er die Stiftung in Fragen des Datenschutzes. Daneben betreut er für die Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius sowie die Marion Dönhoff Stiftung die Nachlässe von Gerd Bucerius und Marion Gräfin Dönhoff.

Teile diesen Beitrag: