Mehr Politik in die EU-US-Handelspartnerschaft

Internationale Konferenz von BKHS und Europa-Kolleg Hamburg: FOTAR – The Future of Transatlantic Relations

Nahaufnahme der Umrisse von Nordamerika auf einem Globus.

Liebe Leser*innen,

der Streit um die Beteiligung der chinesischen Staatsreederei Cosco am Containerterminal Tollerort im Hamburger Hafen hat in den letzten Wochen die Gemüter erhitzt. Die zentrale Frage dabei: Wie sehr darf sich Politik in wirtschaftliche Entscheidungen einmischen?

Unsere Programmlinienleitung Globale Märkte und soziale Gerechtigkeit Elisabeth Winter beschreibt in ihrem Schmidtletter die Bedeutung der transatlantischen Handelspartnerschaft im Umgang mit den aktuellen globalen politischen Krisen, die das internationale Wirtschaftssystem herausfordern.

Die Politik des gemeinsamen Handelns steht auch am 8. Dezember im Fokus unserer internationalen, interdisziplinären Fachtagung FOTAR 2022, zu der wir gemeinsam mit dem Europa-Kolleg Hamburg einladen. Unter dem Motto „The Politics of Transatlantic Trade Relations“ beleuchten wir, wie die transatlantische Handelspartnerschaft zur sozioökonomischen Transformation des globalen Wirtschaftssystems beitragen kann.

Ein schönes Wochenende wünscht 
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung


 

Die Globalisierung scheint angezählt. Die globalen Lieferketten leiden unter Russlands Angriff auf die Ukraine, dem Systemkonflikt zwischen China und den USA sowie den Nachwehen der Corona-Pandemie. Als Konsequenz rückt die Politik des internationalen Handels wieder in den Mittelpunkt. In Deutschland war der Streit um die Beteiligung der chinesischen Reederei Cosco an einem Terminal im Hamburger Hafen in den letzten Wochen sicherlich das prominenteste Beispiel für die Frage, wie stark die Politik sich in die Wirtschaft einmischen solle. Denn was die Diskussionen um das 5G-Netz und Huawei bereits erkennen ließen, haben die Probleme um die russischen Gaslieferungen schonungslos offengelegt: die Verwundbarkeit des Landes durch ökonomische Abhängigkeiten von autoritären Staaten.

Neuer Blick auf Wirtschaftspolitik auf beiden Seiten des Atlantiks

Vor diesem Problem steht Deutschland aber nicht alleine. Andere Länder der EU spüren die aktuellen Auswirkungen ökonomischer Abhängigkeit ebenso wie die USA. Insbesondere die Abhängigkeiten von China sind für viele Staaten alarmierend: Wie verwundbar sind die eigenen Volkswirtschaften durch die enge wirtschaftliche Vernetzung mit einem China, das nicht vor Menschenrechtsverletzungen zurückschreckt, gegenüber Taiwan offen mit dem Säbel rasselt und seine Wirtschaftskraft ohne Bedenken für politische Interessen einsetzt?

Deutschland sollte diese Probleme nicht alleine angehen. In der internationalen Handelspolitik, dem am stärksten vergemeinschafteten Bereich der EU, gilt es auf europäischer Ebene gemeinsame handelspolitische Ziele zu definieren. Außerdem ist der wechselseitige Handel seit jeher ein Eckpfeiler der transatlantischen Partnerschaft. Doch inmitten der Vielzahl globaler Krisen werden auf beiden Seiten des Atlantiks bislang gültige Annahmen zum Verhältnis von Wirtschaft und Staat in Frage gestellt, eine stärkere Rolle des Staats wird gefordert. So betonte Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck bei der Asien-Pazifik-Konferenz letztes Wochenende in Singapur (12. November 2022), dass die Zeiten unpolitischen Handels vorbei seien.

Zwischen Decoupling und Diversifizierung

Trotz der von allen Seiten geteilten Einsicht, dass angesichts aktueller Krisen mehr Politik in der Wirtschaft benötigt werde, unterscheiden sich die Debatten in den USA und der EU; vor allem in Bezug auf China. Während für die USA der Systemkonflikt an erster Stelle steht und Begriffe wie „decoupling“ (entkoppeln) und „friendshoring“ (Handel nur mit Ländern, die ähnliche Werte teilen) längst in aller Munde sind, werden deutsche Politiker*innen nicht müde, die Bedeutung guter Wirtschaftsbeziehungen mit China zu betonen. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die deutsche Wirtschaftsdelegation zu beurteilen, die Bundeskanzler Olaf Scholz auf seinen kontrovers diskutierten Besuch Anfang November 2022 nach China begleitete. Statt einer Entkoppelung von China müsse Deutschland eine stärkere Diversifizierung anstreben, führte Robert Habeck dementsprechend aus.

Mit Hilfe von Diversifizierung sollen potenzielle Risiken breiter gestreut und vor allem der Handel mit befreundeten Staaten intensiviert werden.

Gemeinsame Herausforderungen brauchen gemeinsame Antworten

Mit Blick auf die derzeitigen Krisen lautet die Frage also weniger, wie viel Politik die Wirtschaft eigentlich verträgt, sondern wie viel Politik eine in die Zukunft gerichtete Wirtschaft braucht, um eine sozioökonomische Transformation des globalen Wirtschaftssystems zu realisieren. Vier zentralen Themenkomplexen kommt dafür besondere Bedeutung zu.

Erstens sollten die USA und die EU gemeinsam ihre globalen Lieferketten gegen den aktuellen geoökonomischen Wettbewerb schützen. Die transatlantische und die chinesische Wirtschaft sind eng miteinander verflochten, während gleichzeitig eine zunehmende Rivalität den politischen Umgang bestimmt. Resiliente Lieferketten und der Schutz neuer Technologien vor dem Missbrauch durch autoritäre Regierungen sind für das zukünftige Wirtschaften zentral. Die EU und die USA sollten sich für den Aufbau widerstandsfähiger transatlantischer Handelsbeziehungen einsetzen, um so Prosperität und technologischen Fortschritt innerhalb eines werte- sowie regelbasierten Wirtschaftssystems zu ermöglichen.

Zweitens muss das Ziel der transatlantischen Handelspartnerschaft sein, die aktuelle Energiesicherheit mit langfristiger Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen. Um die gewünschten Ergebnisse beim Klimaschutz zu erzielen, sind weitreichende Maßnahmen im Welthandel erforderlich: Zusammen mit China sind die USA und die EU für etwa die Hälfte des weltweiten Handels und der CO2-Emissionen verantwortlich. Die transatlantischen Partner müssen sicherstellen, dass sowohl ihre handels- als auch energiepolitischen Instrumente die internationalen Bemühungen im Klimaschutz ergänzen und so globale Wirkung entfalten können.

Drittens muss transatlantische Handelspolitik die durch die Globalisierung entstandenen sozialen Ungleichheiten im Globalen Norden als auch im Global Süden adressieren. Soziale Ungleichheit und ihre wirtschaftlichen und politischen Folgen sind zu einer großen globalen gesellschaftlichen Herausforderung geworden, welche die ohnehin schon diskriminierten Menschen an den Rand drängt, die Gesellschaften polarisiert und die demokratischen Institutionen aushöhlt. Jede wirtschaftliche Integration muss deswegen auch eine sozioökonomische Integration sein.

Viertens müssen die aktuellen Regierungen auf beiden Seiten des Atlantiks sicherstellen, dass weltweit anerkannte Grundrechte auch in Zukunft das Fundament der transatlantischen Sicherheits- und Handelspartnerschaft bilden. Vor etwa einem Jahr einigten sich SPD, FDP und Grüne im Koalitionsvertrag darauf, im „Systemwettbewerb“ mit Autokratien Menschenrechte zum Kompass zu machen. Angesichts globaler Vernetzungen durch Lieferketten darf gerade in der Handelspolitik der Schutz der Menschenrechte nicht an den transatlantischen Grenzen enden. Die transatlantischen Partner müssen ihre politische und wirtschaftliche Kraft nutzen, um sich für die Menschenrechte entlang ihrer globalen Produktionslinien einzusetzen.

Transatlantische Handelspolitik zum Anfassen: FOTAR 2022 in Hamburg

Die hier skizzierten Ambitionen für eine transatlantische Handelspolitik gilt es in die Praxis umzusetzen: Bereits zum dritten Mal veranstalten die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung (BKHS) und das Europa-Kolleg Hamburg am 8. Dezember ihr gemeinsames Konferenzformat „FOTAR – The Future of Transatlantic Relations“.

FOTAR 2022 steht unter dem Motto „The Politics of Transatlantic Trade Relations“. Im gemeinsamen Dialog wollen wir erarbeiten, wie die transatlantische Handelspartnerschaft zur sozioökonomischen Transformation des globalen Wirtschaftssystems beitragen kann. Dafür bringen wir auf unserer internationalen Fachtagung Politiker*innen und Praktiker*innen aus den USA und der EU zusammen. Außerdem lassen wir im Rahmen eines FOTAR-Scholarship-Programms für Nachwuchskräfte auch die nächste Generation von Transatlantiker*innen zu Wort kommen.

Wir laden Sie herzlich ein, bei FOTAR 2022 gemeinsam mit uns und unseren Expert*innen zu diskutieren.

Das Konferenz-Programm mit einer Kurzvorstellung aller Expert*innen und FOTAR-Scholars sowie der Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier.

Nahaufnahme der Umrisse von Nordamerika auf einem Globus.

Allen voran sind es die transatlantischen Partner, die trotz ihrer aktuell unterschiedlichen Umgangsweisen mit China vor gemeinsamen Herausforderungen stehen.

© Canva

Großer Transportfrachter mit zahlreichen Containern in der Nähe eines Hafens.

Die globalen Lieferketten leiden unter Russlands Angriff auf die Ukraine, dem Systemkonflikt zwischen China und den USA sowie den Nachwehen der Corona-Pandemie.

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