Partner und Rivalen: Willy Brandt und Helmut Schmidt

Über das Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander der beiden Sozialdemokraten und Staatsmänner

Autor/in:Meik Woyke
Farbfoto von Willy Brandt und Helmut Schmidt vor einer Wand mit SPD-Logo.

Liebe Leser*innen,

vor genau 30 Jahren, am 8. Oktober 1992, starb Willy Brandt. Mit Helmut Schmidt verband ihn ein spannungsreiches Verhältnis. Beide lernten sich in den 1950er-Jahren als junge Bundestagsabgeordnete in Bonn kennen und schätzen. Doch zunehmend wurde ihre enge politische Partnerschaft durch ausgeprägte Rivalitäten überschattet. Lesen Sie mehr über das Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander der zwei Sozialdemokraten und Staatsmänner in unserem heutigen Schmidtletter von Meik Woyke.

Ein schönes Wochenende wünscht
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung



Das Verhältnis zwischen Willy Brandt und Helmut Schmidt gilt als kompliziert und schwierig, obwohl beide über mehrere Dekaden hinweg die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland entscheidend miteinander geprägt haben.

Bereits ihre Sozialisation verlief gegensätzlich und vermittelte ihnen verschiedene Erfahrungshintergründe. Brandt wuchs in schwierigen Familienverhältnissen auf und fand bereits als Jugendlicher in der Weimarer Republik zur Arbeiterbewegung. Er kämpfte gegen die NS-Herrschaft und ging ins skandinavische Exil, weshalb er später als der „andere Deutsche“ charakterisiert wurde. Der um fünf Jahre jüngere Schmidt verbrachte seine Kindheit und Jugend in einem kleinbürgerlichen Elternhaus. Sein Vater, dem als Studienrat der soziale Aufstieg gelang, ließ ihn die reformpädagogische Lichtwarkschule besuchen. Über Politik wurde nach der Erinnerung von Schmidt zu Hause nicht gesprochen. Während Brandt die Machtübernahme der Nationalsozialisten als selbstständig denkender junger Mann erlebte, ging Schmidt im Januar 1933 noch zur Schule. Den Zweiten Weltkrieg durchlebte er wie so viele seiner Landsleute an der Front, wo er als Offizier der deutschen Wehrmacht dem nationalsozialistischen Regime diente.

Nach 1945 kreuzten sich ihre Lebenswege, als Brandt und Schmidt sich beide für die Sozialdemokratie engagierten und rasch zu führenden Persönlichkeiten ihrer Partei aufstiegen. Da sie die Adenauer-Republik verändern und gesellschaftliche Reformen durchsetzen wollten, verband sie eine jahrzehntelang währende Partnerschaft, deren Höhen und Tiefen ihr mehr als 700 Schreiben umfassender Briefwechsel (1958–1992) zum Ausdruck bringt.

Aus Gegensätzen und Temperament wird Rivalität

Zugleich hätte jedoch das Politikverständnis von Brandt und Schmidt und auch ihr Führungsstil kaum unterschiedlicher sein können. Befeuert durch ihr gegensätzliches Naturell und ihre verschiedenen politischen Temperamente entstand zwischen ihnen eine ausgeprägte Rivalität. Insbesondere nach der Bildung der Großen Koalition (1966–1969) vertraten sie nicht selten gegenläufige Positionen. Diese Tendenz nahm während der sozial-liberalen Ära noch zu, als sie nacheinander das Amt des Bundeskanzlers (1969–1974–1982) innehatten. Ihre Differenzen und Kontroversen über die SPD und deren Regierungspolitik, über die Nachrüstungsfrage oder den Umgang mit der Ökologie- und Friedensbewegung machen den besonderen Reiz ihrer persönlichen Beziehung und ihres Arbeitsverhältnisses aus.

Diese Konflikte bewirkten jedoch nicht, dass Brandts und Schmidts politische Kooperation endete oder sogar in vehemente Gegnerschaft umschlug. Vielmehr bildete sich – bei fortgesetztem Zusammenwirken für die Sozialdemokratie – allmählich ein Wettstreit um Deutungsmacht, Einfluss und Geltung heraus, der ihren füreinander empfundenen Respekt niemals infrage stellte. Den aktiveren Part in diesen Auseinandersetzungen übernahm meistens Schmidt, dem es an Selbstbewusstsein hierfür nicht fehlte. Je höher er während der 1960er-Jahre in der sozialdemokratischen Ämterhierarchie emporstieg, desto nachdrücklicher vertrat er den Anspruch, bei Richtungs- und Personalentscheidungen der SPD gefragt zu werden und mitzubestimmen. Sein hieraus resultierendes Status- und Konkurrenzdenken zeigte sich in verschiedenen politischen Konstellationen. Ab 1966 betraf es nicht mehr allein das Partei-, sondern auch das Regierungshandeln. Phasen der grundsätzlichen Einigkeit und partnerschaftlichen Kooperation wurden von heftigen Meinungsverschiedenheiten überlagert. Die Konfrontationen entzündeten sich an Sachthemen, aber häufiger noch an politischen Stilfragen.

Zwar beanspruchte Schmidt das Kanzleramt bis zu Brandts Rücktritt anlässlich der Guillaume-Affäre im Mai 1974 niemals offen für sich. Kategorisch mit dem Bundeskanzler zu brechen und einen die SPD schädigenden Machtkampf zu entfachen, widersprach seiner Loyalität und lag ihm fern. Mit wachsender Verärgerung über die nach seinem Dafürhalten zu lasche Regierungsführung Brandts ließ Schmidt jedoch in ihm geneigten Parteikreisen wie gegenüber interessierten Medienvertreterngelegentlich aufscheinen, dass er sich für den besseren Kanzler hielt.

Der „Zauderer“ und der „Macher“?

Den politischen Analysten der sozial-liberalen Koalition galt Brandt als politischer Visionär, während Schmidt das Bild eines philosophisch geerdeten Verantwortungsethikers hervorrief. Zu diesen letztlich schablonenhaften Zuschreibungen passte es, dass Brandt seine erste Regierungserklärung als Bundeskanzler im Oktober 1969 unter das Leitmotiv „Mehr Demokratie wagen“ gestellt hatte, wohingegen Schmidt mit weitaus geringerem Reformpotenzial fünf Jahre später „Kontinuität und Konzentration“ beschwor. Offenkundig waren die finanziellen Spielräume enger geworden. Während sich Brandt als „Staatsmann ohne Staatsamt“ ab 1976/77 als Vorsitzender der Sozialistischen Internationale und der Nord-Süd-Kommission neue Aufgabenfelder erschloss und die Förderung der globalen Entwicklungszusammenarbeit auf seine Fahne schrieb, musste Schmidt als Bundeskanzler auf die grassierende ökonomische Krise und die wachsende Arbeitslosigkeit reagieren. Darüber hinaus sah er sich mit dem im „Deutschen Herbst“ (1977) eskalierenden Terrorismus der Roten Armee Fraktion konfrontiert.

Auf der Basis von zeitgenössischen Medienberichten ließe sich die lange Reihe der Gegenüberstellungen mühelos fortsetzen. Brandt, der „Zauderer“, habe als Bundeskanzler zunehmend „entrückt“ gewirkt; Schmidt erschien demgegenüber als „Macher“, von militärisch geschulter Disziplin getragen, stets fachlich auf der Höhe, entscheidungsfreudig und extrem durchsetzungsstark. Gern wurde auch die Formel verwendet, Brandt stehe für die SPD und Schmidt repräsentiere den Staat.

Solche zugeschriebenen Eigenschaften, in denen sich der Blick von außen mit dem Selbstbild eines Politikers vermischt, bergen stets die Gefahr, ins Klischeehafte abzugleiten. Vor allem verdecken sie das komplexe Ergänzungs- und Spannungsverhältnis, in dem Brandt und Schmidt durch ihr langjähriges Zusammenwirken standen. Ihr Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander war bei genauerem Hinsehen wesentlich vielschichtiger, zumal wenn man den Fokus über die 1970er-Jahre hinaus weitet.

Keiner der beiden lässt sich in ein festes Schema pressen. Brandt und Schmidt erkannten und schätzten jeweils die Stärken ihres Gegenübers und sahen ihre eigenen Schwächen. Dies machte sie zu loyalen Weggefährten und Partnern, die sich gegenseitig in Partei, Fraktion und Bundesregierung ergänzten; bisweilen jedoch auch zu erbitterten Kontrahenten und Rivalen, die sich über die Ausrichtung der Sozialdemokratie auseinandersetzten und den richtigen Einsatz von politischer Führung.

Helmut Schmidt lacht während einer Konversation mit Willy Brandt.

Bundeskanzler Helmut Schmidt und Parteivorsitzender Willy Brandt auf dem Bundesparteitag der SPD am 14.11.1975. © picture alliance / Heinrich Sanden

Farbfoto von Willy Brandt und Helmut Schmidt vor einer Wand mit SPD-Logo.

Willy Brandt und Helmut Schmidt am 18.11.1971. © picture alliance / Sammy Minkoff

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