Liebe Leser*innen,
staunen Sie auch, wenn Sie im Ausland unterwegs sind, wie schnell das Internet funktioniert, während es zu Hause manchmal eine gefühlte Ewigkeit dauert, bis ein Bild oder ein Buch heruntergeladen sind? Kein Wunder! Deutschland rangiert beim Ausbau des Glasfasernetzes auf der Rangliste der Industrieländer auf dem vorvorletzten Platz. Dabei hätte es alles anders kommen können, wenn Helmut Kohl 1982 nach dem Misstrauensvotum nicht Kanzler geworden wäre ...
Was Helmut Schmidt, der an sich moderner Technologie und dem Internet eher skeptisch gegenüberstand, mit dem Glasfasernetz zu tun hat, das hat unsere Kollegin Ann-Kristin Glöckner in unserem Archiv recherchiert. Wir hoffen für Sie liebe Leser*innen, dass dieses Mal das Netz einwandfrei funktioniert und Sie unseren aktuellen Schmidtletter problemlos herunterladen können.
Viel Spaß bei der Lektüre wünscht Ihnen
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung
„Was ist ein Endgerät?“ Diese Frage notierte Helmut Schmidt 1999 mit seinem berühmten grünen Filzstift auf seiner privaten Telefonrechnung. Technischen Neuerungen der Telekommunikation, insbesondere dem Internet, stand er sein Leben lang zurückhaltend gegenüber. Einen Computer besaß er nicht. Schmidt schrieb seine Manuskripte per Hand und ließ recherchieren. Er war außerdem bekannt für seine skeptische Haltung gegenüber dem Fernsehen. 1978 riet er den Bundesbürger*innen, einen fernsehfreien Tag in der Woche einzulegen, um das Familienleben zu pflegen. Dennoch wäre Helmut Schmidt als Bundeskanzler fast zu einem Vorreiter im Bereich der Telekommunikation und Datenübertragung geworden.
30-Jahresplan zum Ausbau des Glasfasernetzes
„Für den Ausbau eines integrierten Breitbandglasfaserfernmeldenetzes sei bei einem jährlichen Investitionsaufwand von 3 Mrd. DM ein Zeitraum von 30 Jahren zu veranschlagen. Ab 1985 werde pro Jahr ein Dreißigstel des Bundesgebietes auf diese Weise verkabelt.“ So optimistisch blickte der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen Kurt Gscheidle Anfang der 1980er-Jahre auf die Zukunft des Glasfasernetzausbaus in der Bundesrepublik Deutschland. Erhalten ist diese Aussage im Kabinettsprotokoll der Bundesregierung vom 13. Mai 1981. Das Dokument findet sich im Helmut Schmidt-Archiv in Hamburg-Langenhorn, und es gibt Einblicke in ein lange in Vergessenheit geratenes Vorhaben der SPD. Helmut Schmidt unterstützte als Kanzler die Pläne seines Postministers, die alten Telefonkabel durch ein modernes Glasfasernetz zu ersetzen.
Glasfasernetz in Deutschland heute
Verzweifeln Sie, liebe Leser*innen, des Öfteren an einer langsamen Internet-Verbindung? Dann wird Ihnen vor Augen geführt, dass der Plan von Kurt Gscheidle doch nicht umgesetzt wurde. Deutschland liegt im OECD-Vergleich zum Glasfasernetzausbau auf Platz 36 von 38 und ist damit in diesem Bereich eines der Schlusslichter im Ranking der Industrieländer. Lediglich 8,1 Prozent aller stationären Breitbandanschlüsse in Deutschland waren 2023 mit einem Glasfaserkabel verbunden. Bereits Anfang der 1980er-Jahre berichtete Der Spiegel unter der Überschrift „Volle Fahrt nach vorn“, dass die Glasfaser die Technologie der Zukunft sei und eine wesentlich schnellere Datenübertragung verspreche. Aber der Ausbau wäre langwierig gewesen, hätte sich über 30 Jahre hingezogen. Das war auch dem damaligen Postminister Gscheidle bewusst, als er sein Vorhaben 1981 vorstellte. Mit dem Ausbau hätte man aus technischen Gründen erst 1985 beginnen können. Bis 2015 wäre Westdeutschland dann vollständig mit einem Glasfasernetz erschlossen gewesen. Die Anschlusskomponenten wären aufgrund der heutigen technischen Voraussetzungen nicht mehr nutzbar, die passive Infrastruktur, also die Glasfaserleitungen, wahrscheinlich schon.
Helmut Schmidt, der „Glasfaser-Kanzler“?
1982 wurde Helmut Kohl Bundeskanzler und setzte statt auf Glasfaser auf Kupferkabel, die der Bundesrepublik die Welt des privaten Kabelfernsehens mit mehr als 30 Programmen eröffnete. Koaxialkabel waren günstiger und versprachen eine schnellere Lösung als die in ihrer technischen Entwicklung noch nicht abgeschlossene Glasfaser. Zwischen SPD und CDU entbrannte damals ein hitziger Streit über medienpolitische Fragen. Die CDU warf der SPD Technologiefeindlichkeit vor, während die SPD mit dem Ausbau des Glasfasernetzes diese Behauptung entkräften wollte.
Wäre Helmut Schmidt also beinahe als „Glasfaser-Kanzler“ in die Geschichte eingegangen? Eindeutig lässt sich diese kontrafaktische Frage nicht beantworten. Der 30-Jahresplan hätte eine enorme Investition über mehrere Jahrzehnte bedeutet. Selbst wenn er umgesetzt worden wäre, hätte die Glasfaserinfrastruktur nachgerüstet und auf den aktuellen Stand gebracht werden müssen. Hinzu kommt, dass sich der damalige Plan natürlich nur auf Westdeutschland beschränkte. Nach dem Fall der Mauer hätte ein größeres Gebiet erschlossen werden müssen. So oder so: Eine Umsetzung des Plans verhinderte der Kanzlerwechsel 1982.
Wegfall des Nebenkostenprivilegs
Das Thema ist heute besonders aktuell. Zum 1. Juli 2024 entfällt das sogenannte Nebenkostenprivileg. Kabelanschlüsse dürfen dann nicht mehr auf der Basis von Sammelverträgen über die Mietnebenkosten abgerechnet werden. Als vor 40 Jahren das Kabelfernsehen eingeführt wurde, wollte der Gesetzgeber durch diese Abrechnungsweise den Zugang für die Bürger*innen erleichtern. Heute schauen immer weniger Deutsche Fernsehen über einen Kabelanschluss, zahlen aber aufgrund der Sammelverträge zum Teil dennoch dafür. Mieter*innen müssen zukünftig einen eigenen Vertrag abschließen, falls sie Kabelfernsehen empfangen möchten. Die Möglichkeit des digitalen Empfangs sowie Streaminganbieter im Internet haben das einst moderne Kabelfernsehen abgelöst.