„Wenn der dritte Anlauf mißlingt, wird es einen vierten nicht geben“

Vor 40 Jahren: Bundeskanzler Schmidt trifft nach zwei Absagen Erich Honecker zum deutsch-deutschen Gipfel

Helmut Schmidt und Erich Honecker während eines Gesprächs.

Liebe Leser*innen,

genau 40 Jahre ist es her, dass Helmut Schmidt erstmals als Bundeskanzler zu einem deutsch-deutschen Gipfeltreffen in die DDR reiste. Die Wiederaufnahme des Dialogs mit dem anderen, sozialistischen Deutschland nach sechsjähriger Pause stand unter schwierigen Vorzeichen. Das Wettrüsten der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten sowie die Gründung der Gewerkschaft Solidarność in Polen überschatteten die Gespräche zwischen Schmidt und Honecker.

Wie darüber hinaus der Wunsch des Kanzlers, die Barlach-Stadt Güstrow zu besuchen, zu einem Ausnahmezustand führte, lesen Sie in unserem aktuellen Schmidtletter.

Wir verabschieden uns mit diesem Beitrag in die Weihnachtspause, unser nächster Schmidtletter erscheint Mitte Januar.

Frohe Feiertage und einen guten Start ins neue Jahr wünscht Ihnen
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung


 

Das hellgraue Mäppchen aus Spezialkarton liegt in einem schweren Metallregal. Im Helmut Schmidt-Archiv ist es eines unter Tausenden und doch etwas Besonderes. In ihm liegt ein Brief: Zwei Seiten, datiert auf den 5. Oktober 1980 – den Tag der Bundestagswahl. Er trägt die Unterschrift Helmut Schmidts. Ihn abzusenden wird seine erste Amtshandlung als im Amt bestätigter Bundeskanzler sein, was dem Schreiben eine hohe symbolische Bedeutung verleiht. Es sind diese zwei Seiten, die die Fortsetzung des deutsch-deutschen Dialogs zwischen den verantwortlichen Politikern − nach sechsjähriger Pause – einleiten.

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„Ich halte es für unverändert wichtig, wenn wir zu einem für beide Seiten geeigneten Zeitpunkt einen ausführlichen Meinungsaustausch über die weitere Entwicklung der Beziehung zwischen unseren Staaten und aktuelle internationale Fragen führen können“, schrieb Schmidt und richtete sich damit an den Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und Staatsratsvorsitzenden der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), Erich Honecker. Es sollte Schmidts letzter Versuch sein, ein Treffen zwischen den beiden Staatsmännern zu vereinbaren. Schon zweimal wurde der Besuch abgesagt. Grund dafür waren unter anderem die abgekühlte Beziehung zwischen den USA und der Sowjetunion und die aufgeheizte Lage in Polen durch die Gründung der ersten freien Gewerkschaft Solidarność.

Zu Besuch im „anderen“ Deutschland

Schmidts Brief zeigte Wirkung: Die Gespräche wurden wieder aufgenommen und die Vorbereitungen auf beiden Seiten konkretisiert. Doch eines machte Wolfgang Vogel, Unterhändler der DDR und „Briefträger“ Honeckers, unmissverständlich klar: „Wenn der dritte Anlauf mißlingt, wird es einen vierten nicht geben!“ − dieses Mal durfte also nichts schieflaufen.

Unter den klaren Vorzeichen, dass es mehr um das Herbeiführen eines Vertrauensverhältnisses gehe als darum, „mehr Menschlichkeit gegen Kasse“ durchzuführen, reiste Schmidt am 11. Dezember 1981 erstmals als Bundeskanzler zu einem Arbeitsbesuch in das andere, sozialistische, Deutschland.

Noch am selben Abend fand das erste von drei Vier-Augen-Gesprächen zwischen Schmidt und Honecker statt. Man sprach über das Wettrüsten der „Supermächte“, das Festhalten am NATO-Doppelbeschluss und den Einmarsch der sowjetischen Roten Armee in das Nachbarland Afghanistan, so steht es im Gedächtnisprotokoll Schmidts. Doch die Gespräche blieben insgesamt oberflächlich, konkrete Ergebnisse wurden nicht erzielt.

Während am 12. Dezember die Zeit für weiteren politischen Austausch genutzt wurde, stand der 13. Dezember ganz im Zeichen der Außenwirkung. Nach einer Pressekonferenz in der Jugendhochschule „Wilhelm Pieck“ bei Berlin brachen der Bundeskanzler und der Staatsratsvorsitzende gemeinsam nach Güstrow auf, so hatte es sich Schmidt unbedingt gewünscht − ein Fehler?

Auf dem Programm stand der Besuch des Güstrower Doms. Landesbischof Heinrich Rathke begrüßte die Besucher und erklärte, dass das eindrucksvolle Gotteshaus, seine norddeutsche Backsteingotik und Ernst Barlach Symbole dessen seien, „was wir gemeinsam haben“. Für Schmidt, ein großer Bewunderer Barlachs, war das ein bewegender Moment.

Doch wie angespannt die Atmosphäre war, zeigte sich für alle sichtbar auf dem Marktplatz. Erich Honecker verhinderte mit einem Großaufgebot der DDR-Staatssicherheit, dass Schmidt von der Bevölkerung empfangen wurde. Nach dem Desaster von Erfurt 1970, als tausende DDR-Bürger*innen den Bundeskanzler Willy Brandt mit Sprechchören feierten, wollte die DDR-Führung dieses Mal nichts dem Zufall überlassen und spontanen Jubel für den Besuch aus dem Westen vermeiden, ebenso wie das Zustecken von Briefen und Hilferufen. Die Folgen waren gewaltig: In der gesamten DDR kam es zu Verhaftungen von Oppositionellen und Nichtregimetreuen, tausende Bürger*innen wurden isoliert und in ihre Wohnungen gesperrt. Darüber hinaus belagerten 35.000 Staatsbeschäftigte die Kleinstadt, denen das Klatschen und Winken erlaubt war, ebenso „Erich-Erich-Rufe“, die nur durch vereinzelte, in Auftrag gegebene „Helmut-Helmut-Rufe“ ergänzt wurden.

Ein Zeichen für die Deutsche Einheit

Nach drei Tagen endete der Arbeitsbesuch am Bahnhof von Güstrow, wo ein Sonderzug der Bundesbahn den Kanzler zurück nach Hamburg fuhr. Rückblickend war es für Schmidt eine beklemmende Erfahrung. Er habe große Zweifel gehabt, ob sein Besuch den Menschen nicht doch geschadet habe, schreibt er später.

Die verständnisvollen, aber ergebnislos gebliebenen Delegationsgespräche einerseits und das Spektakulum in Güstrow andererseits scheinen symbolisch für die Schwierigkeiten des deutsch-deutschen Dialogs. Doch trotz der fatalen Auswirkungen war das Treffen ein wichtiger Schritt: Bei vielen Bürger*innen der DDR war es mit der Hoffnung auf eine neue Phase der Begegnung verbunden. Mit seinem Besuch wurde Schmidt für viele zu einem Hoffnungsträger und setzte ein Zeichen für die Deutsche Einheit. Für diesen Verdienst verlieh ihm die Stadt Güstrow 1995 die Ehrenbürgerschaft.

Die Dokumentation über Helmut Schmidts Besuch mit dem Titel „Drei Stunden Güstrow“ ist derzeit in der NDR-Mediathek zu finden.

Schwarzweiß-Foto

Bundeskanzler Helmut Schmidt (links) im Vieraugengespräch mit dem Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, Erich Honecker, im Haus am Döllnsee am 12. Dezember 1981. Bei Schmidts erster Reise in die DDR seit Beginn seiner Amtszeit, spricht er über eine Verlängerung des zinslosen Überziehungskredits für die DDR im innerdeutschen Handel („Swing“) und mögliche Reiseerleichterungen zwischen den beiden Staaten. © Bundesregierung/Reineke, Engelbert.

Schwarzweiß-Foto zeigt Menschen von hinten auf einer stehend.

Absperrmaßnahmen beim Besuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt in Güstrow. Aufgenommen am 13. Dezember 1981. © Bundesregierung/Lehnartz, Klaus.

Gescanntes Dokument.

Schreiben von Helmut Schmidt an Erich Honecker vom 5. Oktober 1980. Foto: Helmut Schmidt-Archiv

Gescanntes Dokument.

Schreiben von Helmut Schmidt an Erich Honecker vom 5. Oktober 1980. Foto: Helmut Schmidt-Archiv

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