„Die Ukraine ist der Tsunami und China ist der Klimawandel“

Kein Wandel durch Handel – Wie sich die USA und die EU vor kritischen Abhängigkeiten schützen können

Nahaufnahme eines Händedrucks zwischen zwei Personen neben einer US-amerikanischer Flagge und europäischer Flagge.

Liebe Leser*innen,

wir hoffen, Sie sind gut in 2023 angekommen! Unser erster Schmidtletter des Jahres knüpft direkt an unsere Konferenz zu den transatlantischen Beziehungen im vergangenen Dezember an. „The Changing Politics of Transatlantic Trade Relations“ lautete das Motto der dritten The Future of Transatlantic Relations (FOTAR) Konferenz, die wir gemeinsam mit dem Europa-Kolleg Hamburg veranstaltet haben. Einen Tag lang diskutierten wir mit Expert*innen von beiden Seiten des Atlantiks, wie angesichts einer Vielzahl globaler Krisen etablierte außenpolitische Grundsätze sowohl in Europa als auch in den USA und Kanada überdacht werden.

Der Handelspolitik kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. In diesem Beitrag entwirft Dorothée Falkenberg konkrete Vorschläge für eine aktive transatlantische Handelsagenda. Als European-Studies-Studentin und Mitarbeiterin unserer Programmlinien zieht sie Schlussfolgerungen aus den Diskussionen bei FOTAR.

Wir wünschen Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre 
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung



Das in der deutschen Außenpolitik lange populäre Konzept „Wandel durch Handel“ hat sich im heutigen politischen Kontext mit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine als naiv erwiesen.

Doch die wirtschaftspolitischen Herausforderungen enden nicht beim russischen Angriffskrieg. Vielmehr sind diese erst der Anfang. „Die Ukraine ist der Tsunami und China ist der Klimawandel.“ So zitiert der Economist einen US-Diplomaten. Unsere FOTAR-Keynote-Sprecherin Malin Oud appellierte mit diesen Worten an die transatlantischen Partner*innen, die politische Dimension ihrer internationalen Handelspolitik zu berücksichtigen. Sie betonte, dass die EU und die USA gerade bei globalen Lieferketten für den Schutz der Menschrechte einstehen müssten. 

Denn durch Handel folgt nicht automatisch Wandel. In einer globalisierten Welt muss der enge Zusammenhang von Wirtschaft und Politik mitgedacht werden, damit sich die verflochtenen Wirtschaftsbeziehungen in Krisenzeiten nicht als kritische Abhängigkeiten herausstellen. Wie der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte: „We are no naive traders.“ („Wir sind keine naiven Handelspartner.“) Dieser Einsicht folgend braucht es eine aktive EU-US-Handelspolitik, um den politischen Herausforderungen begegnen zu können. Aufbauend auf den Diskussionen bei FOTAR lassen sich konkrete Handlungsempfehlungen für eine transatlantische Handelsagenda formulieren. 

Die transatlantische Handelspartnerschaft stärken

Nachdem der ehemalige US-Präsident Donald Trump die transatlantischen Handelsbeziehungen mit der EU weitgehend zum Erliegen gebracht hat, liegt es nun an seinem Nachfolger Joe Biden sie wieder mit Leben zu füllen. Die von Trump erhobenen Einfuhrzölle gegen die EU wurden bereits abgeschafft und damit im Gegenzug auch die von der EU erhobenen Maßnahmen beendet. 

Das TTC (Trade and Technology Council) bildet nun eine gute Grundlage, um sich wieder anzunähern und stärker zu kooperieren. Das Forum für die Koordination der transatlantischen Handelsstrategie wurde im Juni 2021 gegründet und traf sich seitdem drei Mal. Beim letzten Treffen im Dezember 2022 wurde bereits die Notwendigkeit eines Mutual Recognition Agreements festgestellt. Ein solches Abkommen regelt die gegenseitige Anerkennung von unterschiedlichen Standards wie beispielsweise in der Lebensmittelindustrie. Ziel ist also die Erleichterung des gemeinsamen Handels.

Im Rahmen des TTC könnte auch die Möglichkeit eines transatlantischen Freihandelsabkommens neu ausgelotet werden. Die Verhandlungen zu TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) wurden aber nicht nur durch Donald Trump vollständig beendet, auch in der EU gab es Zweifel an der politischen Umsetzbarkeit. Sorgen um sinkende Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards sowie um eine Schwächung demokratischer Institutionen führten zu Großdemonstrationen gegen das Abkommen.

Eine einfache Wiederaufnahme der Verhandlungen ist damit unrealistisch. Doch mit Präsident Joe Biden als überzeugtem Transatlantiker könnte die EU einen Anstoß für mehr wirtschaftliche Integration erhalten und das beschädigte Vertrauen wiederherstellen.

Außerdem ist die Zusammenarbeit zwischen den USA und der EU in der ohnehin krisengeschüttelten WTO (World Trade Organisation) weiterhin eingeschränkt. So blockiert die USA nach wie vor das Streitbeilegungsverfahren der WTO und das, obwohl die EU zusammen mit anderen Partnern wie beispielsweise Kanada bereits konkrete Vorschläge vorgelegt hat. Eine Einigung für eine gemeinsame transatlantische Lösung wäre somit ein starkes Zeichen für eine multilaterale Handelsordnung der Zukunft. 

Weitere Handelsbeziehungen ausloten 

Eine weitere Herausforderung in der transatlantischen Zusammenarbeit sind die politischen Differenzen mit anderen großen Wirtschaftsmächten – allen voran China. Immer wieder geriet China wegen Verletzungen der Menschenrechte in Kritik. Zuletzt sanktionierte die EU chinesische Regierungsbeamte wegen der Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren. Aus diesem Grund reiste auch keine offizielle Vertretung der US-Regierung zu den Olympischen Spielen nach Peking. 

Um sich wirtschaftlich weniger abhängig von China zu machen, sollten die transatlantischen Partner ihre Handelsbeziehungen zu anderen Wirtschaftsnationen ausbauen. Doch welche Länder könnten in der Zukunft vertrauensvolle Handelspartner sein, um kritische Abhängigkeiten von EU und USA zu reduzieren? 

Es lassen sich bereits vermehrt Investitionen von europäischen und US-amerikanischen Firmen in Südostasien beobachten. Ausländische Direktinvestitionen aus den USA sind im letzten Jahrzehnt jährlich um durchschnittlich zehn Prozent gestiegen, und die EU war im Jahr 2019 der drittgrößte Investor in Südostasien. 

Mit Ausnahme der Abkommen, die sowohl die EU als auch die USA mit Singapur haben, sowie eines EU-Vietnam-Freihandelsabkommens sind Handels- und Investitionsabkommen in Südostasien für die EU und die USA bislang schwer zu finalisieren. Hier wäre es am effektivsten, Verhandlungen direkt mit dem Staatenbund der zehn südostasiatischen Länder, der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN), zu führen. Handelsabkommen mit ASEAN, als Reaktion auf die wachsenden Investitionen in der Region, würden die Handelspartnerschaften der EU und der USA diversifizieren und somit den Einfluss Chinas und Russlands reduzieren. Doch auch in Verhandlungen mit ASEAN muss ein besonderes Augenmerk auf die Einhaltung der Menschenrechte gelegt werden. 

Eine transatlantische Investitionspolitik 

Internationaler Handel ist eng verbunden mit ausländischen Direktinvestitionen. Diese können jedoch zu gewissen Risiken führen, beispielsweise durch politisches Handeln der ausländischen Regierung. In diesem Zusammenhang werden immer wieder Investitionen aus China genannt. Europa und die USA sind seit den letzten zwei Jahrzehnten die Hauptziele chinesischer Direktinvestitionen. Trotz politischer Bedenken auf beiden Seiten des Atlantiks mangelt es hier jedoch an einer gemeinsamen Agenda in der Investitionspolitik. 

Die EU und die USA haben unilaterale Abkommen mit China verhandelt oder abgeschlossen. Um kritische Abhängigkeiten zu vermeiden, sollten beide zukünftig von Investitions- und Handelsabkommen mit China absehen – insbesondere, wenn diese jeweils nur unilateral statt im Rahmen einer transatlantischen Kooperation verfolgt werden.  

Um ausländische Direktinvestitionen, speziell aus China, künftig effektiver auf Sicherheitsrisiken prüfen zu können, bedarf es einer transatlantischen Abstimmung im Investitionsscreening. Während in den USA das Investitionsscreening eine lange Tradition hat, tut sich die EU derzeit noch schwer, ein einheitliches und verbindliches Investitionsscreening aufzubauen. Die aktuelle Zusammenarbeit im TTC kann für eine stärkere transatlantische Zusammenarbeit sowie die Vereinheitlichung innerhalb der EU einen guten Ausgangspunkt bilden.

Die Idee, dass Handel automatisch politischen Wandel hervorbringt, hat das Potenzial wirtschaftlicher Integration eindeutig überschätzt. Anders bei einer aktiven Handelspolitik: Sie kann politischen Einfluss nehmen. Angesichts der politischen Herausforderungen für das regelbasierte Weltwirtschaftssystem ist es an der Zeit für eine transatlantische handelspolitische Agenda.

Nahaufnahme eines Händedrucks zwischen zwei Personen neben einer US-amerikanischen Flagge und europäischen Flagge.

Die transatlantischen Handelsbeziehungen leben unter US-Präsident Biden wieder auf.

© Canva

Eine Frau mit Mikrofon spricht auf einer Bühne.

Malin Oud hält die Keynote-Speech während der FOTAR-Konferenz.

© BKHS/Michael Zapf

Sechs Personen führen ein Gespräch auf einer Bühne vor bestuhltem Publikum. Eine Mann mit Kamera filmt die Bühne.

Impression des zweiten Panels der FOTAR-Konferenz mit Berend Diekmann, Adam S. Hersh, James Lewis, Tim Rühlig, Natalie Schnelle und Julia Friedlander.

© BKHS/Michael Zapf

Porträt-Foto.

Dorothée Falkenberg ist Studentin der European Studies und hat als Mitarbeiterin unserer Programmlinien die FOTAR-Konferenz begleitet.

© BKHS/Michael Zapf

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