„Hier bei uns im Norden, bei uns zu Hause, hier sollte die Musik spielen“

Die Rolle von Helmut Schmidt bei der Gründung des Schleswig-Holstein Musik Festivals

Autor/in:Axel Schuster
Schwarzweißfoto zeigt Helmut Schmidt und Justus Frantz in schwarzen Anzügen.

Liebe Leser*innen,

eins der größten Musik Festivals Europas öffnet in zwei Wochen seine Tore: das Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF).
Vom 1. Juli bis zum 27. August finden an über 200 Orten in Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Süddänemark Konzerte, Theater, Comedy und Lesungen statt. Die Spielorte führen an außergewöhnliche Orte, in Schlösser und Herrenhäuser, Stallungen und Scheunen; sowie in Kirchen, auf Werften oder in Industriehallen.

Welche Rolle Helmut Schmidt als Sponsor kurz nach der Gründung des Festivals 1986 hatte, erfahren Sie in diesem Schmidtletter. Unser Archivar Axel Schuster skizziert die wechselhafte Geschichte des SHMF und zeigt auf, wie Helmut Schmidt das Event begleitet hat.

Eine interessante Lektüre wünscht
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung



Um ein Festival aus der Taufe zu heben und am Leben zu halten braucht es vieles: Engagement und Begeisterung, politische und finanzielle Unterstützung, große Namen der Musikszene und viel Publikum. Diese Faktoren fanden sich tatsächlich 1986 zusammen und einer der Sponsor*innen war damals Helmut Schmidt. Er erhielt als erster deutscher Preisträger den „Athinai-Preis“ der Alexander-Onassis-Stiftung über 100.000 Dollar zum Ziele „der Förderung des Gemeinwohls auf der ganzen Welt“. Die Mit-Herausgeberin der Zeit, Marion Gräfin Dönhoff, sprach Helmut Schmidt zu, mit der Hälfte des Preisgelds den 1985 gegründeten Förderverein Schleswig-Holstein Musik Festival e.V. zu unterstützen. Davon überzeugt schrieb Schmidt am 29. Mai 1987 dem Honorarprofessor Ioannis Georgakis der Onassis-Stiftung von seinen Plänen: „The latter is a non-profit-organisation that purses the purpose of inviting musicians from East and West for concerts. Last year we organised almost 100 concerts in the North of Germany in several places – as well in concerthalls, churches and even barnes, met by the public with great enthusiasm. Of course we also were left with a deficit, which was covered by the state government of Schleswig-Holstein.“

Förderung von Kunst und Kultur als Ziel der Wirtschaftsförderung

Neben Schmidt als Sponsor wurde auch der Ministerpräsident des nördlichen Bundeslandes als überlebenswichtiger Partner gefunden; dass der damalige Regierungschef Uwe Barschel auch die Förderung von Kunst und Kultur als eins von drei neuen Zielen der Wirtschaftsförderung bedachte, kam schließlich dem Schleswig-Holstein Festival mit zugute. Mit dem Landeshaushalt 1983 wurde eine Kulturstiftung ins Leben gerufen, die – aus Mitteln einer Losbrief-Lotterie finanziert – auch Bürgerinitiativen für Musik unterstützen konnte. Schließlich konnten die Etat-Defizite durch die Landesmittel immer ausgeglichen werden. Diese Kultur-Subventionierung ist vollkommen üblich und fällt zum Beispiel für die zahlenden Gäste von Hamburger Konzert- oder Opernbesuchen noch höher aus.

Die ersten Jahre des Schleswig-Holstein Festivals entwickelten sich erfreulich. 1986 besuchten etwa 100.000 Gäste in sieben Wochen 96 Konzerte in 15 Städten und Gemeinden. 1987 kamen schon rund 220.000 Besucher*innen über acht Wochen zu 230 Veranstaltungen an 25 Orten zusammen. In den Folgejahren pendelten sich die Zahlen bei 200.000 ein. Das war schon eine Leistung, und so meinte Leonhard Bernstein bereits in der Festival-Frühzeit: „I fell in love with Schleswig-Holstein.“ Was gibt es Größeres?

Nun, der folgende Ministerpräsident und Schirmherr Björn Engholm fand es 1992 bedenklich, dass über 20 Prozent der Besucher*innen 50 Jahre und älter seien. Die „Twens“ müssten gezielter und gekonnter angesprochen werden. Man sei auch noch weit entfernt, eine „Kultur für alle“ anzubieten, wenn 70 Prozent des Publikums aus akademischen Kreisen komme.

Resümee nach 10 Jahren

Für 1994 schrieb Schmidt ein aufmunterndes Grußwort und blickte dabei mit Freude und Stolz auf die Anfänge zurück. „Ich erinnere mich noch an den Tag, als Justus Frantz mir von seiner Idee erzählte, die schönen Herrenhäuser und die Hallen Schleswig-Holsteins für Konzerte zu nutzen, die Musik zu den Menschen zu bringen. Welch eine gute Idee. […] Musik ist Geist. Musik hören ist Leben. Warum sollten wir dieser Freude des Lebens wegen nach Salzburg, Bamberg, München oder Zürich reisen müssen? Nein! Hier bei uns im Norden, bei uns zu Hause, hier sollte die Musik spielen. Meine Unterstützung war Justus Frantz sicher. Und nicht nur meine. Unsere norddeutschen Mitbürger – die manchmal für etwas stur und langsam gehalten werden – sie haben regen Gebrauch vom vielfältigen Musikangebot gemacht. Wenn man heute zurückblickt, ist es erstaunlich, welchen Weg das Schleswig-Holstein Musik Festival genommen hat. Bis heute hat es nichts von […] seiner Frische […] verloren – obwohl es nach acht Jahren eines der größten seiner Art in Europa geworden ist. […] Mit meinem Freund Leonhard Bernstein fing das damals an. Daß es nach seinem Tod zu keinem großen Bruch kam, […] ist dem Einsatz von Justus Frantz zu danken.“

Das musikalische Resümee des neunten SHMF 1994 liest sich zufriedenstellend. Rund 180.000 Besucher*innen erlebten 140 Konzerte und sorgten für eine Auslastung von 82 Prozent.

In der Krise

In seinem zehnten Jahr 1995 rutschte das Festival jedoch in eine Identitätskrise. Es brodelte hinter den Kulissen, auch aufgrund der charismatischen Ambivalenz seines Intendanten Justus Frantz. Der Pianist war indes zugleich ein Brückenbauer und Enthusiast. Nach zehn Jahren verließ Frantz die Intendanz und gründete eine „Philharmonie der Nationen“ – ein Orchester ohne staatliche Unterstützung mit überwiegend osteuropäischen Musiker*innen, die sich „Frieden und Völkerverständigung“ verschrieben. Helmut Schmidt verließ 1995 das Kuratorium des SHMF und folgte Frantz zusammen mit Yehudi Menuhin, Rita Süssmuth und anderen. Die Vorsitzende und Ministerpräsidentin Heide Simonis hoffte dennoch auf Schmidts zukünftig wohlwollende publizistische Begleitung des Festivals wie zuvor. Schmidt zeigte sich in seinem Brief an die Ministerpräsidentin über die Abberufung des Intendanten Frantz enttäuscht. „Unter diesen Umständen ist es mir leider nicht mehr möglich, dem Kuratorium anzugehören. Zugleich mit dieser Erklärung wünsche ich dem Festival Erfolg bei dem Versuch, die volkspädagogische Arbeit von Justus Frantz fortzusetzen und viele Menschen an die klassische Musik heranzuführen, ebenso die Verknüpfung von Orchesterpädagogik mit Verständigung zwischen jungen Menschen verschiedenster Nationen in Salzau fortzusetzen und dabei drittens zugleich wie bisher für das Land Schleswig-Holstein zu werben. Der guten Ordnung halber möchte ich Ihnen mitteilen, daß ich dem Kuratorium für die ,Philharmonie der Nationen‘ beigetreten bin.“

Das war kein gutes Zeichen. Der Weggang des wichtigsten Gestalters Justus Frantz schmerzte sehr. Die Zahl der Mitglieder des SHMF e.V. lag bei circa 5.000 und das Festival lebte nicht nur Dank ihrer Mitgliedsbeiträge, sondern vor allem durch ihr ehrenamtliches Engagement während der Festivalwochen vor Ort. Wie würden sich die Sponsor*innen verhalten? Es drohten Spartarife für die Gagen der Künstler*innen oder ein wachsendes Defizit, das nur durch noch höhere Landesmittel auszugleichen möglich gewesen wäre.
Der damalige Wirtschaftsminister Schleswig-Holsteins Peer Steinbrück hatte als Aufsichtsratsvorsitzender der SHMF GmbH die schwierige Aufgabe zu lösen, Maßnahmen und Beschlüsse zur Konsolidierung des Musik Festivals umzusetzen. Die FDP-Landtagsfraktion bemängelte mit Blick auf das SHMF das Fehlen eines professionellen Managements. Ein Konkurs konnte Dank substanzieller Landesmittel Schleswig-Holsteins noch abgewendet werden.

Das Kuratorium hielt in seiner Pressemitteilung vom 10. Dezember 1994 den Aufgabenrahmen fest und bat, „daß Justus Frantz auch in Zukunft das SHMF künstlerisch mitgestaltet – in welcher Form auch immer. Das Kuratorium ist überzeugt, daß auch dadurch das Festival in seiner einzigartigen Art und Identität erhalten bleibt.“ Mit der neuen „Philharmonie der Nationen“ gab es nun zwei norddeutsche Festivals.

Und heute

Im Laufe der nächsten Jahrzehnte überdauerte bis heute nur das SHMF, seit 2013 unter der Intendanz von Christian Kuhnt. Mehr als 300 Ehrenamtliche und 8.000 Fördermitglieder unterstützen derzeit den Förderverein. Im Jahr 2022 besuchten etwa 165.000 Musikinteressierte das Festival auf rund 200 Konzerten an über 60 Orten. Dort spannte sich die Bandbreite vom Pianisten Igor Levit bis zum Rapper Danger Dan. Ohne die Hilfe der vielen Freiwlligen, die mit Herzblut im Einsatz sind, würde das Festival nicht funktionieren. So berichtet eine begeisterte Ehrenamtliche aus Lübeck: „Das ist auch das Besondere am SHMF, dass wir das mit unserem Herzblut machen. Wir bringen Blumen aus unserem Garten mit, die wir aufs Büffet stellen. Und es macht wirklich viel Freude. Wir haben das Gefühl, dass wir viel zurückbekommen. Heute haben die Künstler zum Beispiel sehr, sehr häufig gesagt, dass sie sich hier wahnsinnig willkommen geheißen fühlen und dass sie es besonders finden.“

Schwarzweißfoto zeigt Helmut Schmidt und Justus Frantz in schwarzen Anzügen.

Der Festival-Intendant Justus Frantz (r) im Gespräch mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt (l, SPD) während des Festkonzerts des Schleswig-Holstein Musik Festivals am 23. Oktober 1987 in Frankfurt am Main.

© picture-alliance/dpa/Roland Witschel

Helmut Schmidt und Björn Engelhorn stehen sich gegenüber und unterhalten sich. Im Hintergrund steht Helmut Kohl sowie einige Pressefotografen, die diesen Moment festhalten.

Prominenz aus Politik, Kultur und Wirtschaft nahm am Abschlusskonzert des SHMF am 20. August 1989 im Lübecker Dom teil: Altkanzler Helmut Schmidt (l, SPD) im Gespräch mit Björn Engholm (Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, SPD), im Hintergrund Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU).

© picture alliance/dpa/Werner Baum

Autor: Axel Schuster

Archivar

Axel Schuster erschließt als Archivar die Überlieferung des Altbundeskanzlers im Helmut Schmidt-Archiv, zudem berät er die Stiftung in Fragen des Datenschutzes. Daneben betreut er für die Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius sowie die Marion Dönhoff Stiftung die Nachlässe von Gerd Bucerius und Marion Gräfin Dönhoff.

Teile diesen Beitrag: