Liebe Leser*innen,
schon vor dem Antrittsbesuch von Friedrich Merz im Weißen Haus am vergangenen Donnerstag stand fest, welches Thema neben der Ukraine und der NATO ganz oben auf der Agenda stehen würde: der Zollstreit zwischen den USA und der Europäischen Union.
Unsere Expertin für Wirtschafts- und Handelspolitik, Dr. Elisabeth Winter, beleuchtet in diesem Schmidtletter, wie die EU im Machtkampf zwischen den Großmächten USA und China ihre Rolle in der internationalen Weltwirtschaft finden sollte. Sie argumentiert, dass eine umfassende Wirtschaftssicherheit nur gemeinsam mit vertrauenswürdigen Partnern möglich ist.
Wie kann es Europa gelingen, sich in Zukunft so zu positionieren, dass es handlungsfähig bleibt? Welche Partnerschaften braucht es dafür und wie können diese gestaltet werden? Unter dem Motto „Strengthening Partner Europe" sollen diese Fragen in einem fünfmonatigem Fellowship untersucht werden. Bewerbungen sind noch bis zum 15. Juni möglich, mehr zur Ausschreibung erfahren Sie hier.
Eine interessante Lektüre und frohe Pfingsten!
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung
Der neue deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz war diese Woche zu seinem Antrittsbesuch in Washington, DC. US-Präsident Donald Trump hat ihn erst nach Redaktionsschluss im Weißen Haus empfangen, sodass wir in diesem Schmidtletter den Ausgang des ersten persönlichen Aufeinandertreffens nicht besprechen können.
Was aber bereits vorab feststand: Eine der zentralen Prioritäten von Friedrich Merz ist die Beilegung oder zumindest Beschwichtigung des Handelsstreits zwischen den USA und der Europäischen Union (EU). Zum Leidwesen beinahe des Rests der Welt nutzt Donald Trump das gesamte Repertoire der geoökonomischen Instrumentenkiste – allen voran Zölle – um rücksichtslos seine politischen und ökonomischen Interessen durchzusetzen. Er kündigt die globale Wirtschaftsordnung auf und wirft seit Jahrzehnten bestehende und auf Kooperation beruhende internationale Institutionen über Bord.
Auch die EU als Verbündete und Wertepartnerin verschont er dabei nicht. Um ihr Überleben im Machtkampf zwischen den Großmächten USA und China zu sichern, muss die EU ihre eigene Rolle im internationalen Gefüge finden und sich um sich selbst kümmern. Für Wirtschaftssicherheit sorgen ist elementarer Bestandteil davon und der größten EU-Wirtschaft Deutschland kommt dabei eine bedeutende Rolle zu. Viele hoffen also, dass der neue Bundeskanzler einen Draht zu Donald Trump findet und so der transatlantischen (Handels-)Partnerschaft wieder etwas Leben einhauchen kann.
Geoökonomie für Wirtschaftssicherheit positiv nutzen
Eine kooperative Herangehensweise an Handelsbeziehungen ist derzeit allerdings eher die Ausnahme als die Norm. Dies gilt vor allem für die USA unter Präsident Donald Trump, aber auch mit Blick auf die multilaterale Zusammenarbeit im Rahmen der Welthandelsorganisation. Die globale Wirtschaftsordnung befindet sich im Wandel. Statt politische Hierarchien abzubauen, haben ökonomische Abhängigkeiten auch nach dem Ende des Kalten Kriegs weiterhin Asymmetrien zwischen Staaten und ihren Nationalökonomien geschaffen. Heute dominieren geoökonomische Strategien in den von Machtpolitik getriebenen internationalen Beziehungen.
Geoökonomie – neutral verstanden als die Nutzung wirtschaftlicher Instrumente für politische Ziele – ist aber besser als ihr Ruf. Mithilfe geoökonomischer Strategien gestalten staatliche Akteure nicht nur aktiv ihre heimische Wirtschaft und den internationalen Handel, sondern nutzen diese Praktiken auch bewusst für strategische sowie sicherheitspolitische Zwecke. Auch sozial- und klimapolitische Ziele lassen sich mittels wirtschaftlicher Instrumente umsetzen. Oft kann mit einem einzigen Wirtschaftsinstrument eine ganze Bandbreite politischer Ziele verfolgt werden.
Folglich sind geoökonomische Praktiken für die Realisierung von Wirtschaftssicherheit zentral. Bereits im Sommer 2023 legte die EU-Kommission eine Strategie für EU-Wirtschaftssicherheit vor, die seitdem überarbeitet und mit dem neuen Generaldirektorat für Handel und Wirtschaftssicherheit noch ausgebaut und weiterentwickelt wurde. Sie beruht auf drei Pfeilern – den 3 Ps „Promote, Protect, Partner“. Es soll also die Wettbewerbsfähigkeit der EU gefördert werden (to promote), die EU will sich selbst vor ökonomischen Risiken schützen (to protect) und möchte außerdem mit einer möglichst breiten Gruppe an Staaten kooperieren, die das europäische Verständnis von Wirtschaftssicherheit teilen (to partner). Bislang legte die EU-Kommission einen Schwerpunkt auf den „Protect“-Pfeiler und nutzte dafür in erster Linie defensive und abwehrende geoökonomische Instrumente, wie beispielsweise das gemeinsame Prüfverfahren für ausländische Direktinvestitionen zeigt. Am bekanntesten ist in Deutschland sicherlich das Beispiel des Hamburger Hafens und der Absicht der chinesischen Reederei Cosco Teile dessen zu kaufen. Da Häfen als kritische Infrastruktur gelten, wird bei ausländischen Investitionen ab einer gewissen Höhe sowohl national als auch auf EU-Ebene geprüft, ob diese eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen – eben ein defensives, reaktives geoökonomisches Instrument.
Einen kooperativen geoökonomischen Ansatz entwickeln
Seit dem Bericht zur EU-Wettbewerbsfähigkeit von Mario Draghi im Herbst 2024 wird nun verstärkt auf den „Promote“-Pfeiler gesetzt. Dafür sind die politische und institutionelle Handlungsfähigkeit der Union ebenso wie ein florierender Binnenmarkt essenziell. Logischerweise muss dieser Ansatz eng mit dem „Partner“-Pfeiler verzahnt sein. Als eine der größten Volkswirtschaften der Welt mit einem Bruttoinlandsprodukt von 17 Billionen EUR ist die EU eine wichtige Akteurin auf dem Weltmarkt, auf die etwa 14 Prozent des internationalen Warenverkehrs entfallen. Eine umfassende Wirtschaftssicherheit mit resilienten globalen Lieferketten, die ein inklusives Wirtschaften innerhalb der EU garantieren können und wie es der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank Draghi vorgeschlägt, wird Europa nicht ohne vertrauenswürdige (Handels-)Partner umsetzen können.
Unter dem Stichwort De-Risking wird bereits politisch versucht, internationale Handelsströme zu diversifizieren, um Abhängigkeiten insbesondere gegenüber autoritären Staaten abzubauen. Die neuerliche Bewegung in den Verhandlungen zu Handelsabkommen der EU – wie etwa in dem seit über 20 Jahren im Raum stehenden MERCOSUR-Abkommen – zeigt, dass Europa vermehrt auf neue Partnerschaften setzt und nun auch bereit ist, stärker in diese zu investieren. Solche Handelsabkommen sowie andere, rechtlich weniger formalisierte wirtschaftliche Partnerschaften sind geoökonomische Praktiken, die zur Realisierung wirtschaftlicher Sicherheit genutzt werden sollten. Im Vergleich zu den bislang präferierten Instrumenten bieten sie die Möglichkeit positiv auf Partner zuzugehen und aktiv sowie offensiv eine eigenständige – und zugleich kooperative – Agenda zu verfolgen. Aus diesem Grund sollte die EU einem solchen kooperativen geoökonomischen Ansatz oberste Priorität einräumen. Auch wenn die EU bereits vermehrt derlei Instrumente anstrebt, ist deren vollumfängliche Implementierung nicht immer gesichert. Gerade bei politisch ambitionierten Abkommen müssen alle Mitgliedstaaten für deren rasche nationale Umsetzung sorgen.
Selbst wenn niemand die Terminologie einer aktiven kooperativen Agenda in den vergangenen Jahrzehnten für die transatlantische Handelspartnerschaft nutzte, so beschreibt es doch ganz gut deren Charakter. In ihrer wirtschaftlichen Zusammenarbeit haben die USA und die EU immer mehr als reine ökonomische Interessen verfolgt. Ihr Mittel der Wahl waren in der Regel aber eben positive ökonomische Instrumente, also geoökonomische Praktiken. Dank transatlantischer Wirtschaftspartnerschaft, bilateralen Freihandelsabkommen mit zahlreichen anderen Ländern und Verträgen der multilateralen Welthandelsorganisation konnten sie die internationale Weltwirtschaftsordnung mitgestalten und sich so Wohlstand und wirtschaftliche Sicherheit sichern. Ob es Bundeskanzler Merz gelungen sein wird, das transatlantische Verhältnis wieder auf einen solchen kooperativen geoökonomischen Pfad zurückzulenken, ließ sich beim Schreiben dieses Artikels wie gesagt nicht absehen. Fest steht aber, dass der Weg zu mehr Wirtschaftssicherheit für Europa sicherlich ein weiter ist, der gemeinsam aber mit vielen gleichgesinnten Partnern gegangen werden sollte.
Das BKHS-Projekt „Inklusive Geoökonomie“
Bei der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung (BKHS) untersuchen wir im Rahmen des Projekts „Inklusive Geoökonomie“, wie kooperative geoökonomische Praktiken umgesetzt werden können, die resiliente Handelsbeziehungen mit internationalen Partnern gewährleisten und gleichzeitig soziale Gerechtigkeit herstellen. Hier finden Sie mehr Informationen zu unserem Projekt und der in diesem Rahmen derzeit stattfindenden digitalen Veranstaltungsreihe (auf Englisch).