Schwierige Partnerschaft: Schmidt und Carter ringen um Standpunkte

39. Präsident der USA wird 100 Jahre alt – Rückblick auf eine krisenreiche Ära der Außenpolitik

Autor/in:Magnus Koch

Liebe Leser*innen,

gespannt blicken wir in den letzten sechs Wochen vor den US-Präsidentschaftswahlen über den „großen Teich“. Das deutsch-amerikanische Verhältnis hängt maßgeblich davon ab, ob Donald Trump oder Kamala Harris die Wahl gewinnt. 

Doch auch in der Vergangenheit war die Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten nicht immer konfliktfrei. Erinnern Sie sich noch an den US-Präsidenten Jimmy Carter?

Kurz vor dessen 100. Geburtstag blickt unser Kollege Dr. Magnus Koch, der den Arbeitsbereich Ausstellungen und Geschichte leitet, in seinem Schmidtletter auf das Verhältnis zwischen Präsident Carter und Bundeskanzler Helmut Schmidt zurück. Und er schildert wie Missverständnisse und fehlendes Vertrauen die Politik der beiden Regierungschefs prägten.

Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung


Am 1. Oktober 2024 steht der 100. Geburtstag von James Earl „Jimmy“ Carter an. Der 39. Präsident der Vereinigten Staaten amtierte von 1977 bis 1981. In seine Regierungszeit fiel eine Reihe schwerer Krisen, die er gemeinsam mit den transatlantischen Partnern zu bewältigen hatte. Zeitgenossinnen und Zeitgenossen erinnern sich an ein schwieriges Verhältnis zur damaligen Bundesregierung unter Führung von Helmut Schmidt; doch auch die historische Forschung ist sich einig, dass die Zusammenarbeit von Präsident und Kanzler von zahlreichen Problemen und Missverständnissen geprägt war.

Mitte der 1970er-Jahre ist die deutsch-amerikanische Freundschaft so eng wie vielleicht niemals vorher oder nachher. US-Präsident Gerald Ford und Schmidt kennen und schätzen sich auch privat; die Übereinstimmung in den zentralen Themenfeldern ist groß, ebenso die vertrauensvolle Offenheit, in der über Differenzen gesprochen wird. Doch Ford verliert die Wahl im November 1976 gegen den Herausforderer der Demokratischen Partei Jimmy Carter. Der Sohn eines Erdnussfarmers aus Georgia, im „Deep South“ der USA, ist außenpolitisch unerfahren – und er setzt auf einen Beraterstab, der, anders als bei seinen Vorgängern, nicht von den Thinktanks der US-amerikanischen Ostküste stammt – dort wiederum ist Schmidt seit den ausgehenden 1950er-Jahren gut vernetzt und genießt insgesamt in Washington D.C. hohes Ansehen.

Carter setzt als Präsident neue Akzente

So will Carter etwa seine Außenpolitik stärker an der Einhaltung von Menschenrechten ausrichten, in der Sicherheitspolitik treibt er die Verhandlungen über Rüstungsbegrenzung (SALT II) voran, ebenso wie einen dauerhaften Frieden zwischen Israel und der arabischen Welt. Doch vor allem auf wirtschaftspolitischer Ebene werden seine Handlungsspielräume durch die Folgen der Ölpreiskrisen der 1970er-Jahre stark eingeschränkt. Hier sind die Interessenlagen der USA zum Teil andere als die der Bundesrepublik. Die größte Volkswirtschaft der Welt ist weniger exportorientiert, Staatsverschuldung und steigende Inflation – angetrieben auch durch hohe Ölimporte – werden dort weniger kritisch gesehen. Zu den Maßnahmen zur Bekämpfung der Krisen gibt es unterschiedliche Positionen, dies gilt auch für die Frage des Exports sensibler Nukleartechnologie. Die Bundesrepublik hatte Lieferabkommen für Atomkraftwerke unter anderen mit Brasilien abgeschlossen. Die Carter-Administration sieht das kritisch. Sie fürchtet, dass so mehr Staaten die Fähigkeit erhalten, Atombomben herzustellen. Die Bundesregierung verzichtet daraufhin auf weitere Lieferungen. 

Als es auf sicherheitspolitischem Gebiet um die Stationierung der sogenannten Neutronenbombe geht, kommt es zu weiteren schweren Verstimmungen: Schmidt hat unter großen Schwierigkeiten innerhalb der SPD für die Kooperation in der Sache geworben und gemeinsam mit den europäischen Partnern eine Lösung für die umstrittene Waffentechnologie ausgehandelt. Als Carter aus innenpolitischen Gründen deren Herstellung dann buchstäblich in letzter Minute wieder stoppt, fühlt sich Schmidt bloßgestellt. Weitere Belastungsproben muss das transatlantische Verhältnis im Nachgang zum Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan, im Dezember 1979, aushalten. Die Bundesrepublik sieht die harten Wirtschaftssanktionen, die die US-Administration durchsetzen will als weniger probates Mittel; nur zu hohen innenpolitischen Kosten kann Schmidt außerdem die von den USA geforderte Zustimmung zum Boykott der Olympischen Spiele 1980 in Moskau durchsetzen.

Auch positive Beispiele für gemeinsames Handeln

Für Schmidt bleibt, unabhängig von der Präsidentschaft Carters, das Verhältnis zur Schutzmacht USA von zentraler Bedeutung. Die historische Forschung ordnet die vielfältigen Verstimmungen über wichtige Fragen denn auch in einen größeren Kontext ein. Seit Anfang der 1970er-Jahre nehmen Bedeutung und Gewicht der USA auf dem globalen Parkett ab, aufgrund von wirtschafts- und in der Folge auch von währungspolitischen Problemen. Das Land hat durch den verlorenen Krieg in Vietnam zudem politisch an Gewicht und Glaubwürdigkeit verloren. Umgekehrt hat sich die Bundesrepublik seit den 1950er- und 1960er-Jahren zu einer „stabilen Mittelmacht“ entwickelt. Hauptursache ist ihre boomende Wirtschaft und die enge Einbindung in supranationale Institutionen. In der Folge bildet sich ein neues Selbstbewusstsein heraus, das wiederum auch im Auftreten gegenüber dem wichtigsten Verbündeten spürbar wird. Gerade Schmidt steht für diese Haltung, die in den USA durchaus kritisch beurteilt wird. Die Bundesregierung erwartet mehr Rücksichtnahme auf die eigenen Belange und die besonderen Bedingungen, unter denen politische Entscheidungen getroffen werden: Abstimmung mit den europäischen Staaten und hier vor allem mit Frankreich als engstem Partner; die besonderen Herausforderungen im Zusammenhang mit der „deutschen Frage“ infolge der unter der Kanzlerschaft Willy Brandts verhandelten „Ostverträge“. Insbesondere auf diesem Feld hatte Schmidt Rücksicht auch auf die Interessen innerhalb der eigenen Partei, der SPD, zu nehmen. Denn der 1979 von der NATO gefasste und von Schmidt maßgeblich vorangebrachte „Doppelbeschluss“ bedeutete für die Sozialdemokratie eine Zerreißprobe.    

Dem gewachsenen bundesdeutschen Selbstvertrauen begegnet Carter mit weniger Verständnis als von der Bundesregierung erhofft. Umgekehrt, so schreibt der Historiker und Journalist Klaus Wiegrefe, sei man Carter in Bonn aus einem „Überlegenheitsgefühl“ heraus begegnet und habe die unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Schwerpunkte und Interessen beider Staaten einseitig mit mangelndem Sachverstand aufseiten der US-Administration assoziiert. In diesem Zusammenhang wird in der Forschung auch von einer seit Ende der 1970er-Jahre um sich greifenden Verunsicherung in der westdeutschen Gesellschaft gesprochen, verbunden mit zunehmendem Antiamerikanismus. Auf der anderen Seite hätten „Selbstüberschätzung, fehlendes Fingerspitzengefühl und überzogene Erwartungen“ die US-Politik gegenüber der BRD gekennzeichnet.

Carter und Schmidt: Es fehlt an Sympathie

Angesichts der großen gegenseitigen Abstimmungsprobleme auf unterschiedlichen Politikfeldern stellt sich insgesamt die Frage, welche Rolle das persönliche Verhältnis zwischen Politikern spielt. Im Falle Carters und Schmidts fehlte es offenbar an Sympathie und folglich auch an Vertrauen, eine der wichtigsten Währungen im politischen Geschäft. Zur komplizierten Aushandlung der bilateralen Interessen kommen die notwendigen Konsultationen mit den europäischen Partnern – und außerdem zahlreiche innenpolitische Rücksichtnahmen, etwa Mehrheitsverhältnisse im US-Kongress und, in der BRD, innerhalb von Regierungskoalitionen, im Bundesrat oder innerhalb der Parteien. Aufgrund der unterschiedlichen politischen Systeme haben Kanzler und Präsident zwar jeweils eine sehr unterschiedliche Machtfülle – demokratiepolitisch gehören die beschriebenen Abstimmungsnotwendigkeiten sowie „Checks and Balances“ zu den Charakteristika demokratisch verfasster Staaten und sorgen für eine Verteilung von Macht und Einfluss.

Bei aller Kritik im Detail

Die politische Bilanz der Präsidentschaft Jimmy Carters nimmt sich zu dessen 100. Geburtstags durchaus positiv aus: So verlor kein US-Soldat im Zuge von Kriegen sein Leben, der unter seiner Ägide geschlossene Frieden von Camp David zwischen Ägypten und Israel sowie die Unterzeichnung des (wenn auch infolge des Afghanistankriegs durch den US-Kongress nicht ratifizierten) SALT-II-Abkommens. Nach seiner Präsidentschaft engagierte sich Carter für Menschrechtsfragen und spielte als politischer Vermittler in diversen schwierigen Missionen eine wichtige Rolle. 2002 erhielt er für sein Engagement den Friedensnobelpreis. Und auch mit Helmut Schmidt gab es im hohen Alter noch Übereinstimmungen in der Bewertung internationaler Politik: Beide kritisierten den Einmarsch von US-Truppen in den Irak im März 2003 in scharfer Form. 

Präsident Jimmy Carter mit Bundeskanzler Helmut Schmidt vor dem Weißen Haus

Der amerikanische Präsident Präsident Jimmy Carter mit Bundeskanzler Helmut Schmidt vor dem Weißen Haus in Washington am 6. Juni 1979. © Library of Congress/Trikosko Marion

Präsident Jimmy Carter mit Bundeskanzler Helmut Schmidt.

Schmidt und Carter im Weißen Haus am 5. März 1980. © picture alliance/Barry Thumma

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