Zwischen Krisenmanagement und Gestaltungsanspruch

Zur Rolle der G7 für eine wertebasierte Außenpolitik

Dies ist eine Galerie mit Impressionen der Veranstaltung. Auf dem ersten Bild sieht man Menschen, die ein Foto von Politiker*innen nachstellen, das auf dem G7 Gipfel 2015 entstanden ist.

Liebe Leser*innen,

das Wohnhaus von Helmut Schmidt war bereits zu seinen Lebzeiten ein Ort der politischen Begegnungen und Debatten. Dieser Tradition folgend kamen im letzten Monat auf unsere Einladung acht junge Repräsentant*innen der G7 und der Ukraine als Gastland zu einem BKHS NextGen7 Summit zusammen. Zwei Tage lang haben wir zusammen Politikempfehlungen für die G7 erarbeitet, die wir Mitte Juni, noch vor dem G7-Gipfel in Elmau, veröffentlichen.

Projektleiterin Elisabeth Winter fragt im aktuellen Schmidtletter nach der Aktualität der G7 und beleuchtet ihre Rolle für die Idee einer wertebasierten Außenpolitik. 

Eine informative Lektüre und ein schönes Wochenende wünscht
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung


Im Jahr 2022 hat Deutschland turnusmäßig die G7-Präsidentschaft inne. In ihrem Programm hat sich die Bundesregierung das Ziel „Fortschritt für eine gerechte Welt“ gesetzt. Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte zu Beginn des Jahres: „Wir werden unsere Präsidentschaft nutzen, damit dieser Staaten-Kreis zum Vorreiter wird. Zum Vorreiter für klimaneutrales Wirtschaften und eine gerechte Welt.“  Die deutsche Präsidentschaft will also die G7 nicht nur als Forum für internationales Krisenmanagement nutzen, sondern eben auch aktiv internationale Politik wertegeleitet mitgestalten.

Nur wenige Wochen nach Bekanntgabe des Mottos begann jedoch der russische Angriff auf die Ukraine. Damit hat Kreml-Chef Wladimir Putin die europäische Friedensordnung zerstört und global neue geostrategische Realitäten geschaffen. Seit dem 24. Februar 2022 findet sich die G7 erneut in der ihr bekannten Rolle der Krisenmanagerin. Erprobt in dieser Funktion, hat die Gruppe schnell und geschlossen reagiert und Sanktionen verhängt. Was aber bleibt von den ursprünglichen Zielen?

Eine Chance für mehr Zusammenarbeit

Die G7 steht einmal mehr vor der Herausforderung, sich Legitimität zu verleihen und nicht nur auf Krisen zu reagieren, sondern dem eigenen Gestaltungsanspruch gerecht zu werden. In der Tat geben die sich intensivierenden internationalen Rivalitäten den G7-Staaten vielleicht sogar eine Chance, die eigene Legitimität zu aktualisieren und so internationale Politik aktiv mitzugestalten.

1975 von Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt als Forum zum informellen Austausch zwischen den führenden Industrienationen gegründet, stellt sich berechtigterweise die Frage nach der Aktualität der G7. Längst sind in der G7 nicht mehr die sieben führenden Industrienationen vertreten, längst ist der Rest der Welt nicht mehr bereit, den Führungsanspruch der G7 einfach hinzunehmen, und längst sind auch die Gesellschaften der G7 selbst nicht mehr vollständig überzeugt von diesem Format und seinen Politiken.

Nichtsdestotrotz bietet die Gruppe der Sieben im zunehmenden geopolitischen Wettbewerb aber einen Raum für internationale Zusammenarbeit. In diesem Sinne ist die prompte gemeinsame Reaktion der Gruppe auf die russische Aggression ein wichtiges Zeichen für die internationale Gemeinschaft – auch wenn die G7 nicht (mehr) in der Lage sind, Krisen von globalem Ausmaß allein zu beheben. 

Immer aktuell: wertebasierte internationale Kooperation

Internationale Bündnisse wie die G7 müssen jedoch mehr sein als bloße Zweckgemeinschaften. Bereits 2014 unterstrichen die G7-Staaten ihre gemeinsame Wertebasis als Demokratien. Damals reagierten die sieben „führenden Demokratien“ auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland und schlossen Russland aus der einstigen G8 aus. Der im Februar 2022 begonnene russische Angriffskrieg in der Ukraine und damit der gewaltsame Bruch mit dem Völkerrecht durch einen ehemaligen Partner verleiht der Zukunft globaler Kooperation eine neue Dringlichkeit. Als Bündnis „wirtschaftsstarker Demokratien“ können die G7 diese Gelegenheit nutzen, um international Akzente für eine auf demokratischen Werten basierende Außenpolitik zu setzen.

Umso wichtiger ist es, dass die G7 als Partner mit gemeinsamen Werten und Überzeugungen nicht nur zusammenstehen, sondern diese auch umsetzen. Will die G7 als Wertegemeinschaft ihre Legitimität steigern, müssen ihre oft als Gipfelpolitik verhöhnten Aktivitäten über reine Lippenbekenntnisse hinausgehen. Dafür muss sich die G7 sowohl nach innen als auch nach außen öffnen. Es gilt, die eigenen Zivilgesellschaften eng in Entscheidungsprozesse miteinzubinden sowie internationale Kooperationen mit anderen Demokratien – und deren Zivilgesellschaften – einzugehen.

Legitimität statt Exklusivität

Anknüpfend an den Cornwall Consensus der G7 aus dem Jahr 2021, muss die Rolle des Staates in der Wirtschaftspolitik neu verhandelt werden. Denn es zeigt sich in der internationalen Zusammenarbeit ebenso wie in den von Ungleichheit geprägten Nationalökonomien der G7-Staaten, dass ökonomische Integration allein nicht zum Wohlstand aller und so zur Verbreitung demokratischer Werte führt. Wie die Entwicklungen in den USA deutlich vor Augen führen: Selbst etablierte Demokratien können unterminiert werden, wenn die Belange eines Großteils der Bevölkerung ignoriert werden. Nach wie vor ist die G7 aber nicht im öffentlichen Diskurs verankert. Durch die sogenannten Engagementgruppen (Civil7, Science7, Women7, Think7, Youth7, Business7, Labor7) sind zwar ausgewählte Akteure der Zivilgesellschaft bereits in die Vorbereitung der G7-Prozesse eingebunden, jedoch vollkommen abseits der öffentlichen Wahrnehmung.

Eine Zusammenarbeit der G7-Staaten mit den G20 ist in Teilen bereits etabliert – wird aber immer weiter kompliziert, schließlich sind auch China und Russland Teil dieses Zusammenschlusses. Mit ihrem Selbstverständnis als Wertegemeinschaft wird eine Kooperation zwischen G7 und G20 demnach problematischer. Darüber hinaus stellt sich auch bei der G20 die Frage nach der Legitimität auf globaler Ebene. Neue Legitimation kann es für die G7 aber durch eine wertebasierte Außenpolitik geben, die auf Grundlage ihrer geteilten Überzeugungen internationale Partnerschaften eingeht. Dabei müssen die Menschen im Mittelpunkt stehen, und Kooperationen sollten themenbezogen eingegangen werden.

Jetzt internationale Kooperation gestalten

Internationale Zusammenarbeit und Globalisierung stehen derzeit vor großen Herausforderungen. An diesem Punkt kann die G7 ihre aktuelle Geschlossenheit gezielt einsetzen und als Gestalter für Zukunftsfragen auftreten. Mit einer positiven Agenda kann die G7 das derzeitige Momentum nutzen, um gemeinsame Positionen festzuzurren und in praktische Politiken zu übertragen. Das gilt sowohl für die Bewältigung unmittelbarer Krisen und komplexer globaler Aufgaben als auch für die langfristige Gestaltung von internationaler Kooperation. Denn in der Tat sind viele Aspekte ihrer Agenda drängender denn je: Die humanitären Herausforderungen durch Kriege weltweit, die Umsetzung globaler Impfgerechtigkeit angesichts der Pandemie sowie die Bekämpfung des Klimawandels auf globaler Ebene sind dabei nur wenige Schlaglichter. 

Die Realisierung einer wertebasierten Außenpolitik drängt. Dazu braucht es internationale Kooperation, die Einbindung der Zivilgesellschaft und frische Impulse. Aus diesem Grund haben wir acht junge Menschen aus den G7-Staaten und der Ukraine als Gastland in das Haus von Helmut Schmidt zu einem BKHS NextGen7 Summit eingeladen. Die Idee unseres Namensgebers von einem lebhaften Diskurs im vertraulichen Rahmen aufgreifend, haben die jungen Repräsentant*innen dort zwei Tage lang diskutiert und Politikempfehlungen zu den Themen Klimagerechtigkeit, digitale Demokratie, Geschlechtergerechtigkeit und internationale Kooperation über die G7 hinaus erarbeitet. Mitte Juni, noch vor dem Gipfel in Elmau, werden die Politikempfehlungen der jungen Generation veröffentlicht. 

Bereits 2014 hat sich die G7 über ihre wirtschaftliche Kooperation hinaus als Wertebündnis definiert. Jetzt ist es an der Zeit, dass dieses Wertebündnis auch glaubwürdig abliefert. Gerade jetzt braucht es eine wertebasierte Außenpolitik – weswegen das Motto „Fortschritt für eine gerechte Welt“ richtungsweisend sein muss.

Dies ist eine Bildergalerie mit Impressionen der Veranstaltung. Auf dem ersten Bild sieht manEinige Menschen stellen ein Foto von Politiker*innen, das auf dem G7 Gipfel 2015 entstanden ist, nach.

Die Teilnehmer*innen des NextGen7 Summit im Garten des Wohnhauses von Helmut und Loki Schmidt.

© BKHS/Michael Zapf

Drei Menschen stehen an einem Stehtisch.

Angeregter Diskurs im vertraulichen Rahmen.

© BKHS/Michael Zapf

Menschen stehen im Treppeneingang von Schmidts Wohnhaus und blicken auf Bilder an der Wand.

Eine Führung durch das Wohnhaus vermittelt die historische Bedeutung des Ortes.

© BKHS/Michael Zapf

Ein junger Mann und eine junge Frau stehen sich im trockengelegten Schwimmbecken von Helmut Schmidt gegenüber. Zwischen ihnen ist ein Plakat angebracht.

In Workshops erarbeiten die Teilnehmer*innen Politikempfehlungen für die G7.

© BKHS/Michael Zapf

Eine junge Frau schreibt etwas auf ein Plakat.

Die zentralen Themen dabei: Klimagerechtigkeit, digitale Demokratie ...

© BKHS/Michael Zapf

In einem Konferenzraum sitzen zehn Menschen teilweise vor Laptops.

... Geschlechtergerechtigkeit und internationale Kooperation über die G7 hinaus.

© BKHS/Michael Zapf

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