Transatlantische Beziehungen unter Biden: Auf dem richtigen Weg?

Ein kritischer Blick auf das erste Amtsjahr des US-Präsidenten

Zusammengerollte Ausgabe der Ney York Times mit einem Foto von Joe Biden auf der Titelseite.

Liebe Leser*innen,

was hat sich in den USA im ersten Amtsjahr Joe Bidens verändert? Wie blicken die Menschen dies- und jenseits des Atlantiks auf das vergangene Jahr zurück, welche Erwartungen an den amerikanischen Präsidenten haben sich erfüllt und welche nicht?
Julia Strasheim, die unsere Programmlinie „Europa und internationale Politik“ leitet, hat sich über diese Fragen mit Bruce Stokes unterhalten. Er ist Direktor der im Herbst 2019 gemeinsam von der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung und dem German Marshall Fund ins Leben gerufenen transatlantischen Task Force. 

Für unseren aktuellen Schmidtletter hat Julia Strasheim das Gespräch zusammengefasst, das im Verlauf automatisch zu einem Gespräch über die Bedrohung der amerikanischen Demokratie im Innern wurde.

Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung


 

Etwas mehr als ein Jahr ist US-Präsident Joe Biden nun im Amt. Fast wäre das Jubiläum angesichts der sich zuspitzenden Krise an der russisch-ukrainischen Grenze und deren Auswirkungen auf die europäische Friedensordnung untergegangen. So machte Joe Biden selbst auf einer Pressekonferenz zum Jahrestag seiner Vereidigung nicht mit den Erfolgen seiner Amtszeit Schlagzeilen, sondern mit einer missverständlichen Aussage. Diese klang, als ob er potenzielle Sanktionen gegen Russland vom Ausmaß des Truppeneinmarsches in die Ukraine abhängig machen wolle – seine Sprecherin musste die Position des US-Präsidenten später klarstellen.

Trotz oder gerade aufgrund der aktuellen Krise lohnt sich dieser Tage ein Rückblick auf Bidens erstes Jahr als Präsident. Für einige war er nach der Amtszeit Donald Trumps ein Hoffnungsträger – sowohl als Kandidat der Mitte und des Kompromisses in den USA als auch für die Wiederbelebung der europäisch-amerikanischen Partnerschaft und der NATO als transatlantisches Sicherheitsbündnis. Nach nur einem Monat im Amt verkündete Biden bei der virtuellen Ausgabe der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2021 auch direkt: „Amerika ist zurück.“ In dieser Rede zählte – nach vier Jahren „America first“-Rhetorik von Donald Trump – „gemeinsam“ zu denen am häufigsten benutzten Wörtern, wie die US-Korrespondentin des Tagesspiegels, Juliane Schäuble, damals feststellte.

Bidens erstes Amtsjahr war dabei von Höhen und Tiefen geprägt. Über diese habe ich mit Bruce Stokes gesprochen, Direktor der im Herbst 2019 gemeinsam von der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung und dem German Marshall Fund ins Leben gerufenen transatlantischen Task Force. Zum Jahrestag von Bidens Amtsantritt ist in diesem Projekt eine „Score Card“ entstanden, die die Erfolge und Misserfolge des ersten Jahres eingehender beleuchtet. In unserem Gespräch wollten Bruce Stokes und ich uns auf die transatlantischen Beziehungen und weniger auf US-Innenpolitik konzentrieren, sind aber automatisch auch auf die Bedrohung der amerikanischen Demokratie zu sprechen gekommen.

Höhen und Tiefen des ersten Amtsjahres

Für Bruce Stokes gehört zu den wichtigsten Erfolgen der vergangenen zwölf Monate, dass „Biden nicht Trump“ sei. Mit seinem Amtsantritt sei man zwar nicht zum Status Quo der transatlantischen Partnerschaft „vor Trump“ zurückgekehrt, aber dennoch waren mit dem Wechsel in Europa und den USA viele Hoffnungen auf eine Verbesserung der Verhältnisse verbunden. Schließlich sei für Biden die transatlantische Partnerschaft schon immer ein Grundpfeiler der US-Außenpolitik gewesen.

Aus transatlantischer Perspektive zählt Bruce Stokes dabei die für ihn wichtigsten konkreten Errungenschaften des ersten Jahres auf. Dazu gehören die Beilegung der Streitigkeiten um Stahl- und Aluminiumzölle und um Subventionen für Airbus und Boeing, die Einigung auf eine globale Mindeststeuer für Unternehmen, die im Juni 2021 auf einem Gipfeltreffen zwischen der EU und den USA beschlossene Gründung eines Handels- und Technologierats (Trade and Technology Council, TTC), größere Übereinstimmungen zwischen den transatlantischen Partnern im Umgang mit China, sowie Fortschritte in der Bekämpfung des Klimawandels. Auch in der Sicherheitspolitik sieht Bruce Stokes Erfolge. So habe Biden den von Trump geplanten Teilabzug von US-Truppen aus Deutschland gestoppt und das Bekenntnis der USA zur NATO bekräftigt. In der aktuellen Krise mit Russland betone Biden die enge Zusammenarbeit mit Europa, nachdem in den letzten Jahren Asien Fokus amerikanischer Außenpolitik war.

Zu den Tiefpunkten des ersten Amtsjahres gehören für Bruce Stokes die Umstände des amerikanischen Truppenabzugs aus Afghanistan und der Umgang mit europäischen Partnern rund um den trilateralen Verteidigungspakt „AUKUS“ zwischen Australien, dem Vereinigten Königreich und den USA.

Ich dachte bei dieser Aufzählung direkt an die Ergebnisse zweier kürzlich erschienener Umfragen. Die Ergebnisse von „The Berlin Pulse“, herausgegeben von der Körber-Stiftung im November 2021, zeigen, dass nach dem Wahlsieg von Biden 71 Prozent der Deutschen die Beziehungen zu den USA wieder als „gut“ oder „sehr gut“ bewerteten. Im Vergleich: Ein Jahr zuvor und während der Präsidentschaft Donald Trumps lag dieser Wert bei nur 18 Prozent. Das bekräftigt die Aussage von Bruce Stokes, dass es für Biden und die öffentliche Bewertung seiner Politik zunächst genügte, „nicht Trump zu sein“.

Doch jüngste innenpolitische Umfragen, wie die des US-Datenprojekts „FiveThirtyEight“, demonstrieren einen anderen Trend: Ein Jahr nach seinem Amtsantritt ist Biden unter Amerikaner*innen so unbeliebt wie kaum einer seiner Vorgänger. Lediglich 42 Prozent der Befragten sind im Januar 2022 noch zufrieden mit seiner Arbeit. Ein schlechteres Ergebnis erzielte zu diesem Zeitpunkt der Präsidentschaft bislang nur Donald Trump. Aus diesem Grund äußerte ich Zweifel, ob die Liste transatlantischer Erfolge wirklich so signifikant ist. Man könnte auch argumentieren, dass die von ihm aufgezählten Errungenschaften vor allem unter Expert*innen Zustimmung finden, aber von der breiteren Bevölkerung (in den USA und Europa) kaum wahrgenommen oder anders beurteilt werden. Exemplarisch lässt sich hier der Umgang mit dem Klimawandel nennen. Gerade junge Menschen hatten nach Bidens Wahlversprechen zur Bekämpfung des Klimawandels große Hoffnungen in die USA – und sind von den greifbaren Ergebnissen enttäuscht. Wie die Klimaaktivistin Greta Thunberg es unter Bezug auf Bidens Reformpaket für Infrastruktur, Wohlfahrt und Klimaschutz ausdrückte: „Build back better, blah blah blah“.

Zukunft der US-Demokratie als transatlantische Herausforderung

Einig waren wir uns, trotz unterschiedlicher Bewertung der Erfolge, dass der Zustand der US-Demokratie die vielleicht größte Herausforderung für die transatlantischen Beziehungen ist und bleiben wird. Kurz vor dem Jubiläum der Amtseinführung Bidens wurde in Washington D.C. an einen weiteren Jahrestag erinnert: Die gewaltsame Stürmung des US-Kapitols am 6. Januar 2021 durch Anhänger*innen von Donald Trump, die die Zertifizierung von Bidens Wahlsieg verhindern wollten und deren politische Aufarbeitung immer noch von der tiefen Spaltung der Unterstützer*innen und Gegner*innen Trumps geprägt ist. Seit Trumps Amtsabtritt argumentieren Wissenschaftler*innen darüber hinaus, dass besonders die Politik der republikanischen Partei zur Verschärfung des Wahlrechts, die es vor allem Minderheiten erschwert, ihre Stimme abzugeben, eine große Gefahr für die US-Demokratie darstellt.

Ich erinnerte Bruce Stokes in diesem Zusammenhang daran, dass die Stärkung der Demokratie auf beiden Seiten des Atlantiks nicht zu den Politikbereichen gehörte, die wir im Herbst 2019 in den Fokus unserer Zusammenarbeit in der transatlantischen Task Force gerückt hatten – und wollte von ihm wissen, ob wir mit dieser Entscheidung falsch lagen. Bruce Stokes antwortete, es gehöre zu den politischen Überzeugungen Joe Bidens, dass man Demokratie am besten gegen ihre Feinde verteidigt, indem man sie ganz konkrete Ergebnisse liefern lasse, die das Leben der Menschen besser machen. So könne man auch für die Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA argumentieren: Wenn eine effektive Partnerschaft klare Erfolge mit sich bringe, dann könne dies das Vertrauen der Menschen in die der Partnerschaft zugrundeliegenden demokratischen Werte und Institutionen bekräftigen. Allerdings, warf er ein, lasse die aktuelle Entwicklung in den USA ihn daran zweifeln, ob Demokratie so wirklich verteidigt werden könne. Er wies etwa auf Studien hin, die zeigen, dass die Mehrheit der republikanischen Wähler*innen – und 43 Prozent der Anhänger*innen der Demokratischen Partei – sagen, die eigene Partei solle besser an ihren Positionen festhalten, anstelle Kompromisse einzugehen, auch wenn dies bedeute, dass nichts getan werde. Die große Herausforderung der nächsten Jahre sei daher, bei wachsender gesellschaftlicher Polarisierung und schwindender politischer Kompromissbereitschaft Menschen wieder in einen gemeinsamen Dialog zu bringen.

 

Zusammengerollte Ausgabe der Ney York Times mit einem Foto von Joe Biden auf der Titelseite.

Joe Bidens Wahl zum US-Präsidenten stand für die Wiederbelebung der europäisch-amerikanischen Partnerschaft und der NATO als transatlantisches Sicherheitsbündnis.

© Unsplash / Jon Tyson

Die Worte „We did it, Joe” sind mit Kreide auf Asphalt gemalt.

Bidens erstes Amtsjahr war von Höhen und Tiefen geprägt.

© Unsplash / Jon Tyson

 

Rückenansicht einer laufenden Person, die eine Fahne mit der Aufschrift „Biden President 2022“ trägt.

Für viele Menschen dies- und jenseits des Atlantiks war die Wahl von Joe Biden mit großen Hoffnungen verbunden.

© Unsplash / Gayatri Malhotra

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