Rätseln und dann? Escape Game als Türöffner für politische Bildung

Einblicke in die Evaluationsergebnisse von „Unlock Europe“

Ein schwarzer Kasten ist mit einem großen, roten Vorhängeschloss gesichert. Im Hintergrund stehen zahlreiche europäische Flaggen auf dem Tisch. Ein Notizblock liegt neben dem schwarzen Kasten.

Liebe Leser*innen,

stellen Sie sich vor, Sie besuchen das Europa-Gebäude in Brüssel. Schwarze Limousinen mit Blaulicht fahren vor. Im Blitzlichtgewitter der Kameras steigen Bundeskanzler Friedrich Merz, die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und die anderen Staats- und Regierungschef*innen Europas aus und eilen zum EU-Gipfel. Doch dann bleiben sie alle im Aufzug stecken. Plötzlich sind Sie gefragt, denn die Zeit drängt und die Presse wartet auf Entscheidungen. Nun müssen Sie spontan handeln und Wege bahnen, um Frieden und Sicherheit in Europa zu sichern.

Das ist das Szenario unseres Escape Games „Unlock Europe“, mit dem wir seit zwei Jahren Schulen in ganz Deutschland besuchen. Spielerisch lernen junge Menschen die EU als Friedensprojekt, Wertegemeinschaft und Sicherheitsgarantin kennen.

Lassen sich beim Lösen von Rätseln politische Inhalte vermitteln? Unsere Autorin Alisa Rieth hat das Spiel als Projektmanagerin mitentwickelt und evaluiert. Lesen Sie in diesem Schmidtletter, welche Erkenntnisse sie gewonnen hat.

Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung


Ein rotes Schloss, ein Wecker ohne Zeiger und eine schwarze Haarbürste. Auf dem Tisch stehen kleine Mikrofone und die Flaggen der EU-Mitgliedsstaaten. An den Wänden hängen eine Karte des EU-Binnenmarkts, eine Übersicht aktueller Wechselkurse und Informationen zur internationalen Klimapolitik. 

In diesem Setting finden sich die Teilnehmenden von „Unlock Europe – Das Escape Game zu Frieden und Sicherheit“ wieder. Ausgangssituation ist ein fiktives Szenario: Im Europäischen Rat in Brüssel findet ein Gipfeltreffen zu drängenden Fragen der europäischen Sicherheits- und Friedenspolitik statt. Jedoch bleiben die angereisten Staats- und Regierungsspitzen plötzlich im Aufzug stecken. Daher müssen die Teilnehmenden einspringen, um die Abschlusserklärung des EU-Gipfels zu formulieren. Die erste Aufgabe im Escape Game besteht darin, sich einen Überblick über die vorliegenden Informationen und Gegenstände zu verschaffen. Was es beispielsweise mit der Haarbürste auf sich hat, finden die Teilnehmenden schnell heraus, wenn sie den rätselhaften Spuren im Spiel folgen. Das zunächst chaotisch anmutende Durcheinander im seltsam eingerichteten EU-Sitzungssaal ergibt bei genauerem Hinsehen und durch das gemeinsame Rätsellösen immer mehr Sinn.  

Spielend lernen

„Unlock Europe“ ist ein spielerisches Angebot für die politische (Jugend-)Bildung. Es bietet Rätselspaß und vermittelt Themenwissen zur Gestaltung von Frieden und Sicherheit in Europa. Gleichzeitig trainieren die Teilnehmenden wichtige Demokratiekompetenzen, indem sie sich koordinieren, absprechen, diskutieren und Kompromisse finden müssen. Wie bei Escape Games üblich, muss eine Gruppe im Rahmen einer vorgegebenen Zeit und ausgehend von einer ausgedachten Geschichte gemeinsam eine Aufgabe lösen, indem Hinweise gefunden, Rätsel entschlüsselt und Codes geknackt werden. 

Bei „Unlock Europe“ lernen die Teilnehmenden politische Herausforderungen bei der Gestaltung von Frieden und Sicherheit in vier Bereichen kennen: Handel- und Gesundheitsversorgung, Klima und Umwelt, Diplomatie und Grenzkonflikte sowie Demokratie und Social Media. Am Ende muss die Gruppe entscheiden, wie die EU handeln soll, um diese Herausforderungen und Probleme zu bearbeiten. Die Spielenden wägen ab zwischen kurz- und langfristigen Lösungen, europäischen und globalen Lösungsansätzen oder dem neutralen oder parteiischen Auftreten in zwischenstaatlichen Konflikten. 

Seit dem Launch unseres Escape Games im April 2023 haben wir mehr als 120 Spielrunden mit Schulklassen und anderen Gruppen wie Studierenden oder jungen Polizeianwärter*innen durchgeführt – in Hamburg und darüber hinaus. Damit haben wir in knapp zwei Jahren mehr als 2.500 Menschen erreicht. Durch die Konzeption als mobile Koffervariante kann „Unlock Europe“ auch in anderen Bundesländern gespielt werden. Mithilfe des Handbuchs und der Schritt-für-Schritt-Anleitung können Lehrende das Spiel vor Ort eigenständig aufbauen und durchführen. 

Lässt sich politische Bildung messen?

Nach jedem Spieltermin findet eine kurze Nachbesprechung statt, in der die Teilnehmenden Feedback zum Spieldesign geben, aber auch in eine erste Reflexion darüber gehen, welche Themen, Inhalte und Prinzipien sie mitgenommen haben oder besonders interessant fanden. Das spielerische Format funktioniert wie ein Türöffner und soll zur weiteren Beschäftigung mit den behandelten Themen anregen. 

Aber funktioniert das wirklich? Was nehmen die Teilnehmenden aus dem Escape Game mit? Haben sie etwas gelernt und wie schätzen sie die Zusammenarbeit als Gruppe ein? Um diesen Fragen nachzugehen, haben wir einige Spieltermine in Hamburg im letzten Jahr genauer unter die Lupe genommen und mithilfe von Kurzfragebögen evaluiert. 

Der wissenschaftliche Nachweis von Lerneffekten und der Wirkung politischer Bildung ist komplex und anspruchsvoll, insbesondere bei singulären und begrenzten Lernformaten wie unserem Escape Game. Lernen ist ein langfristiger, multifaktorieller Prozess und klare Ursache-Wirkung-Zusammenhänge sind schwer zu erfassen und zu belegen. Zudem beinhaltet unsere Evaluation keinen Vorher-Nachher-Abgleich, da wir die Teilnehmenden nur nach der Spieldurchführung befragt haben. Dennoch ermöglichen die Antworten der 120 befragten Schüler*innen einen authentischen und systematischen Eindruck, wie die Teilnehmenden das spielerische Format, die behandelten Themen und die Zusammenarbeit in der Gruppe selbst einschätzen. 

Was haben wir gelernt? 

Insgesamt fällt das Feedback zu „Unlock Europe“ positiv aus. Bis auf zwei Ausnahmen zeigen sich die Befragten sehr zufrieden oder zufrieden mit dem Escape Game und der Nachbesprechung. Auch das zugrunde liegende Szenario des EU-Gipfels und der im Aufzug steckengebliebenen Politiker*innen wird positiv eingeschätzt (siehe Abbildung). Die große Mehrheit der Befragten findet entweder, die Geschichte mache Lust auf das Spiel (34 Prozent) oder findet die Geschichte deshalb witzig, weil sie so unrealistisch sei (43 Prozent). Dem übrigen Viertel gefällt die Geschichte weniger gut, weil sie unrealistisch (8 Prozent) oder langweilig (9 Prozent) sei oder sie die Geschichte nicht verstanden hätten (3 Prozent). Diese Antworten deuten darauf hin, dass die Immersion, das Eintauchen in den fiktiven Spielkontext, insgesamt gelingt – ein wesentlicher Erfolgsfaktor von Escape Games. Das Szenario – als Einstieg in das Spiel – soll sich klar vom Schulalltag oder dem üblichen Workshop-Setting abheben. Die reale Welt, typische Rollen oder Gruppenkonstellationen treten zurück.

Die Frage, ob die Schüler*innen der eigenen Einschätzung nach durch das Escape Game etwas über Frieden, Sicherheit und Europa gelernt haben, bejahten mehr als drei Viertel der Befragten. Auch gaben ca. 70 Prozent an, dass sie das Escape Game neugierig gemacht habe, mehr über diese Themen zu erfahren. Hier zeigt sich eindrücklich die Türöffner-Funktion des Formats: Die angesprochenen Themen und Herausforderungen laden dazu ein, sich weiter mit den Inhalten und Themen auseinanderzusetzen und mehr über die Bedeutung, Komplexität und die vielen aktuellen Bezüge rund um EU-Sicherheits- und Friedenspolitik zu erfahren. Dies gilt insbesondere in Zeiten(-wenden), die wir aktuell erleben.

Die Zusammenarbeit in der Gruppe, das gemeinsame Absprechen und der Austausch miteinander werden von 57 Prozent der Befragten sehr gut und von 41 Prozent gut eingeschätzt. Auch die Frage zum Entscheidungsprozess am Ende des Spiels, also ob „Unlock Europe“ dazu beiträgt, Kompromisse zu finden, auch wenn es unterschiedliche Meinungen gibt, wird mehrheitlich positiv beantwortet (86 Prozent Zustimmung). Doch haben manche Schüler*innen hier auch die Kritik formuliert, dass sie sich durch den im Spiel angelegten Zeitdruck gestresst gefühlt oder sich mehr Informationen (und Zeit) für die abschließende Debatte gewünscht hätten. Diese Antworten verweisen auf eine generelle Schwäche von Escape Games: Die zeitliche Begrenzung kann einer vertieften inhaltlichen Auseinandersetzung entgegenstehen (siehe dazu etwa hier oder hier). Das Format kann zur weiteren Beschäftigung und zu weiterführenden Lerneffekten anregen. Es sollte aber mit Blick auf Lerninhalte und -ziele nicht überfrachtet und überschätzt und in der anschließenden Lehreinheit vertieft werden.

Wie gelingt zielgruppengerechte politische Bildung?

Unsere Evaluation bietet nur einen kleinen Einblick. Sie ist mit Blick auf Fallzahl und den Fokus auf Hamburger Schulen weder repräsentativ noch verallgemeinerbar und beruht auf den Selbsteinschätzungen der Schüler*innen. Und dennoch sind die Ergebnisse eine spannende Orientierung und ein ehrlicher Wegweiser, um bestehende (Jugend-)Bildungsformate fortzuführen und weiterzuentwickeln. Sie können dabei unterstützen, thematische Schwerpunkte und praktische Angebote nah an den Interessen, Perspektiven und Bedarfen derjenigen auszurichten, die erreicht werden sollen. Nur so kann politische Bildung überhaupt anfangen, eine Wirkung zu entfalten. 


Mehr zu unseren Erfahrungen mit „Unlock Europe“ gibt es im BKHS-Blickwinkel „Wie junge Menschen über Frieden und Sicherheit in Europa denken“.
Weitere Informationen zum Escape Game finden Sie unter: www.unlock-europe.de
Möchten Sie „Unlock Europe“ buchen? Dann melden Sie sich per Mail unter: unlock-europe@remove-this.helmut-schmidt.de.

Ein Tortendiagramm zur Frage: "Wie fandest du die Geschichte (Klassenfahrt nach Brüssel, Aufzug bleibt stecken)?". Antworten siehe Fließtext.

Feedback der befragten Schüler*innen zum Spielszenario. © Eigene Darstellung

Ein schwarzer Kasten ist mit einem großen, roten Vorhängeschloss gesichert. Im Hintergrund stehen zahlreiche europäische Flaggen auf dem Tisch. Ein Notizblock liegt neben dem schwarzen Kasten.

Spielerisch rätseln und dabei lernen: Bei „Unlock Europe“ stoßen die Teilnehmenden auf politische Herausforderungen bei der Gestaltung von Frieden und Sicherheit. © BKHS/Michael Zapf

Eine Schulklasse sitzt an Tischen, die zu einem Viereck aufgestellt sind. Auf den Tischen stehen viele verschiedene europäische Flaggen. Die Klasse diskutiert.

Am Ende des Escape Games muss die Gruppe entscheiden, wie die EU handeln soll, um Lösungen für Herausforderungen und Probleme zu finden. Dabei sind wichtige Demokratiekompetenzen wie Kompromissfindung gefragt. © BKHS/Michael Zapf

Autorin: Alisa Rieth, M.A.

Referentin Wissenstransfer „Frieden und Sicherheit“

Nach ihrem Studium der Politikwissenschaft und Friedens- und Konfliktforschung in Marburg, Den Haag und Frankfurt/Main war Alisa Rieth am Peace Research Institute Frankfurt in der Wissenschaftskommunikation und in einem Projekt zur Evaluation von Extremismusprävention und politischer Bildung tätig. Seit September 2022 arbeitet sie bei der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung, zunächst als Projektmanagerin von „Unlock Europe – Das Escape Game zu Frieden und Sicherheit in Europa“ und aktuell als Referentin Wissenstransfer „Frieden und Sicherheit“.

 

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