#Challenging Democracy – Von Helmut Schmidt bis heute: Eröffnungsrede von Peer Steinbrück

Ausstellungseröffnung am 23. April 2024 im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident Kubicki,
sehr geehrte Damen und Herren,
und ausdrücklich begrüße ich auch Uwe Plachetka, der von 1986 bis 2001 das Büro von Helmut Schmidt geleitet hat,

[Einstieg über eine Geschichte über Ihre persönlichen Begegnungen mit Helmut Schmidt, die zeigt, wie sehr er die kontroverse Debatte schätzte.]

Die von der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung erarbeitete Wanderausstellung „#Challenging Democracy“ setzt hier an. Sie porträtiert Schmidt als Politiker und Menschen, der in der kontroversen Debatte und auf der Suche nach der besten Lösung für das Wohl möglichst vieler Menschen einen Kern des politischen Gemeinwesens (oder, wie er selbst gerne sagte, der „res publica“) sah, und der bei seiner letzten Rede 1986 im Deutschen Bundestag (freilich damals noch in Bonn) die „Leidenschaft zur praktischen Vernunft“ für den Umgang mit politischen Themen anmahnte.

Die Ausstellung fokussiert die zahlreichen gesellschaftlichen Kontroversen insbesondere in den Jahren von Schmidts Kanzlerschaft, die uns oft an heutige Zeiten erinnern. So ging es etwa schon damals um die Frage, auf welche Energieträger die Bundesrepublik setzen sollte, um sich vor Abhängigkeiten (damals vom arabischen Öl) zu schützen. Und schon damals setzten die Bundesregierungen unter Willy Brandt und später Helmut Schmidt auf „Diversifizierung“ von Energiequellen: Neben Öl sollten vor allem russisches Gas, heimische Kohle und Atomkraft für Energiesicherheit sorgen – dies freilich musste, wie hinsichtlich anderer Konfliktthemen der Zeit auch, in einer Demokratie den Menschen vermittelt, Regierungshandeln also plausibel gemacht werden – und die Zivilgesellschaft verlangte umgekehrt nicht mehr nur Information, sondern zunehmend Mitbestimmung. Genau diese Aushandlung zwischen Politik und Gesellschaft, die Rollen unterschiedlicher Institutionen und Gruppen nimmt die Wanderausstellung in den Blick. Neben der Energiepolitik geht es um weitere Themenfelder, die damals besondere Bedeutung hatten und auf denen Schmidt zugleich besondere inhaltliche Expertise vorweisen konnte: 

  • in der Wirtschafts- und Finanzpolitik (etwa die harten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen über eine gerechte Verteilung finanzieller Lasten angesichts schwerer Wirtschaftskrisen vor allem Ende der 1970er-Jahre),
  • im Bereich der Sicherheitspolitik (der Streit um die Aufstellung von Atomraketen in der Bundesrepublik im Zuge des NATO-Doppelbeschlusses und damit die Bedenken wachsender Teile der Bevölkerung auf der einen und Schmidts Beharren auf einer glaubwürdigen Abschreckung auf der anderen Seite), 
  • und schließlich auf dem Feld der „Inneren Sicherheit“ die Verteidigung der Demokratie gegen ihre terroristischen Feinde, oder die Frage, wie sich der Rechtsstaat im Falle eines inneren Notstands behaupten könne – (hier gab es in den 1960er-Jahren große Bedenken der „außerparlamentarischen Opposition“, die die Wiederkehr autoritärer Zustände fürchtete).

Doch unsere Ausstellung „#Challenging Democracy“ erzählt nicht nur deutsche und auch internationale Zeitgeschichte, sie fordert ihre Gäste heraus, selbst aktiv zu werden, sich in andere Perspektiven hineinzuversetzen und miteinander zu diskutieren. Schließlich geht es darum, sich selbst beim Besuch als Teil eines demokratischen Prozesses zu fühlen, als Mensch, der tagtäglich darüber mitentscheidet, wie es mit der Zukunft unserer Demokratie weitergeht, als jemand, der damit auch eine Mitverantwortung trägt, wie und unter welchen Bedingungen wir zukünftig gemeinsam leben wollen.

Darüber hinaus erinnert die Ausstellung an den Menschen Helmut Schmidt, an Persönlichkeit und Prägung:

  • an eine Lebenspanne – fast ein ganzes Jahrhundert – voller tiefgreifender Umbrüche und Wendepunkte,
  • an seine bemerkenswerte Lebensleistung in Politik und Publizistik, als Minister, Bundeskanzler und Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, als Public Intellectual, gefragter Gesprächspartner, als ZEIT-Herausgeber, Autor zahlloser Bücher, Aufsätze, Reden und Artikel
  • zugleich wirft die Ausstellung einen Blick hinter die Kulissen politischer Inszenierung und erkundet Facetten und Bilder von Schmidts Persönlichkeit, die bis heute fortwirken.

„Challenging Democracy – Von Helmut Schmidt bis heute“ wirft einen Blick in die Vergangenheit und regt zum Nachdenken über die Gegenwart an. Die Ausstellung fordert uns alle auf, die aktuellen Herausforderungen für die Demokratie anzunehmen, ihre Werte zu verteidigen, Chancen und Freiräume zu nutzen und so gemeinsam die Zukunft zu gestalten.

Abschließend möchte ich meinen Dank aussprechen, an das Ausstellungsteam unter der Leitung von Magnus Koch (Felix Kern, Lisa Querner, Merle Strunk und Johannes Zechner sowie allen anderen beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung), außerdem dem Team des Bundestags um Herrn Nicolas Papke und natürlich dem Hohen Hause, dass wir hier für drei Wochen zu Gast sein dürfen.

Ihnen und uns allen wünsche ich einen schönen Eröffnungsabend mit anregenden Gesprächen über die gegenwärtige Weltlage und Erinnerungen an Helmut Schmidt.

Vielen Dank

Peer Steinbrück hält die Eröffnungsrede zur Wanderausstellung #Challnging Democracy im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags.

© BKHS/Michael Zapf

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