„Die Fülle an bestehenden Beteiligungskanälen ist den allermeisten Leuten nicht bewusst“

Drei Fragen an Dr. Eva Krick zum „Internationalen Tag der Demokratie“

Autor/in:Eva Krick
zwei Menschen diskutieren miteinander.

Heute ist der internationale Tag der Demokratie! Wir nehmen das zum Anlass, um mit unserer Programmleiterin für Demokratie und Gesellschaft Dr. Eva Krick über den Kern der Demokratie und ihre größten Herausforderungen zu sprechen. 

Was macht aus Deiner Sicht das Wesen einer gesunden Demokratie aus?

Politische Beteiligung ist sicherlich die Grundlage jeder gesunden Demokratie. Man könnte auch sagen: Demokratie bedeutet im Kern, dass alle Bürger*innen, auf politische Entscheidungen, die sie betreffen, in irgendeiner Form einwirken können. 

Die Politik hat insbesondere in den letzten 10 Jahren auf die gestiegenen Partizipationserwartungen der Bürger*innen reagiert und die Beteiligungsmöglichkeiten immer mehr erweitert. Besonders viel diskutiert – und immer häufiger realisiert – wurde in letzter Zeit das Beteiligungsformat des „Bürgerrats“, bei dem eine zufällig ausgeloste Auswahl von Bürger*innen zusammenkommt. Es gibt außerdem in fast allen Kommunen regelmäßige Dialoge mit Politiker*innen und eine stetig wachsende Zahl an Onlineplattformen zur Kommentierung von politischen Vorhaben. In Deutschland sind überdies die Möglichkeiten der direktdemokratischen Abstimmung über bestimmte Sachfragen immer weiter ausgebaut worden. Hinzu kommen natürlich die klassischen Beteiligungsformate der Wahl und der Parteimitgliedschaft. Mit der Klimabewegung ist ein weiterer klassischer Weg der Beteiligung wieder mehr in den Fokus geraten: das Engagement in Interessengruppen, die sich durch die Artikulation von gesellschaftlichen Forderungen, Protest – und ggf. zivilen Ungehorsam – Aufmerksamkeit und Einfluss verschaffen.

Den einen Königsweg der Beteiligung gibt es meiner Auffassung nach nicht. Sinnvoll ist vielmehr eine Kombination der verschiedenen Kanäle und der gezielte Einsatz je nach Problemstellung, Adressat und Betroffenenkreis. Die derzeit so beliebten Bürgerräte erfordern viel Zeit und diskursive Fähigkeiten auf Seiten der Teilnehmer*innen. Wenn es um die Lebensbedingungen einer bestimmten sozialen Gruppe, wie etwa wohnungsloser Menschen, geht, ist das gezielte Einholen der Perspektiven von Betroffenen und (Erfahrungs)expert*innen oft sinnvoller als der Dialog zwischen ‚Zufallsbürger*innen‘. Volksabstimmungen wiederum sollten am besten nur zu Fragen abgehalten werden, deren Konsequenzen man einigermaßen überblicken kann, die klar mit Ja oder Nein zu beantworten sind und die in einen breiten gesellschaftlichen Dialog eingebettet sind. Das Tempolimit auf Autobahnen wäre da ein Beispiel. 

Wenn es so viele Partizipationsmöglichkeiten gibt, wieso fühlen sich dann trotzdem viele Menschen nicht gehört? 

Die Fülle an bestehenden Beteiligungskanälen ist den allermeisten Leuten nicht bewusst bzw. finden sie den Weg dorthin nicht. Das ist schade, denn viele wünschen sich ja, mehr gehört zu werden, und erwarten das – zu Recht – von der Demokratie. 

Teilweise ist das ein Informationsproblem, an dem man arbeiten kann. Es gibt aber auch Gruppen, die von politischen Beteiligungsmöglichkeiten notorisch schlecht erreicht werden, und das hat tiefer liegende Gründe. Es bringen sich überproportional ältere, höher gebildete Männer ohne Migrationshintergrund in politische Prozesse ein, während viele weniger privilegierte Personen kaum auftauchen. Das gilt ganz besonders für Menschen, die von vielfältigen Problemen wie Armut, Prekarität, Krankheit oder Gewalt betroffen sind, die mehrere Jobs machen oder alleinerziehend sind.

Organisationen, die die Interessen dieser Personen vertreten, wie etwa Wohlfahrtsverbände, sind zwar oft politisch gut vernetzt, haben aber nicht die Mittel, um ebenso schlagkräftig Einfluss zu nehmen wie etwa Arbeitgeberverbände. Außerdem haben wir uns als Gesellschaften daran gewöhnt, diese Formen der Ausgrenzung als geradezu natürlich anzusehen. Maßnahmen des sozialen Ausgleichs, also etwa überzeugende Antworten auf die Wohnungsmisere, die Bildungssegregation oder die extrem ungleiche Verteilung von Wohlstand, betrachten wir als ‚nice-to-have‘, das bei klammen Kassen aber gestrichen wird. 

Wenn wir uns als Demokrat*innen verstehen, können wir diese Situation nicht lediglich bedauernd zur Kenntnis nehmen. Der systematische Ausschluss bestimmter sozialer Gruppen von sozialer und politischer Teilhabe ist ein tiefer Stachel im Fleisch der Demokratie. 

Wenn es uns aber gelingt, breiter zu beteiligen, kann das auf Dauer sogar den rechten Rand schwächen. Nicht weil sozial benachteiligte Personen die AfD wählen würden. Das tun typischerweise eher Personen, die um ihre Privilegien bangen. Sondern, weil die Stimmen benachteiligter Personen ein Gegengewicht bilden können und eine sozialere, auf die Anerkennung aller Menschen zielende Politik wahrscheinlicher machen.

Was ist in Deinen Augen derzeit die drängendste Herausforderung für die Demokratie? 

Neben dem oben genannten ist das sicherlich die Frage, wie wir die Herrschaftsform der Demokratie mit effektivem Klimaschutz vereinbaren. Drängend ist das insofern, weil in Bezug auf die Begrenzung der Erderwärmung ein enormer Zeitdruck besteht, der mit dem – notwendig bedächtigen – Tempo demokratischer Aushandlungsprozesse in Konflikt steht. 

Es stellen sich an dieser Schnittstelle für die Demokratie existenzielle Fragen: Schaffen wir es, die Entscheidungsfindung zu beschleunigen, ohne dabei einen Großteil der Bürger*innen und Bürger, etwa an anti-demokratische Strömungen, zu verlieren? Wie kann es gelingen, dass eine umfassende und rasante Transformation unserer Lebensweisen auf inklusiver Konfliktlösung aufbaut und gesamtgesellschaftlich getragen wird? Geben wir der Verheißung einer „Expertokratie“ nach, die von Wissenschaftler*innen gelenkt wird? 

Das diesjährige Leitmotiv des Tags der Demokratie – ‚Empowering the next generation‘ – könnte man in diesem Sinne lesen. Zukünftige Generationen werden nur dann selbstbestimmt leben können, wenn die Lebensgrundlagen erhalten bleiben und die Welt nicht in Konflikten um Ressourcen und Territorien versinkt. Im Moment denken wir Demokratie und Nachhaltigkeit aber noch nicht ausreichend zusammen. Wir sprechen bisher zu wenig über die Frage, wir tragfähige Kompromisse zwischen allen betroffenen Interessen schmieden und einen möglichst breiten Konsens für die nötigen einschneidenden Veränderungen erreichen. Wir alle sind hier als demokratische Subjekte gefordert. Wir könnten unseren politischen Repräsentant*innen einen viel klareren Auftrag für eine konsequente grüne Transformation geben. Wir können aber auch Veränderungen der Entscheidungsprozesse anstoßen und uns dann möglichst intensiv einbringen. Interessante Vorschläge zur Demokratiereform zielen etwa auf eine Ökologisierung des Grundgesetzes oder die Schaffung eines umfassenden Netzes an demokratischen Innovationen zu Nachhaltigkeitsfragen. Denkbar wäre auch, allen Bürger*innen Gutscheine zuzuteilen, mit denen sie den NGOs ihres Vertrauens das Mandat für Verhandlungen über Klimaschutzmaßnahmen verleihen.
 

Eine Hand wirft einen weißen Zettel in eine Wahlurne.

Ein Wähler an der Urne. © Canva

Ein Parlament von innen. Viele Sitze sind in einem Kreis angeordnet.

Das Parlament als ein Ort der Demokratie. © Canva

zwei Menschen diskutieren vor einem Plakat.

Junge Menschen diskutieren über politische Themen. © Michael Zapf/BKHS

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