Gastbeitrag „Transatlantischer Tiefpunkt?“

Im Juni 1980, vor 38 Jahren, eskalierte beim Wirtschaftsgipfel in Venedig der Streit zwischen US-Präsident Jimmy Carter und Bundeskanzler Helmut Schmidt.

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Helmut Schmidt und Jimmy Carter stehen in einer Gruppe weiterer Personen vor historischen Gebäuden.

Autor: Jan Techau 
21. Juni 1980: Als Helmut Schmidt Jimmy Carter in Venedig anschrie

Im Hinblick auf die Konferenz „The Future of Transatlantic Relations: Challenges in Trade, Security and Environmental Policy“, die die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung und das Europa-Kolleg am 16. und 17. November 2018 in Hamburg veranstalten, wirft Jan Techau in einem Gastbeitrag ein Schlaglicht auf die Geschichte der transatlantischen Beziehungen. Der Senior Fellow und Leiter des Europaprogramms beim German Marshall Fund in Berlin stellt fest, dass in Trump-Zeiten der Carter/Schmidt-Streit wie ein Luxusproblem aus besseren Zeiten wirke.

Der amerikanische Präsident Jimmy Carter sagte später, es sei das unangenehmste Treffen mit einem ausländischen Staatslenker gewesen, das er jemals erlebt habe. Gemeint war der Wirtschaftsgipfel am 21. Juni 1980 in Venedig. Carter und der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt waren heftig aneinander geraten, und obwohl das Verhältnis der beiden von Anfang an belastet war, war dies wohl der Tiefpunkt der Beziehung der beiden Männer. Grund der Auseinandersetzung war die wichtigste strategische Frage der damaligen Zeit: der Nachrüstungsbeschluss der NATO, dessen Ziel es war, mithilfe der Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Westeuropa („Pershing 2“) die Abschreckungslücke zu schließen, die durch die in großem Stil erfolgte Installation sowjetischer SS20-Raketen in Osteuropa entstanden war.

Schmidt hatte Carter jahrelang davon zu überzeugen versucht, dass diese sogenannte Nachrüstung nicht nur notwendig sei, um dem Warschauer Pakt militärisch Paroli zu bieten, sondern auch um die Glaubwürdigkeit amerikanischer Abschreckung in Europa nicht zu gefährden. Carter hatte sich nach langem Zögern dann zur Zustimmung entschlossen, was den Weg für den NATO-Doppelbeschluss von 1979 freimachte. Schmidts Politik traf auf äußerst heftigen Widerstand in seiner eigenen Partei, und die Versuche des Kanzlers, die SPD bei der Stange zu halten, hatten bei den Amerikanern Misstrauen geweckt: würde Schmidt zum gemeinsamen Beschluss stehen oder einknicken?

Dieses Misstrauen war eine krasse Fehleinschätzung Carters. Sie war höchst ungerechtfertigt, denn Schmidt, ein unbeirrbarer Verfechter der transatlantischen Bindung, hatte mit dieser Frage längst sein politisches Schicksal verbunden. Als er sich dann in Venedig den Vorwürfen der Amerikaner ausgesetzt sah, verlor er die Fassung und schrie Carter und dessen Berater an. Schmidts Geduld mit Carter war aufgebraucht. Nicht nur hatte er den ehemaligen Erdnussfarmer und Gouverneur von Georgia von Anfang an wegen dessen geringer strategischer Sichtweite und seiner tief-religiösen Neigungen für naiv gehalten. Er war von ihm auch in der Frage der Stationierung von Neutronenbomben in Europa, die Carter erst wollte und dann nicht mehr wollte, im Stich gelassen worden.

Schmidt hatte Carter mit schneidender Arroganz wissen lassen, dass er ihn intellektuell nicht ernst nahm, eine Einstellung, die Carter tief verletzte. Er hatte Schmidt zunächst bewundert und intensiv um dessen Gunst geworben. In Venedig kamen diese Mischung aus geostrategischen und persönlichen Spannungen zur Explosion. Dass Carter im November desselben Jahres abgewählt wurde, war für Schmidt nur ein kleiner Trost. Mit Ronald Reagan, Carters Nachfolger, war das Verhältnis aus anderen Gründen ebenso wenig vertrauensvoll.

Heute wird gefragt, ob das Zerwürfnis von vor knapp 40 Jahren nicht als Hinweis darauf gedeutet werden kann, dass es transatlantische Spannungen immer schon gegeben habe, und die gegenwärtige Eiszeit zwischen Trump und Deutschland und den Europäern nur ein ganz normales Tief sei, das auch wieder vergehen werde.

Die Antwort lautet nein, der Vergleich ist nicht statthaft. Selbst in den Zeiten starker transatlantischer Spannungen, von der Suez-Krise 1956 über die Nachrüstung bin hin zum Irak-Krieg 2003, war das Fundament des Verhältnisses bei allem sonstigen Dissens, nicht in Frage gestellt. Amerika bekannte sich zu seiner Garantiefunktion für Europa und untermauerte dies auch mit Truppenpräsenz und einem aktiven politischen Engagement in der Alten Welt. Wenn es auch in der Tagespolitik brennen konnte, so war doch die strategische Ebene nie ernsthaft berührt.

Die Carter-Schmidt-Episode illustriert dies: der Streit entbrannte über die Frage der richtigen Vorgehensweise innerhalb des strategischen Konsenses, nicht über die strategischen Grundfragen selbst.

Heute ist die Situation ganz anders. Donald Trump hält sich mit den Grundfragen von glaubwürdiger Abschreckung, dem Wert von Allianzen und von Vertrauen als politischer Währung nicht lange auf. Aus einer gefühlten Position der allumfassenden Stärke ebnet er die Unterschiede zwischen Partnern und Gegnern ein, ist sich für persönliche Invektiven auf niedrigstem Niveau nicht zu schade, und sieht Allianzen und internationale Institutionen nicht mehr als Legitimation und Kraftverstärker Amerikas. Schlimmer noch: die Europäer, insbesondere Deutschland, wird vom Präsidenten persönlich als Gegner Amerikas hingestellt.

Dieser erratische Aktivismus eines strategisch uninteressierten Präsidenten hat zu einer fundamentalen Vertrauenskrise im Bündnis geführt. Trotz erhöhter amerikanischer Verteidigungsausgaben in Europa wissen die Europäer nicht mehr, ob sie Amerika noch trauen können. Der strategische Konsens scheint aufgehoben. Zudem ist völlig unklar, ob diese Abwendung von alten Bindungen lediglich ein Trump-Phänomen ist oder Resultat einer strukturellen, irreversiblen Abwendung Amerikas von den alten Bündnispartnern. Die Europäer müssen sich das erste Mal seit 1949 Sorgen darüber machen, ob die Ära der Pax Americana zuende ist und sie damit vor strategische Grundfragen gestellt sind, die sie sich 70 Jahre lang nicht mehr stellen mussten.

Im Vergleich hierzu wirkt die Auseinandersetzung zwischen Carter und Schmidt von 1980 wie ein Luxusproblem aus besseren Zeiten. Was damals ein heftiger Streit war, würden wir heute jederzeit und ohne Zögern gegen die aktuelle Lage im transatlantischen Verhältnis eintauschen.

Jan Techau ist Senior Fellow und Leiter des Europaprogramms beim German Marshall Fund in Berlin. 2017 veröffentlichte er „Führungsmacht Deutschland – Strategie ohne Angst und Anmaßung“ (mit Leon Mangsarian).

http://www.gmfus.org/offices/berlin

Jimmy Carter spricht in ein Mikrophon, Helmut Schmidt stehet neben ihm.

© dpa

Porträt von

Jan Techau,Senior Fellow und Leiter des Europaprogramms beim German Marshall Fund in Berlin

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