Globale Sicherheitspolitik stellt den Menschen in den Mittelpunkt

Pandemien, Menschenrechte oder Klimakrise: Gefahren machen nicht vor Grenzen halt und erfordern neue Konzepte

Unzählige Menschen halten Schilder mit Fotos von Personen in die Luft. Sie demonstrieren.

Liebe Leser*innen,

was verbinden Sie mit dem Begriff „Sicherheitspolitik“? Ausschließlich militärische Auseinandersetzungen, die es gilt einzudämmen oder zu vermeiden? Weit gefehlt! Angesichts globaler Gefahren wie zum Beispiel Armut, Ressourcenknappheit oder Epidemien brauchen wir ein neues umfassenderes Konzept für eine Strategie, die weit über die Grenzen des Nationalstaats hinausgeht.

In unserem Schmidtletter zeigt Raja Albers anhand dreier konkreter Beispiele – der Covid-19-Pandemie, der Missachtung von Menschenrechten entlang von Wertschöpfungsketten und der Klimakrise –, warum wir den Menschen dabei ins Zentrum sicherheitspolitischer Überlegungen stellen sollten. Raja Albers war als Mitarbeiterin unserer Programmlinien tätig und studiert das Masterprogramm Human Security.

Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre!
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung


 

Menschliche Sicherheit: die neue Norm? 

Human security oder menschliche Sicherheit gehört bereits seit den 1980er-Jahren zu den zentralen wissenschaftlichen Konzepten für Forschende zu internationalen Beziehungen. Sie sind aber auch zunehmend integraler Bestandteil praktischer Politik in Deutschland und weltweit. So heißt es in den Leitlinien des Auswärtigen Amts zur Feministischen Außenpolitik, dass diese „menschliche Sicherheit stärker ins Zentrum außenpolitischen Handelns“ rücke. Auch die erste Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung bedient sich des Begriffs und bei den Vereinten Nationen dient human security seit knapp drei Jahrzehnten der Verschränkung von entwicklungspolitischen Projekten und der Friedensbildung. In der Politik der Bundesregierung ist eine solche Verschränkung der Sicherheits- und Entwicklungspolitik deutlich zu erkennen. So übernimmt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Rahmen der Nationalen Sicherheitsstrategie wichtige Kernaufgaben, vor allem im Bereich der Krisenprävention und der Prävention potenzieller Gefahren. 

Die ressortübergreifende Ausweitung der Verantwortlichkeit für sicherheitspolitische Fragen vom Verteidigungsministerium über das Bundeswirtschaftsministerium bis zum BMZ ist eine logische Antwort auf die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs. Sicherheit umfasst nicht mehr nur Gefahren durch physische Gewalt von innen und außen, also physische Unversehrtheit. Vielmehr hat sich das Sicherheitsverständnis hin zu globalen Gefahren erweitert. 

Von staatlicher Sicherheit zu menschlicher Sicherheit

Der Begriff der menschlichen Sicherheit wird in einer Vielzahl von Politikfeldern verwendet, von der Außenpolitik über die Wirtschafts- bis zur Klimapolitik. Zentral ist der Gedanke, dass die Sicherung des Nationalstaats keine Gewährleistung für die Sicherheit der Bürger*innen und von Menschen weltweit ist. Menschliche Sicherheit bedeutet eine Ausweitung der Themen, die als Gefahren für die Sicherheit von Menschen verstanden werden, der notwendigen Mittel zur Erreichung dieser Sicherheit und der Akteur*innen, die handeln müssten. Neu definierte Bedrohungen, wie beispielsweise Armut, Ressourcenknappheit oder Epidemien, sind dabei nicht an Nationalstaaten gebunden, sondern global verknüpft. 

Zusätzlich bedingen sich die Gefahren gegenseitig. Ernährungsunsicherheit und Umweltbelastungen verstärken Gesundheitsrisiken, ebenso sind staatliches Missmanagement und Armut in vielen Teilen der Welt ein Katalysator für bewaffnete Konflikte. Die globale Verflechtung von Gefahren lässt sich in den letzten Jahren gut beobachten und soll an drei konkreten Beispielen erläutert werden. 

Pandemien machen nicht vor Landesgrenzen halt

Die Covid-19-Pandemie hat wie wenige Krisen zuvor die Verletzbarkeit globaler Handelsketten offengelegt und die drastischen Folgen restriktiver Politik im Sinne nationaler Interessen deutlich gemacht. Während reiche Staaten Impfstoffe gegen das Virus horteten, haben bis heute lediglich 32,9 Prozent der Bevölkerung in einkommensschwachen Ländern eine oder mehrere Impfdosen erhalten. 

Statt die Pandemie als globale Herausforderung menschlicher Sicherheit zu begreifen, versuchte jeder Staat eine nationalstaatliche Lösung für ein gesundheitspolitisches Problem zu finden – und scheiterte. Die Dominanz machtpolitischer Überlegungen und wirtschaftliche Sorgen über negative Folgen einer zeitweisen Aussetzung des Patentschutzes siegten über eine vorausschauende und humanitäre Politik. Hätte die internationale Gemeinschaft von Anfang an auf eine schnellstmögliche Immunität auf globaler Ebene gesetzt, statt die Situation im eigenen Land zu priorisieren, wäre der Pandemie wahrscheinlich frühzeitiger ein Ende gesetzt worden. Die Covid-19-Pandemie zeigt wie kaum ein Ereignis der letzten Jahre die Notwendigkeit, Sicherheit global zu verstehen. 

Die Achtung der Menschenrechte reduziert gesellschaftliche Missstände

Weltweit arbeiten mehrere Millionen Menschen – darunter viele Kinder – entlang globaler Lieferketten. Vielerorts sind die Arbeitsbedingungen katastrophal, der Druck auf Arbeitnehmer*innen ist hoch, und Gehälter liegen häufig weit unter dem nationalen Mindestlohn, wie die Organisation Human Rights Watch schon 2016 in einem Bericht hervorhob. Als späte Reaktion auf die Katastrophe von Rana Plaza – vor zehn Jahren waren beim Einsturz dieser Textilfabrik in Bangladesch mehr als 1.000 Arbeiter*innen gestorben – einigte sich die EU im Dezember 2023 auf ein Lieferkettengesetz. Ziel ist es, Unternehmen für die Einhaltung von Menschenrechten entlang der gesamten Wertschöpfungskette in Verantwortung zu nehmen. In Deutschland gilt ein weniger striktes Gesetz bereits seit Januar 2023, zum 1. Januar 2024 wurde es verschärft und gilt nun für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigte. 

Ein erweitertes Sicherheitsverständnis kann helfen, den Zweck wirtschaftlicher Aktivitäten zu hinterfragen und neu zu definieren. Im Mittelpunkt sollte dabei die Verbesserung menschlichen Wohlbefindens weltweit stehen, beispielsweise durch sichere Einkünfte und eine gestärkte Gesundheitsversorgung. Die Betonung grundlegender Menschenrechte in Handelsbeziehungen ist dabei zentraler Bestandteil. Durch die damit einhergehende Reduktion von Missständen – die vielerorts treibende Kräfte von gesellschaftlichen Spaltungen und Gewalt sind – können Menschenrechte zudem helfen, weltweit Konflikttreiber zu reduzieren. 

Die Klimakrise ist eine globale Sicherheitsbedrohung

Der drastische Wandel des Klimas, mit einem massiven Anstieg an Wetterextremen und Naturkatastrophen in den letzten Jahren, stellt eine existenzielle Bedrohung für das Leben der Menschen auf der Erde dar. Laut dem weltweit größten Rückversicherer Munich Re kamen allein im vergangenen Jahr mehr als 70.000 Menschen durch die Folgen von Naturkatastrophen und Wetterextremen ums Leben. In gesellschaftlich instabilen Staaten können die Folgen der Klimakrise zudem als Konflikttreiber wirken und Menschen zur Flucht zwingen, wie die Generalsekretärin des Danish Refugee Council (DRC), Charlotte Slente, in einem Spiegel-Interview schildert. Der Einfluss der Klimakrise auf die menschliche Sicherheit ist also umfassend. Insbesondere da die Auswirkungen der Klimakrise global ungleich zu spüren sind. Während die Klimakrise in einigen Teilen der Welt die Existenz von Staaten bereits jetzt bedroht und Konflikte antreibt, zeigt sie sich anderswo vor allem durch erhöhte Luftverschmutzung und Wetterextreme wie beispielsweise Hitzewellen. 

Folgerichtig nennt das Auswärtige Amt die Klimakrise „die größte Sicherheitsbedrohung unserer Zeit“. 

Es braucht einen multidimensionalen sicherheitspolitischen Ansatz 

Die Covid-19-Pandemie, die Missachtung der Menschenrechte entlang von Wertschöpfungsketten und die globalen Folgen des Klimawandels verdeutlichen, dass die Sicherheit der Menschen weltweit nicht nur durch bewaffnete Konflikte, sondern vielmehr durch eine Vielzahl von Gefahren bedroht ist, die sich gegenseitig bedingen und den Druck in Gesellschaften erhöhen. Da diese Gefahren nicht an Landesgrenzen haltmachen, braucht es globale Lösungen, die das Wohlbefinden jedes Menschen ins Zentrum stellen. Um dies zu ermöglichen, ist es unabdingbar, dass unterschiedliche politische Institutionen kooperieren, wie nationale und internationale, wirtschafts-, entwicklungs-, sicherheitspolitische Institutionen, um an mehreren Gefahrenherden gleichzeitig anzusetzen.

Denn eines ist klar: In einer von multiplen Krisen gebeutelten Welt ist die Frage nach Sicherheit längst nicht mehr nur von Polizei und Militär abhängig. Die Gegenwart verlangt nach multidimensionalen Ansätzen auf nationalstaatlicher und internationaler Ebene, dem Priorisieren von langfristigen Strategien anstelle des aktuellen Dauerzustands kurzfristigen Krisenmanagements und nach globaler Solidarität durch eine gerechte Verteilung der Finanzierungslasten.

Eine Person mit übergroßer Maske von Angela Merkels Kopf steht mit einer übergroßen Spritze auf der "Covid-19-Vaccine" steht vor einem Schild. Darauf steht "Impf-Patente freigeben - Leben retten!". Es ist eine Demonstration.

Während reiche Staaten Impfstoffe gegen das Virus horteten, haben bis heute lediglich 32,9 Prozent der Bevölkerung in einkommensschwachen Ländern eine oder mehrere Impfdosen erhalten. Deshalb demonstrierten Aktivist*innen am 20. Juli 2021 vor dem Bundeskanzleramt für die Freigabe von Impfpatenten. © Ruben Neugebauer/Campact

Unzählige Menschen halten Schilder mit Fotos von Personen in die Luft. Sie demonstrieren.

Weltweit arbeiten mehrere Millionen Menschen – darunter viele Kinder – entlang globaler Lieferketten in katastrophalen Arbeitsbedingungen: Nach dem Einsturz einer Fabrik in der Nähe von Dhaka, Bangladesch, halten Angehörige Bilder von Familienmitgliedern in die Kamera, die vermisst werden. Das Foto wurde am 28. April 2013 aufgenommen. © picture alliance/AP Photo/Kevin Frayer

Ein Junge rennt mit einer Jacke als Schutz über den Kopf gehalten über eine matschige, teils unter Wasser stehende Straße. Die Häuser am Straßenrand sind verwüstet, es fehlen Dächer und Wände. Die Straße ist voller Müll.

Der drastische Wandel des Klimas, mit einem massiven Anstieg an Wetterextremen und Naturkatastrophen in den letzten Jahren stellt eine existenzielle Bedrohung für das Leben der Menschen auf der Erde dar. Dieses Bild zeigt Szenen aus dem November 2016, als der Hurrikan Matthew die Hauptstadt von Haiti, Port-au-Prince, verwüstete. © UN Photo/Logan Abassi

Porträt von Raja Albers

Autorin: Raja Albers ist Studentin im Masterprogramm Human Security an der Aarhus Universität in Dänemark. Bis Januar 2024 arbeitete sie als studentische Mitarbeiterin für die Programmlinien der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung und unterstützte unter anderem den Workshop der „Global Expert Group on Conflict Resolution and Peacebuilding“, deren Ergebnisse im Februar präsentiert werden, sowie die Helmut Schmidt Lecture zum Thema „Remaking Globalisation!“ im Dezember 2023 in Berlin. © BKHS/Michael Zapf

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