Wachstumsbranche Bürgerbeteiligung: Profis werden immer relevanter

„Beteiligungsboom“ in Deutschland mit immer mehr Formaten als lukratives Geschäft

Autor/in:Eva Krick

Liebe Leser*innen,

wenn Bürgerräte, Zukunftsdialoge und andere „demokratische Innovationen“ eingesetzt werden, dann werden sie meist von spezialisierten Dienstleister*innen geplant und durchgeführt. Der Markt für solche Serviceleistungen ist in den letzten zehn Jahren enorm gewachsen.

In diesem Schmidtletter geht unsere Programmlinienleitung für „Demokratie und Gesellschaft“ Dr. Eva Krick der Branche der „Beteiligungsprofis“ auf den Grund und fragt: Ist es ein Problem, wenn Bürgerbeteiligung zur Ware wird?

Eine spannende Lektüre und einen schönen ersten Advent wünscht Ihnen
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung


 

Sie agieren eher im Hintergrund, haben aber einen großen Einfluss darauf, wie Bürger*innen an politischen Prozessen beteiligt werden: „Beteiligungsprofis“. Dabei handelt es sich um Menschen, die sich hauptberuflich um Bürgerbeteiligung kümmern. Sie findet man in ganz unterschiedlichen Sektoren, und sie gehen einer Vielfalt an Aufgaben nach. Im privatwirtschaftlichen Sektor haben sich eine ganze Reihe von Dienstleistungsunternehmen auf die Planung und Durchführung partizipativer Dialogprozesse spezialisiert. Aber auch in den öffentlichen Verwaltungen werden – insbesondere auf Kommunal- und Länderebene – immer mehr Stellen für „Partizipationsbeauftragte“ geschaffen, die Beteiligungsprozesse initiieren und innerhalb der Verwaltung für mehr Partizipation werben. Hinzu kommen zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich um Bürgerbeteiligung bemühen. Ein bekanntes Beispiel ist der Verein „Mehr Demokratie e.V.“, der sich schon lange vorwiegend für mehr direkte Demokratie einsetzte, mittlerweile aber auch zufällig zusammengesetzte Bürgerräte promotet und selber durchführt. Ein anderes Beispiel ist die Initiative „Es geht LOS“, die die Vision flächendeckender Bürgerräte verfolgt und diese Beteiligungsform in ganz Deutschland initiiert.

All diese Akteur*innen treiben den „Beteiligungsboom“ in Deutschland voran und sie werden gleichzeitig durch den anhaltenden Beteiligungsenthusiasmus innerhalb der Bevölkerung genährt. Sie alle sehen sich als Demokratiereformer*innen und Anwält*innen breiter politischer Teilhabe. Sie alle haben ihrer Ansicht nach ausgeprägte Expertise im Bereich Partizipation – sie wissen, welche Beteiligungsformen sich für welchen Fall eignen, und können die Politik entsprechend beraten.

Doch etwas genauer hinschauen sollte man bei den gewinnorientierten Firmen, die sich auf diesem Markt tummeln. Sie übernehmen zum einen oft besonders einflussreiche Aufgaben: Sie konzipieren den Beteiligungsprozess, wählen die teilnehmenden Bürger*innen und die beratenden Expert*innen aus, sie moderieren die Dialogprozesse, halten die Ergebnisse fest und sorgen für die Vermittlung an die Politik. Das sind ganz wichtige Steuerungsaufgaben, die unmittelbar den Zuschnitt demokratischer Institutionen, die Willensbildung und sogar Politikergebnisse beeinflussen. Zum zweiten verfolgen diese Unternehmen natürlich auch Gewinninteressen bei der Realisierung von partizipativen Prozessen, und nicht immer wird dieses Interesse sie in die gleiche Richtung lenken wie ihr Fachwissen oder ihr demokratisches Ethos. So ist die Durchführung eines losbasierten Bürgerrats beispielsweise aufwändig und daher grundsätzlich recht lukrativ für ein privatwirtschaftlich denkendes Unternehmen. Es ist aber nicht in allen Fällen die beste Beteiligungsmöglichkeit (zu den Vor- und Nachteilen von Bürgerräten finden Sie hier ein vertiefte Analyse).

In Deutschland allerdings von einer „Beteiligungsindustrie“ zu sprechen, wäre sicherlich unangemessen. Bei uns ist es keineswegs so wie in den USA, wo große PR- und Planungsfirmen den Markt beherrschen und Beteiligungsprozesse durchführen, die von Wissenschaftler*innen schon mal als manipulativ und „fake“ bezeichnet worden sind.

Aber die Branche entwickelt sich auch in Deutschland ständig weiter und das sollten wir als Zivilgesellschaft im Blick behalten. Es kann durchaus zu einer weiteren Kommerzialisierung des Partizipationsgeschäfts kommen, die dann eine Marktkonzentration nach sich ziehen kann, durch die spezialisierte Beteiligungsfirmen mit ihrer jahrzehntelangen Bürgerbeteiligungserfahrung verdrängt werden. Wenn wir in einem solchen Fall nicht genau hinschauen, wie das Beteiligungsgeschäft eigentlich abläuft, sondern einfach davon ausgehen, dass jeder Einbeziehungsversuch die Demokratie voranbringt, dann wäre das problematisch.

Vorstellbar ist aber auch ein Prozess der Ausdifferenzierung und Professionalisierung im Bereich Partizipation, bei dem alle involvierten Akteure dazulernen – Bürger*innen, Beteiligungsfirmen, -institute und -vereine ebenso wie die Auftrag gebende Verwaltung und die durch den Bürgerrat zum Handeln aufgeforderten politischen Entscheidungsträger*innen. Ein solcher kollektiver Lernprozess würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass passgenaue Beteiligungsmodelle zum Einsatz kommen, die mit den repräsentativen Institutionen, die politische Entscheidungen treffen, verkoppelt sind und die jeweilige Zielgruppe unter den Bürger*innen effektiv einbinden. Die Verwaltung könnte leichter informierte Entscheidungen über die Art und Weise der Öffentlichkeitseinbindung treffen, und wir als Zivilgesellschaft wären besser in der Lage, effektive Kontrolle auszuüben und demokratische Institutionen weiterzuentwickeln, ohne Trends auszusitzen.

Dr. Eva Krick forscht seit Jahren zum Thema Bürgerbeteiligung. Ihre Studie „Beteiligungsprofis in der Demokratie. Zur Professionalisierung und Kommerzialisierung einer Wachstumsbranche“ ist kürzlich in der Zeitschrift Leviathan erschienen und hier kostenlos zum Download verfügbar.

Teilnehmer an einer Demonstration gegen die Ansiedlung von Tesla in der brandenburgischen Gemeinde Grünheide im Jahr 2020. Foto: picture alliance/dpa | Paul Zinken

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) bei der Bürgerlotterie im deutschen Bundestag, bei der sie die Teilnehmenden des ersten Bürgerrates „Ernährung im Wandel“ zieht. Foto: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

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