„Wir sind alle aufgefordert, diese Entwicklung nicht hinzunehmen“

Mitte-Studie der FES zeigt: Demokratiedistanz breitet sich aus

Zu den Themen:DemokratiePopulismus
Autor/in:Eva Krick
Viele Menschen überqueren eine Straße. Die Schwarz-Weiß-Fotografie ist verwischt.

Am 21. September veröffentlichte die Friedrich-Ebert-Stiftung die Studie „Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23“. Sie liefert alarmierende Einblicke in die Radikalisierung der Gesellschaft. Gefestigte rechtsextreme Weltbilder haben sich im letzten Jahr verdreifacht. Antidemokratische Haltungen greifen um sich. Das Vertrauen in staatliche Institutionen ist auf einem Tiefpunkt. Unsere Demokratieexpertin Dr. Eva Krick gibt Leseempfehlungen und fragt, was nun zu tun ist:



Demokratiegefährdende Einstellungen haben in Deutschland deutlich zugenommen, das zeigt die „Mitte-Studie“ von Andreas Zick und Kolleg*innen sehr klar. Auffällig ist das offenbar neue Selbstbewusstsein, mit dem rechtsextreme Meinungen geäußert werden. Deutlich mehr Befragte positionieren sich heute klar rechts und 23 Prozent der Befragten halten die AfD für eine Partei wie jede andere. Hinzu kommt: Gerade Menschen, die mit Selbstbewusstsein von sich sagen „wenn ich mir erst mal eine politische Meinung gebildet habe, dann bleibe ich dabei“, neigen dem Populismus zu. Aufmerken lässt, dass sich 1/3 der Befragten für die Regierungsform der „Expertokratie“ entscheiden würden, also die Herrschaft von Expert*innen befürworten. Und ganze 53 Prozent der Befragten unterstützen die Idee einer „Rückbesinnung auf das Nationale“ in Krisenzeiten.

Die Mitte-Studie zeigt, wie demokratiegefährdende Denkweisen miteinander zusammenhängen, wie sich Muster und Dynamiken ausbilden und welche Menschen- und Weltbilder hinter rechtsextremen Einstellungen stehen. Besonders bemerkenswert: Personen, die sich stark mit der Idee der Leistungsgesellschaft identifizieren, in ihren Erwartungen aber enttäuscht werden, wenden sich nicht gegen die Marktideologie, sondern gegen staatliche Institutionen und gegen als fremd markierte Personen, die den Normen der Leistungsgesellschaft vermeintlich nicht entsprechen (Kapitel 8 zum Nachlesen).

Direkt nachvollziehbar ist sicher, in welchem engen Verhältnis ein hohes Anspruchsdenken, also die Vorstellung, dass einem selbst mehr zusteht als anderen, mit der Abwertung anderer Menschen zusammenhängt, was sich u.a. in sozialdarwinistischen und rassistischen Denkweisen zeigt. Durchaus überraschend ist aber der Befund, dass ausgeprägtes Anspruchsdenken sowohl Menschen umfasst, die ihre wirtschaftliche Lage besonders schlecht einschätzen als auch Personen, die ihre wirtschaftliche Lage als relativ gut einschätzen und dass dieser ‚sense of entitlement‘ unter Sympathisant*innen von AfD und FDP verstärkt zu finden ist (Kapitel 11 zum Nachlesen).

Was nun zu tun ist, ist nicht leicht zu beantworten, aber wir sind alle aufgefordert, diese Entwicklung nicht hinzunehmen. Es lohnt sich auf jeden Fall, die hochkomplexe und interessante Studie genauer zu lesen und die Ergebnisse intensiv zu diskutieren. Außerdem liefert die Untersuchung Anhaltspunkte dafür, in welche Richtung weiter zu denken ist. Sie macht Hoffnung, wenn sie erläutert, wie wir unsere Anstrengungen als Demokrat*innen verstärken sollten und was sich strukturell ändern muss. Deutlich wird: Politische Bildung kann Menschen zurückgewinnen, die demokratiedistanziert sind, aber noch kein gefestigtes rechtsextremes Weltbild haben. Sie kann auf die Bedrohung der Demokratie reagieren, muss aber verlässlich finanziert sein und es wagen, kapitalismuskritischer zu werden. Sie muss die Ausbeutung des Menschen und seiner Arbeit ebenso wie die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in den Blick nehmen und darf die Verantwortung für soziale und ökologische Missstände nicht individualisieren (Kapitel 13 zum Nachlesen).

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