„Ein Unglück allergrößten Ausmaßes“

60 Jahre Hamburger Flut – Lesen Sie die Ereignisse in Echtzeit

Helmut Schmidt schaut aus dem Fenster eines Hubschraubers, vor ihm sitzt ein Pilot.

Liebe Leser*innen,

hoffentlich hatten Sie schöne Feiertage und sind gut ins neue Jahr gekommen!

Gleich am Beginn dieses Jahres steht der 60. Jahrestag der Hamburger Sturmflut. Sie war ein Jahrhundertereignis, das in den Köpfen vieler Menschen – nicht nur in Hamburg – bis heute fest verankert ist. Das verheerende Hochwasser, das in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 die Stadt überflutete, kostete 315 Menschen das Leben und machte Tausende obdachlos. Noch immer ist die Katastrophe untrennbar mit dem Namen des damaligen Polizeisenators Helmut Schmidt verbunden.

Lesen Sie in unserem aktuellen Schmidtletter, wie diese Nacht Schmidts Ruf als Krisenmanager begründete und folgen Sie in den nächsten Wochen unserem Twitterkanal „60 Jahre Hamburger Flut“, auf dem wir die Ereignisse von damals in Echtzeit wiedergeben.

Eine spannende Lektüre wünscht Ihnen
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung


 

Helmut Schmidt ist erst wenige Tage im Amt, als er sich über einen möglichen Katastrophenfall in seiner Stadt Gedanken macht. Als neuer Polizeisenator hatte er den Eindruck gewonnen, dass „für große Katastrophen, die über Polizei und Feuerwehr hinaus die ganze Verwaltung beanspruchen würden“, nicht die notwendigen Strukturen und Informationen vorlagen. Um für einen solchen Fall vorbereitet zu sein, ordnete Schmidt für den Mai ein „Katastrophen-Planspiel“ an. Niemand unter den Beteiligten konnte zu jener Zeit wissen, dass es dafür dann zu spät sein würde.

Schon seit Tagen war das Wetter in Hamburg stürmisch, als zur gleichen Zeit Sturmtief „Vincinette“ über der Nordsee zu einem gewaltigen Orkan heranwuchs. In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 fegte der Sturm schließlich mit 130 Stundenkilometern über Norddeutschland hinweg. Der starke Nordwestwind drückte die entstandene Flutwelle mit einer solchen Wucht in die Elbmündung, dass das Wasser nicht zurückzufließen konnte und stattdessen immer weiter anstieg.

Am Abend unterbrach der NDR mehrmals sein Programm und warnte seine Zuhörer*innen: „Für die gesamte deutsche Nordseeküste besteht die Gefahr einer sehr schweren Sturmflut“ − doch statt der in Hamburg angekündigten 3,50 Meter erreichte die Flut eine verheerende Höhe von 5,70 Meter.

Um Mitternacht überschlugen sich die Ereignisse: Während die Feuerwehr über die Deichkronen schlagende Wellen meldete, lief bereits der Westdeich in Finkenwerder über. Etwa eine Stunde später brach der erste Deich unter dem Druck der Wassermassen − weitere folgten im Minutentakt.

Mit einer derart katastrophalen Sturmflut hatten die Behörden nicht gerechnet. Der Erste Bürgermeister Paul Nevermann befand sich auf Kur, die meisten Senatoren waren nicht zu erreichen. Und wo war Helmut Schmidt? Der kehrte nachts von einer Innenministerkonferenz aus Berlin nach Hamburg zurück und erfuhr erst in den frühen Morgenstunden durch einen Telefonanruf von der Katastrophe. Er machte sich umgehend auf den Weg ins Polizeipräsidium und übernahm – systematisch denkend und gewohnt schneidig – das Kommando über die bereits laufenden Hilfs- und Rettungsmaßnahmen.

Nach einer ersten Lagebesprechung brach Schmidt mit dem Hubschrauber auf, um sich ein Bild von der Überschwemmung zu machen. Mittlerweile war das Wasser bis in die Innenstadt vorgedrungen, unzählige Menschen waren eingeschlossen und saßen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt auf Dächern oder Bäumen fest. Für ihn sei bald klar gewesen, so Schmidt, dass es sich um ein Unglück allergrößten Ausmaßes gehandelt habe und Tausende in höchster Lebensgefahr gewesen seien. Die Bundeswehr war schon alarmiert, er forderte zusätzliche Einheiten an und auch NATO-Soldaten. Insgesamt waren 25.000 Rettungskräfte und 15.000 Freiwillige im Einsatz, die mit Schlauchbooten und Hubschraubern Menschen aus den Überschwemmungsgebieten retteten und sie in Notunterkünften versorgten.

Erst in den Abendstunden begann das Wasser sich wieder zurückzuziehen und offenbarte seine enorme Zerstörungskraft. Insgesamt brachen mehr als 60 Deiche, ein Sechstel des Stadtgebiets stand unter Wasser, 315 Menschen starben in den Fluten Hamburgs, Tausende wurden obdachlos.

Als Ursache für die verheerende Flut gelten heute unzureichende Deiche und das Fehlen eines entsprechenden Katastrophenplans. In Hamburg standen zwar eine Vielzahl von Behörden zur Gefahrenabwehr zur Verfügung, es fehlte aber an einer einheitlichen Leitung. Eben diese entscheidende, zentrale Lenkung wurde erst mit dem Eintreffen Helmut Schmidts erkennbar. Sein Verdienst liegt demnach vor allem darin, angesichts der Sturmflutkatastrophe den Krisenstab straff organisiert und geleitet zu haben. Dadurch hatte er großen Anteil daran, dass Tausende Hamburger*innen vor den Wassermassen gerettet werden konnten. Er habe sich in jenen Tagen nicht um Gesetze gekümmert, sondern Menschen retten wollen, sagte Schmidt rückblickend und betonte, dass die Erfahrung der Hilfsbereitschaft für ihn das Wichtigste an der Flutkatastrophe gewesen sei.

Die Magie des Authentischen

In wenigen Tagen jährt sich die Sturmflut nun zum 60. Mal. Bis heute ist sie tief im Gedächtnis der Hamburger*innen verankert. 2012 mahnte der Erste Bürgermeister Olaf Scholz, man müsse der Erinnerung genügend Raum zur Entfaltung geben, sie gleichermaßen mit den Zeitzeug*innen teilen und wachhalten. Zwischen Aufklärung und Gedenken wurde auf ganz verschiedene Art und Weise an die Geschehnisse der Katastrophe im Februar 1962 erinnert. Publikationen, Filme, Ausstellungen und Veranstaltungen thematisierten Einzelschicksale und Zusammenhänge der Flut.

Die Bundeskanzler Helmut-Schmidt-Stiftung lässt in diesem Jahr mit einem noch nicht dagewesenen Ansatz die Geschehnisse wieder lebendig werden.

Auf dem Twitter Account „60 Jahre Hamburger Flut “ und unter www.helmut-schmidt.de/die-nacht-der-grossen-flut werden die Ereignisse wissenschaftsbasiert und in Echtzeit abgebildet. Aus mehr als 200 Akten werden spannende und authentische Quellen gezeigt, die neue Zusammenhänge rund um die Flut darstellen. Sehen Sie historisches Bildmaterial und amtliche Unterlagen, die die Katastrophe dokumentieren. Lesen Sie Helmut Schmidts handschriftliche Notizen aus den Sitzungen des Krisenstabs oder die Einsatzmeldungen der Hilfskräfte.

Das Twitter-Projekt lässt die Sturmflut vom 15. Januar bis 28. Februar wieder lebendig werden und bietet allen Interessierten die Möglichkeit, den Kanal aktiv mitzugestalten.

Zu unserem Twitterkanal „60 Jahre Hamburger Flut“

 

Helmut Schmidt schaut aus dem Fenster eines Hubschraubers, vor ihm sitzt ein Pilot.

Polizeisenator Helmut Schmidt beim Rundflug über das Überschwemmungsgebiet am 17. Februar 1962.

© Hamburger Abendblatt/Gunnar Brumshagen

Momentaufnahme während der Hamburger Sturmflut. Ein Mann trägt ein Kind durch die wadenhohen Wassermassen. Im Hintergrund sind Menschen auf einem kleinen Boot.

Sturmflut 1962: Freiwillige Helfer retten Opfer aus dem Überschwemmungsgebiet.

© picture alliance/dpa

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