Globalisierung globaler denken und gemeinsam neu gestalten: Stiftung gibt neue Impulse

Helmut Schmidt Lecture 2023 mit dem Präsidenten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Moritz Schularick in Berlin

Liebe Leser*innen,

in einer immer komplexeren Welt, in der einige Staaten bewusste Abhängigkeiten schaffen und in der auch westliche Länder nicht mehr nur von der Globalisierung profitieren, ist es notwendig, über die aktuellen globalen Zusammenhänge zu sprechen und über Wege zu debattieren, wie man Globalisierung neu gestalten kann.

Unsere Programmleiterin für die Themen „Globale Märkte und soziale Gerechtigkeit“ Dr. Elisabeth Winter stellt in diesem Schmidtletter einige zentrale Aspekte der Globalisierung vor, die wir gemeinsam mit Ihnen bei der Helmut Schmidt Lecture 2023 am 4. Dezember in Berlin diskutieren möchten.

Eine anregende Lektüre und ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung


 

„Remaking Globalisation!“ Globalisierung gemeinsam neu gestalten

Wir treten derzeit in eine neue Phase der Globalisierung ein. An sich ist das meines Erachtens keine schlechte Sache. Denn in der Tat muss das, was wir derzeit unter Globalisierung verstehen, dringend überarbeitet werden, wenn sie den Weg für eine grüne und gerechte Transformation ebnen soll. Leider ist ein solcher Reformwille in den derzeitigen Debatten um diesen schillernden Begriff jedoch nicht zu erkennen. Weder Ansätze, die das Klima schützen, noch Wege, welche die durch die derzeitige Form der Globalisierung ausgelösten Ungleichheiten bekämpfen, spielen eine ernsthafte Rolle. Stattdessen ist die Rede vom „Ende der Globalisierung“ – ganz so, als ob es nicht möglich wäre, diese neu zu gestalten.

Warum es eine Neugestaltung braucht

Die Debatte um das Ende der Globalisierung setzte erst ein, als der Globale Norden deren Schattenseiten am eigenen Leib zu erfahren begann. Es ist aber wichtig zu betonen, dass viele Teile der Welt diese negativen Seiten der Globalisierung bereits seit Langem kennen. Dass Globalisierung sowohl Gewinner, aber eben auch Verlierer produziert, ist keineswegs eine neue Erkenntnis.

Heute fürchten die Industrieländer die Folgen der Globalisierung – und die durch sie entstandene wirtschaftliche Interdependenz. Das vielleicht wichtigste Schlagwort, das wir in den letzten Jahren in dieser Debatte gehört haben, ist das der „weaponised Interdependence“: Staaten wie China und Russland nutzen die wirtschaftliche Abhängigkeit des „Westens“ von ihren Ressourcen aus, um strategische und sicherheitspolitische Vorteile zu erzwingen. 

Diese Wiederbelebung geoökonomischer Taktiken – der Einsatz wirtschaftlicher Mittel zur Erreichung sicherheitspolitischer Ziele – beruht auf einer ganzen Reihe von Ereignissen, die die globale Ordnung und die Globalisierung, wie wir sie kannten, erschüttert haben. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Finanzkrise von 2008 stellten die USA und die EU vor große Herausforderungen. 2016 erschütterten der Brexit und die Wahl von Donald Trump beide Seiten des Atlantiks. Nicht wenige Wähler*innen sahen in der Globalisierung, zusammen mit dem technologischen Wandel und der Deindustrialisierung, eine Ursache für wirtschaftliche Stagnation oder sogar ihren sozialen Abstieg. Misstrauen in die Demokratie, wirtschaftlicher Nationalismus und Protektionismus griffen zunehmend um sich.

In der Folge der fortschreitenden Globalisierung fühlten sich also viele Menschen ungehört. Während Unternehmen (zum Beispiel durch Lobbying) meist einen leichten und vor allem einflussreichen Zugang zur Regierung haben, erhalten die Vertreter*innen der Zivilgesellschaft weniger Aufmerksamkeit und müssen um Einfluss kämpfen. Dies ist besonders problematisch, da so Themen, die unmittelbare Auswirkungen auf Einzelpersonen haben, auf der Tagesordnung einen viel niedrigeren Platz einnehmen. Beispiele sind hier unter anderem Umweltschutz sowie Arbeits- und Menschenrechtsbestimmungen. 

Trumps Handelskrieg gegen China und Verbündete wie die Europäische Union, gepaart mit jahrelangen Unterbrechungen globaler Lieferketten aufgrund der COVID-19-Pandemie, zunehmenden Unsicherheiten in der Produktion aufgrund des Klimawandels, Russlands Krieg gegen die Ukraine und der darauffolgenden Energiekrise, haben die Globalisierung noch stärker ins Wanken gebracht. Globalisierung schreitet so auf dem Weg der eigenen Fragmentierung voran, häufig entlang nationalistischer und ideologischer Linien.

„Remaking Globalisation!“ – unser Aufruf für die Helmut Schmidt Lecture 2023

Globalisierung muss also neu gedacht und gestaltet werden. Doch wie? Mit dem Slogan „Remaking Globalisation!“ nähern wir uns zusammen mit vielen weiteren Akteur*innen dieser Frage bei der Helmut Schmidt Lecture 2023 und in der dritten Ausgabe unseres BKHS Magazines. 

Unser Verständnis von Globalisierung ist breit und umfasst die ausgeprägte Verflechtung und gegenseitige Abhängigkeit von Menschen und Ländern in aller Welt. Wenn wir von Globalisierung sprechen, geht es uns also um weit mehr als nur um den internationalen Handel. Globalisierung bezieht sich auf einen Prozess, in dem die Interdependenzen zwischen der Weltwirtschaft, den Kulturen und den Bevölkerungen so stark zunehmen, dass nicht nur Waren und Dienstleistungen, sondern auch soziale und kulturelle Einflüsse weltweit sich annähern. Wir beziehen in unsere Interpretation alle Arten von Prozessen ein: von wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und technologischen bis hin zu institutionellen Verflechtungen von Ideen, Wissen, Informationen, Waren und Dienstleistungen, die sich rund um die Welt verbreitet haben. 

Zusammen mit unserem Lecture-Speaker, den Autor*innen unseres BKHS Magazines und mit Ihnen möchten wir deswegen am 4. Dezember 2023 bei der Helmut Schmidt Lecture 2023 diskutieren und Zukunftsperspektiven entwickeln. Wir wollen im Austausch miteinander konkrete und vielschichtige Ideen formulieren, um Globalisierung neu zu gestalten und sie dadurch besser zu machen.

Eine neue Form der Globalisierung

Wir freuen uns sehr, dass wir für unsere Helmut Schmidt Lecture 2023 einen Redner gewinnen konnten, der sich für die Neugestaltung der Globalisierung prominent engagiert. Professor Dr. Moritz Schularick ist Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Sciences Po (Paris). Er ist ein international renommierter Ökonom, dessen Forschungen sich auf die Politik ausgewirkt haben. Schularick untersucht die Vergangenheit und die Zukunft der Globalisierung. Er engagiert sich aktiv in akademischen, öffentlichen und politischen Diskursen, um wirtschaftliches Wissen zu fördern und globale Ungleichheiten zu bekämpfen. 

Er betont, dass der Schwerpunkt der Globalisierung nicht mehr auf dem größtmöglichen Wohlstand aus globalen Wertschöpfungsketten liege. Vielmehr verschiebe sich der Fokus in einer sich verändernden Welt. „Remaking Globalisation!“ bedeutet für ihn daher, sich auf eine andere Form der Globalisierung einzustellen, die sich entlang neuer geopolitischer Realitäten verändert. 

Angesichts der stärkeren sicherheitspolitischen Ausrichtung auch wirtschaftlicher Aktivitäten müssen wir laut Schularick in Zukunft stärker auf zwei Dynamiken internationalen Wirtschaftens achten, die wir bislang oft ignoriert haben: Erstens, inwieweit macht uns der Handel mit anderen Ländern von ihnen abhängig und verwundbar; und zweitens, inwieweit der Handel mit Ländern, die wir nicht als enge Freunde betrachten, diese wirtschaftlich stark macht – und damit unsere eigene Sicherheit potenziell bedrohen kann.

Es entsteht gerade also eine neue Weltwirtschaftsordnung, in der die finanziellen Vorteile von Offenheit, Integration und Handel den Gefahren von ausnutzbaren wirtschaftlichen Abhängigkeiten gegenüberstehen. Moritz Schularick sucht deswegen nach Antworten, wie wir im Falle globaler Schocks den Schaden für unsere eigenen Volkswirtschaften begrenzen können. 

„Remaking Globalisation!“ auch weit über die Handelspolitik hinaus

Am Abend der Helmut Schmidt Lecture werden wir außerdem das BKHS Magazine zu „Remaking Globalisation!“ vorstellen. Für die dritte Ausgabe des BKHS Magazine haben wir als Herausgeberinnen – die drei Programmlinienleitungen der BKHS Dr. Julia Strasheim, Dr. Eva Krick und ich – eine vielfältige Gruppe an Akademiker*innen, Politiker*innen, Aktivisten*innen, Pädagog*innen und Künstler*innen eingeladen, ihr vielfältiges Fachwissen und ihre sehr unterschiedlichen Erfahrungen in Bezug auf die verschiedenen Aspekte von Globalisierung einzubringen. 

In unterschiedlichen Formaten geben uns die Autor*innen Denkanstöße sowie konkrete Handlungsempfehlungen. Zusammengenommen zeigen sie uns auf, wie vielschichtig Globalisierung ist – und wie viele Akteur*innen es gibt, die diesen komplexen Prozess gestalten können. Wir glauben, dass das BKHS Magazine durch die Zusammenführung verschiedener Perspektiven und Ansätze die Transformation zu einer nachhaltigen und gerechten Globalisierung befördern kann. Und wir hoffen, im gemeinsamen Austausch mit Ihnen an diesem Abend diesem Ziel einen Schritt näher zu kommen.

Seien Sie am Abend der Helmut Schmidt Lecture 2023 mit dabei und diskutieren Sie mit uns, wie wir gemeinsam Globalisierung neu gestalten können! 

Zur Anmeldung

Helmut Schmidt Lecture 2022 im Museum für Kommunikation in Berlin.

Foto: BKHS/Michael Zapf

Ein Arbeiter vor Containern in einem Lagerdepot in Shanghai im Jahr 2009. Foto: picture alliance / REUTERS | Aly Song

Dr. Elisabeth Winter, Leiterin der Programmlinie „Globale Märkte und soziale Gerechtigkeit“, im Gespräch. Foto: BKHS/Michael Zapf

Professor Dr. Moritz Schularick bei der Verleihung des Weltwirtschaftlichen Preises 2023. Foto: IfW Kiel/Gregor Fischer

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