Helmut Schmidt wurde getauft, konfirmiert und hat kirchlich geheiratet. Er hat sich stets als Christ bezeichnet, auch wenn er keine tiefe, innerliche Beziehung zum Glauben hatte. Doch bei aller Distanz bezog er sich auch als Politiker immer wieder auf Gott – zum Beispiel in einer Regierungserklärung zur Reaktion des Staates auf den RAF-Terrorismus: „Zu dieser Verantwortung stehen wir, auch in Zukunft. Gott helfe uns!“. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Bundeskanzlers suchte er weiter den Kontakt zu Religionsvertreter*innen – in beiden deutschen Staaten – und betonte immer wieder die hohe gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen.
Auf Einladung der Evangelischen Kirche sagte Schmidt seine Teilnahme am Kirchentag in Rostock für den 18. Juni 1988 zu. Doch sein Besuch stand lange unter schlechten Vorzeichen. Aufgrund der zunehmenden Spannungen zwischen DDR-Staat und Kirche erhielt Schmidt vom Bezirksrat Rostock keine Einreisegenehmigung. Der Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland, Hans Otto Bräutigam, teilte Schmidt mit, dass wegen seines hohen Ansehens – gerade in Mecklenburg – die staatlichen Stellen der DDR damit rechnen würden, dass er bei seinem Besuch von vielen Hilfesuchenden angesprochen werde. Hier läge wohl das eigentliche Problem des Besuches, so Bräutigam. Trotz dieser Schwierigkeiten erhielt Schmidt, vermutlich durch den Einsatz Manfred Stolpes (Konsistorialpräsident der Ostregion der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg), doch noch eine Einreiseerlaubnis.
Heute vor 35 Jahren, am 18. Juni 1988, trafen Loki und Helmut Schmidt gegen 14:00 Uhr an der Marienkirche in Rostock ein. Hier begrüßten sie unter großem Beifall tausende Bürger*innen aus allen Teilen der DDR. Schmidts Rede „Brücken bauen in Europa – meine Erwartungen an die Kirchen“ hörten 2.500 Menschen und weil nicht alle einen Platz in der Kirche fanden, wurden draußen am Eingang Lautsprecher aufgestellt.
Schmidt sprach von der Kanzel „als Privatperson und Christ“ und erinnerte die Menschen daran, dass Feindbilder auf beiden Seiten nur beseitigt werden können, wenn die Menschen sich einander kennenlernen würden: „Man kann den anderen nur verstehen, wenn man ihm zuhört!“. Zugleich sei dies ein Augenblick der Gemeinsamkeit, ein Tag der Einheit – jeder dürfe an seiner Hoffnung auf ein gemeinsames Dach über der deutschen Nation festhalten, so Schmidt. Damit machte er den Evangelischen Kirchentag zu einer deutsch-deutschen Brücke und verband das Kirchliche mit dem Politischen.
Nach seinem Auftritt in der Marienkirche nahm Schmidt an einer Podiumsdiskussion in der ebenfalls völlig überfüllten Heiligen-Geist-Kirche teil. Trotz der angespannten Einreise und der politischen Äußerungen Schmidts, schrieb das Ministerium für Staatssicherheit in seinem Bericht unter anderem: „Nach Beendigung des Podiumsgespräches begab sich Schmidt nach Warnemünde in das Interhotel Neptun, wo für 31 ausgewählte namentlich bekannte Personen ab 19:00 Uhr ein Abendessen stattfand. Dabei wurden keine politisch beachtenswerten Aussagen getroffen. Die Ausreise von Schmidt und seiner Begleitung erfolgte am selben Tag ohne Vorkommnisse um 22:31 Uhr.“
„Man kann den anderen nur verstehen, wenn man ihm zuhört!“
Am 18. Juni 1988 hält Helmut Schmidt von der Kanzel der Marienkirche in Rostock anlässlich der unter dem Motto „Brücken bauen“ stehenden evangelischen Kirchentage einen Vortrag zum Thema. Tausende Christ*innen aus allen Landeskirchen, Mecklenburg und Greifswald sowie ökumenische Gäste hatten sich zu den Evangelischen Kirchentagen in Rostock versammelt, um auf zahlreichen Veranstaltungen das Wirken der Kirche in der sozialistischen Gesellschaft zu erörtern. © picture-alliance/ ZB / Jürgen Sindermann