„Internationaler Handel und Wirtschaftswachstum dürfen kein Selbstzweck sein.“

Rückblick auf die Helmut Schmidt Lecture 2023 zum Thema „Remaking Globalisation!“

Liebe Leser*innen,

in diesem Schmidtletterspezial blickt unsere Globalisierungsexpertin Dr. Elisabeth Winter auf den Abend der Helmut Schmidt Lecture 2023 zurück. Angesichts zahlreicher globaler Krisen arbeitet sie in der Programmlinie „Globale Märkte und soziale Gerechtigkeit“ zur Frage, wie eine sichere, gerechte und umweltschonende Weltwirtschaftsordnung von morgen aussehen kann. Vor diesem Hintergrund stand das Thema der Helmut Schmidt Lecture 2023 schnell fest: „Remaking Globalisation!“ 

Sowohl am Abend der Lecture als auch in der dort präsentierten dritten Ausgabe des BKHS Magazine wurden zahlreiche konkrete Vorschläge diskutiert, wie eine Neugestaltung von Globalisierung gelingen kann. Blicken Sie zusammen mit Dr. Elisabeth Winter auf vier besonders zentrale Politikempfehlungen.

Wir wünschen Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre
Ihre Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung



Die Globalisierung von morgen wird anders aussehen als die Globalisierung von gestern. Aktuell befinden wir uns mitten in einer Polykrise, die sich durch eng miteinander und über Grenzen hinweg verwobene wirtschafts-, sicherheits-, klima- und geopolitische Schocks auszeichnet. Doch was läuft aktuell schief im globalen Gefüge? Und wie können die weltweiten ökonomischen Interdependenzen sicherer gemacht, aber vor allem auch gerechter und nachhaltiger gestaltet werden? 

Zusammen mit mehr als 200 Gästen diskutierten wir diese Fragen am 4. Dezember 2023 unter dem Motto „Remaking Globalisation!“ und suchten mögliche Antworten auf aktuelle globale und wirtschaftspolitische Herausforderungen. Dafür haben wir eine Vielzahl von Expert*innen nach konkreten Lösungsvorschlägen gefragt – und eine Vielzahl an Antworten erhalten: von den Autor*innen unseres BKHS Magazine, vom Redner der Helmut Schmidt Lecture und den Panelist*innen auf der Bühne und von unseren Gästen am Abend. Durch unterschiedliche Formate kamen so Vertreter*innen aus der Wissenschaft, Politik, Thinktanks, der Kunst und dem Aktivismus zu Wort. Die gesamte Ausgabe unseres BKHS Magazine zu „Remaking Globalisation!“ verlinken wir Ihnen hier zum Download und teilen mit Ihnen hier weitere Eindrücke vom Abend der Helmut Schmidt Lecture. An dieser Stelle möchte ich auf vier konkrete Lösungsvorschläge eingehen, die wir am Abend diskutieren konnten. 

Krisenkompetenz in Berlin ausbauen

Allen voran stand natürlich der Redner der Helmut Schmidt Lecture, Professor Dr. Moritz Schularick, bei der Veranstaltung im Fokus. Als neuer Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) ist es ihm ein besonderes Anliegen, die Schnittstelle von Politik, Thinktanks und Wissenschaft zu stärken und auf diesem Weg die Krisenkompetenz in Berlin auszubauen. Das sei in dieser Zeit besonders wichtig, denn insbesondere autokratische Regierungen nutzen ökonomische Interdependenzen zunehmend als strategische Waffe auch in sicherheits- und außenpolitischen Debatten. Dem gelte es entgegenzutreten. 

Die Energiekrise infolge Russlands breitflächigem Überfall auf die Ukraine habe deutlich gezeigt, dass globale Abhängigkeiten nicht nur Chance, sondern auch Gefahren mit sich bringen. Gerade wenn ökonomische Verflechtungen als politische Druckmittel genutzt werden, finde Globalisierung unter anderen Vorzeichen statt. Für dieses neue geoökonomische Realität, so Moritz Schularick, müssen wir die intellektuelle Infrastruktur in Berlin ausbauen.

Internationale Institutionen reformieren

Nach der Rede diskutierte ich zusammen mit Moritz Schularick und Yunnan Chen, Expertin zu finanzpolitischen Fragen in der Entwicklungsarbeit bei ODI London und Autorin im diesjährigen BKHS Magazine. Sie können Yunnan Chens Artikel „Common Prosperity as common interest: how great powers can cooperate to promote development“ hier in voller Länge lesen. Fokus unserer Debatte waren die verschiedenen Blickwinkel auf die sich ändernde Globalisierung und die Frage, wie Herausforderungen von den beteiligten Akteuren wahrgenommen werden, und wo sich Lösungsansätze unterscheiden.

Yunnan Chen betonte in dem Gespräch, dass die sich wandelnde Globalisierung aus der Perspektive des Globalen Südens anders analysiert wird. Schließlich sei Globalisierung bislang vom Globalen Norden nach dessen Interessen gestaltet worden. Dies mache sich insbesondere im Aufbau internationaler Institutionen bemerkbar, in denen der geringe Einfluss von Ländern des Globalen Südens nicht mehr dem internationalen Machtgefüge entspricht. Yunnan Chen hob hervor, dass es dieses Momentum zu nutzen gelte, um diese strukturellen Ungleichheiten zu beseitigen und internationale Institutionen zu reformieren. 

Wirtschaftswachstum ist kein Selbstzweck 

In der Diskussionsrunde fragte uns die Moderatorin Kristie Pladson, Journalistin bei unserem Medienpartner Deutsche Welle, nach der Repräsentation nicht-staatlicher Akteure und deren Interessen in der Ausgestaltung internationaler Wirtschaftspolitik. Angesichts der aktuellen Polykrise müssen wir das Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft überdenken. Um neue Wege für eine globale Wirtschaftsordnung zu finden, betonte ich, müssen wir neu bewerten, ob und inwieweit der Nationalstaat eine aktive Rolle in der nationalen und internationalen Wirtschaft zu spielen hat.

Internationaler Handel und Wirtschaftswachstum dürfen kein Selbstzweck sein. Meine Empfehlung ist daher, dass von staatlicher Seite nicht nationale ökonomische Kennzahlen im Mittelpunkt stehen sollten, sondern im Rahmen einer aktiven Wirtschaftspolitik der Mensch zum Tragen kommt. Nur so kann eine nachhaltige globale Weltwirtschaftsordnung neugestaltet werden. Viel zu oft wurde in der Vergangenheit in die Kraft des Markts vertraut. Angesichts der zunehmenden geoökonomischen Betrachtung globaler ökonomischer Zusammenhänge muss dieses Paradigma hinterfragt werden.

Lesen Sie hier meinen Artikel „Economic security as human security“ aus dem BKHS Magazine, in dem ich ausführe, warum ökonomische Sicherheit nicht nur unter nationalen Sicherheitsaspekten mit Blick auf China besprochen werden sollte, sondern auch aus umwelt- und sozialpolitischen Gesichtspunkten auf das Individuum achtend diskutiert werden muss. 

Klima in Wirtschaftsfragen mitdenken

Ein besonderer Moment der Helmut Schmidt Lecture ist jedes Jahr der Launch des begleitenden BKHS Magazines, herausgegeben von meinen Kolleginnen Dr. Julia Strasheim, Dr. Eva Krick und mir. Unserem Aufruf „Remaking Globalisation!“ folgend, entwickelten die Autor*innen konkrete Vorschläge und Empfehlungen, wie wir Globalisierung nach nachhaltigen und sozialen Gesichtspunkten neu gestalten können. Ihren Ideen folgend fragten wir unsere Gäste, wo sie den größten Handlungsbedarf sehen, welche politischen Instrumente sie für besonders vielversprechend halten und wer diese umsetzen muss. An zwei Meeting Points konnten sich dieses Jahr zum ersten Mal alle an einer Abstimmung beteiligen. Durch den intensiven Austausch und die rege Beteiligung wurde schnell klar, dass unsere Gäste sich für das Mitdenken von Klima in allen Wirtschaftsfragen aussprechen. Sie stimmten dafür, dass der Staat eine zentralere Rolle einnehmen muss: sowohl durch die Sanktionierung klimaschädlicher unternehmerischer Handlungen als auch durch das Setzen von Anreizen zur Veränderung individuellen Konsumverhaltens. Für eine detailliertere Auswertung der Umfrage unser Lecture, bitte unsere Homepage checken – spannende Insights folgen in Kürze!

Die BKHS-Programmleiterin für „Globale Märkte und soziale Gerechtigkeit“ Dr. Elisabeth Winter leitet durch die Helmut Schmidt Lecture 2023. Foto: BKHS/Michael Zapf

Dr. Julia Strasheim, Dr. Elisabeth Winter und Dr. Eva Krick präsentieren als Herausgeberinnen das neue BKHS Magazine zu „Remaking Globalisation!“ Foto: BKHS/Michael Zapf

Die BKHS-Programmleiterin für „Globale Märkte und soziale Gerechtigkeit“ Dr. Elisabeth Winter diskutiert unter anderem mit dem Präsidenten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Professor Dr. Moritz Schularick auf dem Podium der Helmut Schmidt Lecture 2023. Foto: BKHS/Michael Zapf

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